Die Gewalt des Sommers. Gunter Preuß
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Gewalt des Sommers - Gunter Preuß страница 11
Mach´s gut. Boris
Von nun an wollte er auch Ullis Blicken ausweichen. Es sollte wieder sein wie vor ein paar Tagen, als gäbe es sie nicht.
Bei der Morgenwäsche drängte Kalinke Boris unversehens hinter ein Toilettenhäuschen. Der breitschultrige Junge stand in Pose, alle Muskeln des nackten Oberkörpers angespannt. Er hatte die Arme angewinkelt und etwas erhoben, die Hände waren geballt. Kalinke schniefte wie Boxer, denen das Nasenbein gebrochen war, und sagte: „Hör mir jetzt gut zu, Pflaume.“
Boris stieß Kalinke zurück. „Was willst du von mir, he?“
„Ich will, dass das klar ist!“
„Was denn?“
„Verdreschen werde ich dich sowieso“, sagte Kalinke. „Aber es liegt an dir, ob du gleich in der ersten Runde k. o. gehst oder nur nach Punkten verlierst.“
„Klar liegt´s an mir“, entgegnete Boris gereizt. „Aber ich werde dich besiegen!“
„Träum nur schön weiter.“ Kalinke lachte abfällig. „Du gibst mir jetzt dein Wort, dass du von Ulli wegbleibst. Sie - es ist - also sie gehört mir.“
„Hast du sie dir im Konsum gekauft, oder was?“
„Werd bloß nicht noch frech!“
Boris war verunsichert. Gehörten Kalinke und Ulli womöglich zusammen? Bis vor Kurzem hatten Mädchen ihn nicht interessiert. Erst mit Vera war diese Unruhe in ihn gekommen, die sich durch Ulli noch verstärkt hatte. Er wollte jetzt nicht einfach klein beigeben. Kalinke reizte ihn überhaupt immer zum Widerspruch.
„Wenn ich´s nicht mache?“
„Dann blamiere ich dich. Vor Ali. Du weißt ja, wie der Chef über Verlierer denkt.“
Boris hörte Ali beschwörend sagen: „Was zählt, ist der Sieg, nur der. Alles dem Sieger. Nichts dem Verlierer.“ Solche klaren Regeln taten Boris gut. Bei vielem, was er lernte, wusste er nicht, was er davon glauben sollte. Regeln machten es einfacher. Manche schmeckten bitter, doch das ließ sich wegschlucken.
„Gib mir dein Wort, dass du die Finger von Ulli lässt“, forderte Kalinke.
Der Bruch mit Vera war Boris leichter gefallen. Mit Ulli schien etwas zu beginnen. Es reizte ihn, dass er nicht wusste, was ihn erwartete. Doch er wollte tun, was getan werden musste. Zwischen Ali und ihm durfte nichts stehen. Niemals. Ihn fröstelte bei dem Gedanken, dass Ali sich von ihm abwenden könnte.
Er stieß hervor: „Mach doch, was du willst, Kalinke. Ich kenne die doch gar nicht.“
„Danke“, sagte Kalinke ungewöhnlich milde. Er streckte Boris die Hand hin, zog sie aber zurück, als der nicht gleich einschlug. Der klotzige Junge ging leichtfüßig davon. Bestimmt wäre er gerne losgerannt oder in die Luft gesprungen. Aber das war ihm dann wohl doch zu kindisch.
Boris neidete Kalinke das Glücksgefühl. Noch immer sah er ihm hinterher. Horst machte sich gleich wieder an die Seite seines Freundes. Kalinke stieß ihn zurück und blickte sich kurz um. Die beiden entfernten sich in Richtung der Zelte.
