Die Gewalt des Sommers. Gunter Preuß

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Die Gewalt des Sommers - Gunter Preuß

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kam außer Tritt, er atmete befreit auf, als der Trainer gewohnt sicher sagte: „Ganz ruhig. Keiner kommt zu kurz. Hab´s im Griff, hab ich.“

      Zurück im Zeltlager sagte Ali: „Ordentlichen Schluck jetzt, trink mal. Hau dich aufs Ohr, ein Weilchen. Dann leichte Gymnastik. Nicht nervös werden, kein Grund.“

      „Ja, Ali. Ja.“

      Als Boris ins Zelt schlüpfen wollte, hielt der Trainer ihn zurück. Er deutete einen Leberhaken an und sagte freundschaftlich: „Kriegen wir hin.“ Rückhaltlos fügte er hinzu: „Heißt: Sauber bleiben. Verstehst.“

      „Verstehe, Ali“, beeilte sich Boris zu versichern. „Du kannst dich auf mich verlassen. Mein Pionierehrenwort. Ich gelobe es.“

      12.

      Das Zelt war leer, es roch nach abgestandener Luft, die Sachen waren klamm. Boris streckte sich auf seinen Schlafdecken aus, rollte sich dann auf die Seite, zog die Beine an und drückte die Stirn auf die Knie. Es kostete Überwindung, die Augen zu schließen. Bilder deckten sich wie beim Kartenspiel in schneller Folge auf. Gleich wendeten sie sich und zeigten das Gegenteil von dem, was sie ihn zuvor hatten erkennen lassen. Da war keine Ordnung reinzubringen. Der Wunsch nach Ruhe verstärkte nur seine Unruhe. Er schnellte hoch, zerrte eine leere Flasche aus dem Campingbeutel, lief zur Waschanlage, hielt den Kopf unter den Wasserstrahl und trank gierig. Er füllte die Flasche mit Wasser, sah ringsum und stieg unweit des Lagers in eine mächtige Kastanie.

      Den Baum hatte wohl ein Blitz gespalten, im oberen Bereich strebte er in zwei Teilen auseinander. Es war, als seien sie ungleiche Geschwister, die Abstand voneinander brauchten. Vom mächtigen Stamm aber wurden sie in ihrem Grund zusammengehalten. Obwohl ihre Blätter in der Form einander gleich waren, war der Teil nach Süden hin dichter belaubt als der, welcher sich der Nordseite zuneigte, der wiederum ein kräftigeres Grün zeigte.

      Zwischen den Baumteilen war eine Art Mulde entstanden, die Boris mit Grasbüscheln ausgepolstert hatte. Da hinein hockte er sich. Schon einige Male hatte er sich hierher zurückgezogen. Hier war er ungestört, konnte in das Lager einblicken und durch eine Waldschneise Himmel und Meer scheinbar aufeinandertreffen sehen. Er pflückte ein Blatt, legte es sich auf die Stirn und schloss die Augen. Wieder spürte er ihre Hand, leichter als das Blatt, und irritierend pulsierte ihre Wärme durch seinen Körper. Bevor er in ihr Gesicht blickte, öffnete er die Augen und setzte sich auf.

      Schräg über ihm überraschte ihn der Himmel aufs Neue mit seinem Farbenspiel. Er war nie ohne Bewegung. Bei Windstille wirkte sein Blau wie auf eine riesige Leinwand aufgetragen. Aber immer fand Boris da hinein. Manchmal stieg er in einen Kahn, der für ihn bereitstand, und ließ sich treiben, ohne dass ihn jemand hätte aufhalten können.

      Der Kahn lag auch heute für ihn bereit. Doch diesmal war es kein sanftes Dahingleiten, sondern ein Rütteln, als befände er sich in einem Handwagen, der über das Kopfsteinpflaster von Lerchau gezogen wurde. Das war ihm noch nie passiert, so oft er hier oben war. Enttäuscht ließ er den Blick hinüber zum Lager schweifen. Dort war es ruhig, hin und wieder kam aus dem Essenszelt oder einem der anderen Zelte ein Junge oder Mädchen, um sich zu vergewissern, ob die Sonne noch einmal herausgefunden hatte. Aus dem Lautsprecher am Waschplatz sang ein Kinderchor: „... Pi-o-nie-re wolln wir sein, ge-hen mit in eu-ren Reihn. So-zia-lis-mus ist´s al-lein, der zum Sie-ge führt! ...“ Die blaue Freundschaftsfahne mit dem Pionierabzeichen und der Aufschrift Für Frieden und Sozialismus – immer bereit! zuckte, noch schwer vom Regen, im aufgekommenen Wind.

