Die Weltsicht einer ziemlich verrückten Puppenmacherin. Julianne Becker

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Die Weltsicht einer ziemlich verrückten Puppenmacherin - Julianne Becker Der Weg der Puppen

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Der Aufbau eines dicken Panzers wurde unvermeidlich. Eine solche Behandlung setzte sich außerdem als Tradition in den folgenden Generationen der Familie fort und wurde oft als kulturelle Leistung verteidigt, in Art "eine Ohrfeige hat noch keinem geschadet" oder in Werten (Ehre).

      Den Charakterpanzer zeichnete ein starres System von wenigen einfachen Selbstdefinitionen aus. Er hatte sich einige wenige Eigenschaften auf seine inneren und sehr positiven Visitenkarten geschrieben, Schlagwörter, wie sie von Diktatoren jederzeit abrufbar waren, wie zum Beispiel Ehre. Und seine umso zahlreicheren, verdrängten und negativen Visitenkarten enthielten Behauptungen, wie er selbst nicht sei und auch auf keinen Fall sein wollte. Damit konne er sein überforderndes Leben trotz der von innen und außen ihn ständig attackierenden Angriffe erst einmal mit einfachen Regel meistern.

      Aber er mauerte sich damit gleichzeitig den Weg zu der eigenen Lebensbewältigung und zu einem sozialen, emotionalen und mentalen Lernen ziemlich zu, dieser Müll verstopfte sozusagen seine Leitung und hielt ihn beschäftigt, die Mauer an Selbstdefinitionen intakt zu halten. Er formulierte es in Gedanken aber so, dass stattdessen die anderen da draußen böse seien und alles falsch machten. Eigentlich hatte er sich diesen Panzer zum Schutz vor frühkindlichen Erfahrungen, späteren unbewältigt gebliebenen Schicksalsschlägen und Problemüberflutungen aus anderen Leben zulegen müssen und jetzt hinderte dieses eigentlich grandiose Sicherheitssystem den Armen leider auch daran, sich wirklich unabhängig von anderen so richtig gut und lebendig zu fühlen.

      Und dieser Mensch schützte sich damit auch vor jeglicher Veränderung, also auch leider vor Lernen, Wachstum und Heilung, vor Mitgefühl, Liebe und anderen schönen und erfüllenden Erfahrungen, auch wenn er diese Worte oft dennoch benutzte um seine Erfahrungen zu beschrieben.

      Und charismatische Führer öffneten ihn ihrer Vision und ihrem eigenen charismatischen Feld und die Gepanzerten konnten sich erhoben, bedeutend, lebenskräftiger und glücklicher fühlen – und das war es doch, was sie sich immer gewünscht hatten. Vielleicht entwickelten sie dann sogar eine Vorliebe für die Kettenfahrzeuge, die man nach ihnen benannte. Und so blieb ein gepanzerter Mensch manchmal schon bei dem ersten x-beliebigen Charismatiker hängen, der ihm begegnete, sei es, dass er politisch, religiös oder als Pfadfinder daherkam, und übernahm in der Vereinigung mit dessen Feld auch dessen ganze Weltanschauung und dessen Bewusstsein.

      Dieses zufällig erste charismatische Feld, das ihnen begegnete, wurde nämlich in ihrem Kerker als so besonders erlebt, dass sie dazu neigten, es für das Einzige zu halten. Also das einzig wahre. Von nun an betrachtete der Gepanzerte es auch als seine eigene Vision, die er mit aller Kraft unterstützte. Solche Menschen bildeten also besonders gute und verlässliche Anhänger, weil sie sich von alternativen, eventuell selbst viel stärkeren Charismatikern kaum noch öffnen oder umpolen ließen. Das passierte fast so etwas wie eine Prägung bei Konrad Lorenz und seinen Gänsen. Sie blieben Argumenten gegenüber absolut resistent, sie wurden fanatisch und ließen nur noch die Vereinigung mit diesem einen Feld zu, dem einzig wahrhaften und echten. Und wie gesagt, dieses Feld konnte politisch, religiös und auch alles andere sein, Musik, Fußball oder Star Trek Conventions. Vielleicht auch nur ein lokaler Motorradclub, Hauptsache, ein Charismatiker bildete den Kern der Angelegenheit.

      Und weil sie sich in der Vereinigung mit diesem charismatischen Führer und seinem charismatischen Feld, also mit allen Ideen, Drehbüchern, Gedanken, Gefühlen, Kraft, Sinn und Sendungsbewusstsein als viel lebendiger und bedeutender wahrnehmen konnten, gingen sie damit auch in den Tod.

      Fanatismus bedeutete das Ende vom Lernen, und Sanat Kumara erzählte mir noch dazu, es brauche viel Schulung auf der anderen Seite, also nach ihrem Tod, um sie wieder soweit zu öffnen, dass eine nächste Inkarnation sie überhaupt noch weiterbringen konnte. Wenn eine Öffnung schon in dem fanatischen Leben selbst passierte, ging das leichter. Und ich dachte: Was man sich so alles neu erklären konnte, wenn man sich eigentlich nur über Felder und Absorbieren Gedanken machte! Und es gab offensichtlich auch für alles eine natürliche Erklärung.