Am Waschplatz wartete Ralle auf Boris. Inzwischen waren sie allein. Ralle saß in seinem „Schwulenfrack“, wie die Jungen den viel zu großen weißen Bademantel nannten, auf einem Baumstumpf an der Holzsammelstelle. Boris beugte sich über die Zinkwanne, drehte einen Wasserhahn auf und hielt den Kopf unter das sprudelnde Wasser. Er schnappte nach Luft, die Kälte stieß durch seine Schädeldecke in alle Bereiche des Körpers. Er musste sich festhalten, nur mühsam konnte er einen lustvollen Schrei unterdrücken. In plötzlichem Überschwang sagte er zu Ralle, der ihm schweigend zugesehen hatte: „Na, Junge.“
„Jaja“, sagte Ralle und nickte wie einer, der sich auskennt. „War was?“
Boris rubbelte sich mit dem von Anna mitgegebenen Handtuch ab, das rau wie eine Bürste war. Aus dem weit oben am Stamm einer Fichte angebrachten Lautsprecher des Lagerfunks war ein munterer Kinderchor zu hören: „Gu - ten Tag, du neu - er Mor - gen, bist so jung und frisch wie wir, und so will dich sin - gend grü - ßen je - der Jun - ge Pi - o - nier ...!“
„Kalinke. Du kennst ihn ja.“
„Ja und?“
„Wusstest du, dass Kalinke, dass er mit der - wie heißt sie doch gleich - zusammen ist?“
„Ulrike Blau.“
Boris ließ sich vornüber fallen, fing sich mit den Händen ab und drückte Liegestütze. Aus dem Lautsprecher tönte der Chor weiter: „Blaue Fahne mit dem Zeichen, das für uns Verpflichtung ist, sollst auch heute uns begleiten, Fahne, sei auch du gegrüßt.“
„Sie gefällt dir, was?“ Ralle lachte unsicher.
„Du spinnst doch wohl.“ Boris keuchte, er hatte sich beim Zählen vertan, sprang auf und begann mit Kniebeugen, wobei er laut mitzählte.
„Ich spinne aber nicht“, sagte Ralle eifrig. „Kalinke spinnt. Die Ulli hat doch nur Augen für dich.“
Abermals hatte Boris beim Zählen den Faden verloren. Er begann, am Ort zu rennen.
„Ganz gewiss bringt Glück und Freude heut uns jeder Stundenschlag ...“
„Lass doch mal den Bauchtanz“, sagte Ralle ärgerlich. „Du bist doch kein Hampelmann.“
„ ... Fröhlich wolln wir dich begrüßen, guten Morgen, neu ...T...g!“
Die letzten Worte gingen in Gepolter unter. Mit einem Würgen, als hätte sich jemand verschluckt, verstummte der Lautsprecher schließlich.
„Mach schon“, sagte Ralle. „Setz dich endlich.“
Boris´ Bewegungsdrang war so plötzlich abgeflaut, wie er gekommen war. Heute blieb noch genug Zeit, zu trainieren. Mit gekreuzten Beinen setzte er sich neben Ralle auf den Sandboden.
„Die Kiste da oben hat einen Wackelkontakt.“
Ralle machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Wir müssen zum Frühstück.“
Als Ralle keine Anstalten machte, aufzustehen, lehnte Boris sich an den Holzstapel. Durch eine Waldschneise berührte ein Sonnenstrahl sein Gesicht. Er schloss die Augen, es war, als läge wieder eine Hand auf seiner Stirn. Nicht irgendeine Hand. Eine Mädchenhand ...
„Du denkst wohl, ich habe keine Ahnung“, sagte Ralle. „Weil ich fett und schwabbelig bin wie ein Zwergflusspferd. Das denken doch alle.“
„Wovon denn Ahnung?“, fragte Boris vorsichtig.
„Ich weiß schon Bescheid. Über Kalinke. Über die Mädchen und so. Und über dich.“
„Was willst du schon wissen?“
Boris´ Lider zitterten, das angenehme Gefühl von Nähe war verschwunden. Die Bilder der Nacht bedrängten ihn nun auch am Tag: