Älter werden. Rolf W. Meyer
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Zum Glück kommt sie eines Tages mit der Seelsorgerin Frau Blicknachvorn ins Gespräch, der sie ihre Sorgen mitteilen kann. Frau Blicknachvorn antwortet spontan: „Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Menschen im Rentenalter guter Dinge sind und zuversichtlich nach vorne blicken.“ Dann weist die Seelsorgerin darauf hin, dass „in jedem von uns ein Optimist steckt“, so wie es der Persönlichkeitspsychologe Philipp Yorck Herzberg zum Ausdruck bringt. [30] Evolutionsbiologisch formuliert lässt sich auch sagen: „Ohne diese Eigenschaft wären seinerzeit die frühzeitlichen Vorfahren des anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens sapiens) aus Afrika nicht zu neuen Kontinenten aufgebrochen.“
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass eine zuversichtliche Lebenseinstellung auch das seelische und körperliche Wohlbefinden steigert. Die Erfahrung zeigt, dass ein optimistischer Blick auf das Leben im Alter zu mehr Lebenszufriedenheit führt. Frau Blicknachvorn hebt hervor, dass sich jeder in dieser positiven Sichtweise üben kann. Als Schritte, die dafür erforderlich sind, werden von ihr genannt: „Sammeln Sie positiv formulierte Sprüche und bringen Sie diese so an Stellen Ihres Wohnbereiches an, dass sie immer in Ihrem Blickfeld sind.“ Weiter fährt sie fort: „Legen Sie ein gutes Wort bei sich selbst ein. Durch ein Selbstgespräch können Sie sich selbst loben oder zu einer Aktivität ermuntern.“ Solche Selbstgesprächs-Techniken erweisen sich im Alltag immer als sehr vorteilhaft.
Dann ermutigt Frau Blicknachvorn ihre Gesprächspartnerin Frau Altgedient mit der Aussage: „Besinnen Sie sich immer auf Ihre eigenen Stärken. Als älterer Mensch können Sie bereits Zuversicht daraus schöpfen, dass Sie sehr viel Lebenserfahrung haben. Führen Sie sich dabei immer wieder vor Augen, was Sie schon alles in Ihrem bisherigen Leben geleistet und vor allem überstanden haben. Was besonders wichtig ist: Machen Sie sich immer wieder deutlich, was Ihnen damals geholfen hatte, neuen Mut zu finden und sich wieder am Leben zu freuen.“
Sie als Leserin oder Leser werden es nicht glauben, aber nach diesem Gespräch mit Frau Blicknachvorn hat Frau Altgedient wieder Mut gefasst und zuversichtlich in die Zukunft geblickt.
Markus Rücksichtslos: „Wie überwinde ich das Altwerden?“
Wirft man einen Blick zurück in das vergangene Leben von Markus Rücksichtslos, der 70 Jahre alt geworden war, so lässt sich hervorheben: Er hatte sich vom ehemaligen kaufmännischen Angestellten in einer Baufirma zu einem selbständigen Immobilienhändler hochgearbeitet. Sein Talent zur Rücksichtslosigkeit war ihm dabei sehr behilflich gewesen. So konnte er beruflich zum mehrfachen Millionär aufsteigen. Er wurde dadurch zu einem Vertreter der VGKB- („Viel-Geld-Keine-Bildung“) Generation. Dies ermöglichte ihm und seiner Frau Isabella ein gemeinsames Leben im Luxus zu führen.
Mit seinem Geld war es ihm, der er selbst aus kleinen wirtschaftlichen Verhältnissen, der Unterschicht, stammte, möglich, sich den Zugang bis in die oberste Gesellschaftsschicht zu erkaufen. Was ihm allerdings fehlte, war eine fundierte Bildung. Er verfügte über keine Allgemeinbildung. Somit vermochte er auch nicht, im Sinne des Philosophen Immanuel Kant (1724 – 1804) zu handeln: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Bildung allerdings kann man sich nicht erkaufen, sondern Bildung muss man sich aneignen. Und das ist immer mit Anstrengungen verbunden.
Wovor Markus Rücksichtslos schon immer Angst hatte, war zu altern und in Verbindung damit krank zu werden. Daher unternahm er alles, um dem Alterungsprozess entgegenzuwirken. Als sich bei ihm Erektionsstörungen bemerkbar machten und es im Bett nicht mehr so hochtourig für ihn ablief, die sexuelle Schwäche für ihn einem erfüllten Liebesleben im Weg stand, da entschied er sich dafür, mit Präparaten aus der Apotheke nachzuhelfen. Sie entfalteten die von ihm herbeigesehnte „Stützfunktion“. [31]
Bei Gelenkschmerzen, altersbedingten Schlafstörungen, bei Rückenschmerzen, Bauchschmerzen, bei Gesichtsrötungen: Immer kaufte er sich für viel Geld die angepriesenen Wirkstoffe gegen seine aktuellen körperlichen Beschwerden zusammen und verband es stets mit dem Wunsch, ja nicht hinfällig zu werden.
Doch es kam der Tag, an dem er, als er gedankenlos in seinem Haus leichtfüßig von Stufe zu Stufe auf der eingebauten Wendeltreppe nach unten hüpfte und sich dabei in einem juvenilen Gefühlszustand befand, plötzlich nach unten stürzte und sich dadurch mehrere Knochenbrüche zuzog. Schlagartig wurde ihm bewusst: Für meinen Jugendlichkeitswahn wurden mir Grenzen aufgezeigt! Der einzige Ausweg für den Rentner Rücksichtslos, aus dieser unerwarteten Situation herauszukommen, bestand darin, dass er sich erschossen hat.
Helene Seelenfried: „Wie kann ich mir im Alter meine Gesundheit erhalten?“
Diese 65jährige Rentnerin hatte nur den einen Herzenswunsch, nämlich gesund zu bleiben. Dafür war sie bereit, Geld, Geduld und Zeit zu investieren. In Verbindung damit vertraute sie auf den Werbespruch „Das Beste für Fitness, Wellness und Gesundheit von Experten“ sowie auf die in Verbindung mit der Werbung angebotenen Übungsgeräte. Frau Seelenfried, die Bewohnerin des Wohnstiftes „Feierabend“ war, hätte allerdings sofort erkennen müssen, dass diese Gerätschaften nicht für ihre „Fitness“ geeignet waren. Denn der Begriff „Fitness“ (Eignung) ist im Wesentlichen gleichbedeutend mit Fortpflanzungserfolg. Und in dem Alter, in dem sich Frau Seelenfried befand, waren ihre Geschlechtsdrüsen, ihre Eierstöcke, nicht mehr aktiv.
Der Einfluss der Werbung für Trainingsgeräte auf ihre Psyche war allerdings so groß, dass die Mitmenschin höheren Alters, Frau Seelenfried, sofort begann, sich die technische Gerätschaft zuschicken zu lassen. Aufgrund ihrer begrenzten räumlichen Wohnverhältnisse im Wohnstift „Feierabend“ ergaben sich für sie verständlicherweise Probleme zur Lagerung der „gesundheitsfördernden technischen Heimtrainer“. Jedoch, nach und nach trudelten ein: Eine Vibrationsplatte aktiv („Effektives Ganzkörpertraining für Figur und Wohlbefinden“), ein Laufband aktiv „Vital Komfort“ mit praktischem Tablet- und Zeitschriftenhalter, ein Heimtrainer X-Bike aktiv mit Expanderbändern („Ihr Ganzkörpertrainer für maximale Trainingsvielfalt“), ein Ergometer („Training nach Puls- und Wattvorgabe“) sowie ein faltbarer und Platz sparender Heimtrainer X-Bike („Training auf kleinstem Raum“). [32]
Entgegen den Hinweisen und Bedenken ihrer altersgemäßen Artgenossinen und Artgenossen sowie entgegen den Einwänden des medizinischen Betreuungspersonals vom Wohnstift „Feierabend“ begann Frau Seelenfried sofort mit dem umfangreichen, multitechnischen Wellness-Programm. Es blieb nicht ohne Folgen. Nicht nur, dass die Anschaffung der technischen Geräte ihre Ersparnisse völlig aufgebraucht hatte, sondern es zeigten sich für die Spätjugendliche schon sehr bald gesundheitliche Schäden aufgrund des ungewohnten Trainingsprogrammes und aufgrund ihres Alters sowie ihrer körperlichen Beschaffenheit.
Der Heimleiter vom Wohnstift „Feierabend“, Bruno Allezeit, zeigte nur wenig Verständnis für das unvernünftige Verhalten seiner Wohnstift-Bewohnerin. Schon William Feather, der von 1889 bis 1981 gelebt hatte und amerikanischer Verleger mit Sitz in Cleveland, Ohio, gewesen ist, hatte erkannt: „Hinter der Werbung steht vielfach die Überlegung, dass jeder Mensch eigentlich zwei Persönlichkeiten in sich vereint: eine, die er ist, und eine, der er sein will.“
Wilhelm Kontaktfreudig: