Die Gewalt des Sommers. Gunter Preuß

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Die Gewalt des Sommers - Gunter Preuß

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spinnst doch wohl!“

      Kalinke gab erschrocken das Mädchen frei. Er trat einen Schritt zurück.

      Dass Ulli sich nicht gewehrt hatte, ärgerte Boris. Warum eigentlich? Das ging ihn alles nichts an. Er hockte schließlich rein zufällig hinterm Busch. Zu blöd. An allem war überhaupt nur Ralle mit seinem komischen Gehabe schuld. Also konnte er sich auch wegschleichen. Er massierte sein Knie, als ob es verletzt wäre.

      „Also, was ist?“ Ulli gähnte laut und rekelte sich, dass sich unter dem weißen Pulli ihre Brüste klein und fest abzeichneten.

      Boris schoss das Blut in den Kopf. Kalinke erging es ebenso. Der Kerl starrte verdammt unverschämt auf Ullis Brüste. Boris hasste ihn dafür, seine eigene Schwäche aber verabscheute er.

      Und das Mädchen – sie lächelte, aus den Augen, von den Lippen, der Stirn, den Wangen, so hatte Boris noch kein Mädchen lächeln gesehen.

      Als Ulli die Arme fallen ließ, atmeten beide Jungen gleichzeitig tief ein. Kalinke schlug wuchtig in die Luft.

      „Es ist“, sagte Kalinke in plötzlicher Wut, „dass du dich mit dem - mit diesem Versager getroffen hast!“

      „Ich?“ Das Mädchen gab sich zutiefst erstaunt. „Ich kenne keinen Versager.“

      „Du kennst den schon. Ich meine diesen - Boris. Sein Vater hat Republikflucht begangen. Mit seiner Mutter, was war da eigentlich? Sie soll ...! “ Kalinke verstummte und sagte dann: „Heute Abend werde ich ihn weghauen! Der wird nie wieder in den Ring steigen!“

      „Nun hör aber auf“, rief Ulli. „Ja, woher willst du denn das alles wissen? Das mit seinen Eltern?“

      „Ich habe meine Leute.“ Kalinke verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust.

      „Horst, ich weiß. Der schnüffelt ja überall herum.“

      „Der ist schon in Ordnung. Er ist - treu.“

      „Klar doch. Wie ein Hund.“

      „Jedenfalls kann ich mich schwer auf ihn verlassen.“

      „Dein Schnüffler hat dir natürlich gesteckt, dass - wie heißt der, von dem du da redest, doch gleich?“

      „Abendroth.“

      „Dass ich ihm zufällig begegnet bin.“

      Also war Boris in der Heide doch jemand gefolgt. Das Gefühl, nie unbeobachtet zu sein, häufte sich. Was der Großvater brummte, stimmt wohl: „Man muss halt mit allem rechnen.“

      Kalinke, eben noch verlegen, hob die Stimme: „Du gibst also zu, dass du mit dem zusammen warst?“

      Das Mädchen drehte sich um sich selbst, den Kopf im Nacken, die Arme ausgebreitet. Ihr blauer Rock hob sich, bildete eine bunte Glocke und ließ bis zu den Oberschenkeln die braunen Beine sehen.

      Boris verschlug es den Atem. Dabei hatte er sie ja beim Baden schon fast nackt gesehen.

      Das Mädchen, taumelig geworden, blieb ruckartig stehen, sie sagte bestimmt: „Ich kann zusammen sein, mit wem ich will.“

      „Kannst du nicht. Ich bin dein Freund!“

      „Wer sagt das denn?“

      Ulli trat an Kalinke heran, sah ihn an, dass er den Blick senkte. Kalinke schluckte und murmelte: „Würdest - möchtest du - meine Freundin sein?“

      „Ich meine – könntest – würdest du mit mir gehen - wollen?“

      Boris spürte ein unerträgliches Brennen in den Handflächen. Er zog die blutigen Hände aus dem Hundsrosenbusch und drückte sie in den sandigen Boden.

      „Ich?“

      Ulli schüttelte wie über sich selbst erstaunt den Kopf, sagte auf Russisch: „Tschjort!“, was verflixt und Teufel hieß. Dann sagte sie: „Tja also – ich weiß ja nicht.“

      In Boris flatterte es, sein ganzer Körper bebte. „Aber du weißt es doch!“, stieß er hervor. „Du musst es wissen!“ „Hast du denn was - gegen mich?“

      Kalinkes Stimme, gewöhnlich blaffend, klang sanft. Ähnlich hatte Boris sie gehört, nachdem er Kalinke am Waschplatz versichert hatte, dass ihn das Mädchen nicht interessierte. Es war, als steckte in dem bulligen Körper noch ein anderer Junge, der sich gar nicht so sicher war.

      „Ich?“

      Boris ballte die Hände im Sand. Ulli wollte doch nur Zeit gewinnen. Sie sollte Kalinke abblitzen lassen. Warum nur kam er nicht weg von hier? Er war ja so ein verdammter Schwächling.

      „Ich habe nichts gegen dich“, sagte Ulli. Sie ließ das Drahtseil rhythmisch an den Mast schlagen. „Es ist nur ...“

      „Was ist? Sag´s mir. Bitte.“

      „Ich weiß ja nicht. Du bist nicht so ...“

      „Wie denn? Wie bin ich denn?“

      „Ach, hör doch auf“, sagte Ulli. Sie lachte gepresst. „Ich weiß doch auch nicht. Wir werden´s ja sehen.“

      „Was werden wir sehen?“

      Boris hatte leise mitgesprochen.

      „Bin ich vielleicht eine Wahrsagerin?“ Ulli lachte nun überdreht. „Bin ich etwa Kassandra, die den Trojanischen Krieg vorhergesagt hat? Du hast doch im Unterricht gut aufgepasst, Kleiner? Oder bin ich gar eine Pythia aus Delphi?“

      Das Mädchen bewegte den Oberkörper geschmeidig wie eine Schlange, erstarrte in der Bewegung, verdrehte die Augen, als sei sie in Trance. Über ihre leicht geöffneten Lippen kamen unverständliche Laute. Sie tat, als käme sie langsam wieder zu sich, sah Kalinke streng an und sagte: „Nun deute mal, großer Priester, was ich da von mir gegeben habe.“

      Kalinke, noch ganz unter dem Eindruck von Ullis Verwandlung, war baff.

      „Vielleicht bin ich ja doch eine Pythia.“ Ulli warf den Kopf in den Nacken. Frech fügte sie hinzu. „Eine Jungfrau, wie die Pythien es wohl sein sollten, bin ich ganz gewiss noch. Das war´s dann aber auch.“

      Wieder errötete Kalinke, er sagte: „Was? Ach so. Ja. Klar.“

      Die Fanfare rief vom Lager her zum Sammeln. Boris wartete, bis sich zuerst Ulli und dann Kalinke zu den Zelten davonmachten. Dann taumelte auch er los. Nur gut, dass er bald zuschlagen konnte.

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