      Boris wollte sich wieder dem Himmel zuwenden, da sah er Ralle am Waschplatz aus dem Toilettenhäuschen kommen. Er musste die ganze Zeit über, in der Boris auf der Kastanie war, da drinnen gehockt haben. Ralle lief tollpatschig zur Waschanlage, drehte einen Wasserhahn auf, hielt ohne hinzusehen eine Hand darunter, die zurückzuckte. Den Kopf gesenkt suchte er die Gegend ab. Schließlich drehte er den knarrenden Wasserhahn wieder zu. Mit allerlei Gehabe, das ihn wohl unauffällig erscheinen lassen sollte, aber erst recht Aufmerksamkeit erregte, näherte er sich der Fichte mit dem Lautsprecher. Ralle bückte sich, rutschte aus einer Sandale, zog sie wieder an, ging ein paar Schritte in den Wald hinein, kehrte wieder zurück.

      Boris hockte angespannt in der Gabelung des mächtigen Baumes. Was das da unten wohl werden sollte? Dieser Ralle war schon ein Kauz. Er war nicht wie die anderen Jungen, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit in eine Gruppe gehörten. Ali mochte Ralph Malisch nicht, er zählte ihn zu den Schwächlingen, die versagten, wenn es drauf ankam. Und doch fühlte sich Boris zu dem plumpen Jungen hingezogen.

      Ralle streifte die Sandalen von den Füßen, spuckte in die Hände und versuchte ungeschickt die Fichte zu erklimmen. Er rutschte ab, sah sich abermals um und probierte es von neuem.

      Boris meinte, den Jungen stöhnen und fluchen zu hören. „Du kommst da nie rauf, wetten“, sagte er halb mitleidig, halb belustigt. „Was soll das überhaupt, he?“

      Ralle war ausdauernder als man es hätte vermuten können. Schließlich erreichte er doch die ersten Äste, worauf er erst einmal verschnaufte. Bald kletterte er weiter und verschwand unter dicht benadelten Zweigen. Nur das Schwingen des jeweiligen Astes, den er gerade verließ, zeigte an, dass er es wieder ein Stück höher geschafft hatte.

      In der Fichte bewegte sich nun nichts mehr. Ein paar Augenblicke war es still, bis der Lautsprecher, aus dem gerade ein Lied verklungen war, blechern einsetzte: „Mein Bru - der ist Sol – dat im gro - ßen Pan – zer – wa – gen, und stolz darf ich es sa – gen ...“

      Der Chorgesang unterbrach mit einem lauten Knacken. Die heftige Bewegung der Fichtenzweige verriet, dass Ralle ungewollt schnell auf dem Weg nach unten war. Etwas Schweres schlug dumpf auf dem sandigen Boden auf.

      Ralph Malisch lag wie ein monströser Käfer auf dem Rücken und rührt sich nicht. Boris war hochgeschreckt. Dann aber zuckten Malischs Arme, die Beine, er hob den Kopf und stöhnte jämmerlich.

      Ralle wälzte sich auf die Seite, schaffte es auf die Knie. Als jemand die Lichtung betrat, rappelt er sich hoch und schlug sich humpelnd ins Gebüsch.

      Boris wollte hinterher, er musste ohnehin ins Lager zurück, da sah er, dass die Neuankömmlinge am Waschplatz - Kalinke und Ulli waren. Er drückte sich mit der Faust auf den Magen. Sein Herz wummerte. Geräuschlos stieg er vom Baum, verharrte, schlich dann doch näher an die beiden heran. Wohl war ihm dabei nicht. Was interessierte ihn schon diese Ulli. Kalinke würde er ohnehin bald vor die Fäuste bekommen.

      Durch das borstige Gezweig einer Wildrose sah er die beiden unter dem Fahnenmast beieinanderstehen. Nicht zu nahe, aber auch nicht so weit voneinander weg, wie er es sich gewünscht hätte.

      Kalinke schnaufte wie im Training, wenn er mit wütenden Schlägen den Sandsack bearbeitete.

      Ulli zupfte an dem dünnen Drahtseil, das zur Fahne hinaufführte. Der Eisenmast klirrte. Sie sagte ebenso unwillig wie neugierig: „Also warum musst du mich unbedingt sprechen?“

      Kalinke trat unter die Grasnarbe, hebelte ein Stück heraus und kickte es weg.

      „Du, du hast dich wieder – mit dem getroffen!“

      „Dem?“ Die Stimme des Mädchens klang schnippisch. „Demonstrative können sowohl als Artikelwörter wie als selbstständige Pronomen verwendet werden. Also Dativ Singular? Dativ Neutrum? Klär mich auf. Und mach´s kurz.“

      Kalinke sagte verbissen: „Du weißt schon, wem ich meine.“

      „Nicht

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