      Visitenkarten und Charakterpanzer

      Als ich mich mit dem Thema der inneren Visitenkarten beschäftigte, hatte ich mich gerade von Elvira verabschiedet. Und sie war auch so eine harte Nuss. Ich hatte wirklich alles versucht, um uns so bewusst und liebevoll wie möglich zu entflechten, seit mir klar wurde, dass bei mir keine Filzaccessoires dran waren. Aber ich hatte einsehen müssen, dass für Elvira keine mir dennoch mögliche Unterstützung willkommen war, und ich hätte ihr in meiner Dankbarkeit für die Einladung wirklich gerne geholfen. Aber was immer ich anbot, es war alles nicht recht gewesen. Ich traf in meinem Gegenüber auf einen wundervollen Charakterpanzer, der sich selbst und alles andere genau definierte, vor allem natürlich auch, wie jeder andere auf Elviras Muster zu reagieren hatte, und ansonsten wählte sie verletzt zu sein.

      Ich wollte bestimmt niemanden verletzen, aber auch nicht einfach Muster energetisch bedienen, also mich vorhersehbar so verhalten wie es sich in ihren Augen gehörte, und mich damit fremd bestimmen und melken lassen. Und trotz unserer drei Wochen mit gemeinsamen Gesprächen über Erkenntnisse aus meiner neuen Weltsicht, auf die Elvira eigentlich auch neugierig war, hörte die Gute einfach nicht auf, massiv auf mich zu projizieren. Und das konnte ich wegen meiner psychischen und körperlichen Reaktionen auf Dauer einfach nicht hinnehmen. Bezeichnenderweise war ich dort auf ihrer kleinen Hazienda auch fast nur krank. Irgend etwas tat immer weh, nicht nur die Fliegen machten sich mit bösen Geschwüren über mich her.

      Darüber beschwerte Elvira sich dann auch noch zusätzlich, die Absurdität der Situation war wieder einmal nicht zu überbieten. Ich würde ja nur jammern. Aber ich war doch völlig überlagert und bedrängt! Elvira verstand einfach nicht, was ich meinte, und da sie es nicht lassen konnte, blieb mir nur Entbinden und Flucht, obwohl ich wirklich hatte dableiben wollen.

      Besonders anstrengend fand ich, dass Elvira unsere gemeinsamen Gespräche als Diskussion auffasste, etwas, was ich selbst schon lange bleiben ließ. Denn in Diskussionen, die man bekanntlich ja auch noch Streitgespräche nannte, ging es nicht darum, alle Puzzleteile zu diesem Thema gleichberechtigt auf den Tisch zu legen und es sich in aller Ruhe gemeinsam und in möglichst hoher Schwingung anzuschauen, und danach zu suchen, wie die alle so zusammen passten, und dabei noch offen für neue und verbindende Erkenntnisse zu bleiben, aber genau so wünschte ich mir mittlerweile ein gutes Gespräch.

      Nein, die Spielregeln einer Diskussion waren ganz klar: Das Puzzleteil des "Gegners" musste so schnell wie möglich vom Tisch gefegt werden, und dafür suchte man ständig in sich nach Projektilen für die Breitsalven, um das gründlich zu erledigen, sobald man zu Wort kam, weil der andere gerade mal Luft holte. Der andere sollte gedanken-gefühls-energetisch kapitulieren, und man nannte das dezent: Überzeugen. Das war auch ein Krieg des Unfugs, nur eben auf Gedanken- und Gefühlsebene ausgetragen. Und ich hatte einfach kein Interesse mehr an Krieg.

      Diese ganze Erfahrung konnte auch nur entstehen, weil ich fast zwei Jahre vorher über meine Tochter eine Bindung zu Elvira entstehen ließ und unbedacht weiter nährte. Ich ging mit Elvira in einen längeren, regen Emailaustausch, ich wusste es ja noch nicht besser. Ich hatte mich einfach auch so sehr darüber gefreut, dass Elvira meine Tochter in ihrem Au-Pair-Jahr künstlerisch und menschlich unter die Fittiche nahm, ich war so dankbar und hatte große Lust, Gran Canaria auch selbst kennen zu lernen. So viel Sonne! sagte ich mir immer wieder. Warum nicht, ich war doch Rentner.

      Und meine Tochter hatte Elvira natürlich auch von ihrer Mama erzählt und auf meine Webseite verwiesen, kurzum, Elvira lud mich ein, bei ihr auf Gran Canaria zu leben und mit ihr zusammen zu filzen, und das war eigentlich ganz großzügig und wunderbar, und sie wollte mit mir gemeinsam sogar das Filzen auf der Insel einführen.

      Meine Tochter und ich hatten in unserer Dankbarkeit immer den großen Wunsch gehabt, Elvira zu helfen, denn die lebte in einer Dauerkrise, so formulierte es meine Tochter

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