WEHE… WENN. Andrea Lieder-Hein
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Als 1994 ein junges Mädchen vor ihm stand und fragte, ob sie bei ihm ihr Freiwilliges Soziales Jahr machen könne, da hatte er laut gelacht. Ein graziles, bildschönes Mädchen auf seinen Schiffen? Was wollte sie da? Bedienen?
Er erfuhr, dass sie gerade ihr Abitur bestanden hatte und erwachsener werden wollte, hier in Hamburg.
Sie hieß Kaatje Wittgens und kam aus Bremen. Und sie schlich sich in sein Herz. Er war schon 47, ledig und kinderlos, aber er hatte nie Zeit gehabt, sich um eine Frau zu kümmern. Und nun war da eine, zum Greifen nahe.
Einige seiner Freunde waren entsetzt, als er sie 1995 heiratete. In Bremen. Dort wohnte Kaatje in einer WG und dort hatte der Vater eine gut gehende Praxis. Gynäkologe.
Die Reederei hatte auch ihn eingeladen, aber Kaatje war entsetzt über die Einladung und sprach während der gesamten Feier kein einziges Wort mit ihrem Vater. Sie hatten sich wohl vor Jahren schon zerstritten, aber Kaatje hatte das nie erwähnt. Und Hans-Heinrich hatte dann auch nicht mehr gefragt.
Kaatje war 26 Jahre jünger als er, aber das hatte er nie gespürt. Sie war ihm eine ruhige, besonnene Frau. Sie studierte in Bremen Tiermedizin und machte trotzdem den Haushalt. Sie war liebevoll, sie war seine große Liebe.
In den Semesterferien lebte Kaatje bei ihm in der Hamburger Villa. Für die Studienzeit hatte er ihr ein kleines Holzhaus in Uni-Nähe gekauft. Etwas einsam und am See gelegen, damit sie in Ruhe lernen konnte. Die WG schien ihm für Kaatje wenig geeignet für ein so anstrengendes Studium. Dort, im kleinen Holzhaus, besuchte auch er seine Kaatje so manches Wochenende, wenn sie dort arbeitete. Aber die meisten Wochenenden verbrachten beide zusammen in Hamburg.
2001 reichte er dann die Scheidung ein. Seine Familie drängte ihn dazu, weil Kaatje keine Kinder bekam. Sie hatte sich dann untersuchen lassen. Der Arzt stellte fest, dass sie nie Kinder würde bekommen können. Aber er brauchte einen Erben für die Reederei.
Und jetzt? Diese Schlagzeilen? Verheerend für sein Unternehmen.
Damals heiratete Krohn im gleichen Jahr die geschiedene Eva-Maria Huber aus Wien. Sie war Lehrerein und er lernte sie auf einem Ball kennen. Sie war bescheiden, klug und nett. Auch ansehnlich. Aber ihr Vorteil Kaatje gegenüber war ihr Sohn Jonas. Er war damals 27, genauso alt wie Kaatje, und bereitete sich gerade auf das zweite Staatsexamen vor. Ein Einser Abitur. Studium Jura, Promotion, alles in kürzester Zeit. Er war hoch intelligent. Aber er war auch gut aussehend. Das wurde später zu seinem Problem.
Hans-Heinrich wünschte sich nichts sehnlicher als die Zeit zurück drehen zu können. Hätte er Kaatje nicht so sinnlos weggegeben, wäre er heute noch glücklich. Auch ohne Kinder. Aber niemand konnte in die Zukunft schauen. Sicher hätte Kaatje die Reederei selbst führen können. Oder ein Geschäftsführer im Team mit Prokuristen. Aber so weit hatte er damals nicht gedacht. Kaatje studierte Tiermedizin und die Reederei war ein altes Familienunternehmen.
Hans-Heinrich fühlte sich immer einsamer, seit seine Eva im März 2011 an Brustkrebs verstorben war. Einsam und ungeliebt. Versehen mit einer raffgierigen Familie. Und dann war da Kaatje. Hätte er damals nur...
Er griff zum Hörer, um Kaatje von ihrer unerwarteten Erbschaft zu berichten, aber niemand nahm ab. Kaatje war noch in München.
Kaatje bei facebook
Als Kaatje die Augen öffnete, blickte sie auf einen knallblauen Himmel. Die Sonne schien, das Frühstück lockte. Ihr letztes in München.
Sie stieg vorsichtig aus dem Bett und ging zum Fenster. Die Isar floss wie schweres Blei dahin, grau und müde. Kaatje drehte sich um und schaute auf ihr Smartphone. Sollte sie eben doch mal....? Nein, noch nicht, nicht ungeduscht und nicht mit leerem Magen.
Duschen war eines der besten Dinge, die es in Kaatjes jetzigem Leben gab. Minutenlang unter dem heißen Strahl stehen, den Kopf völlig leer geduscht von all’ den hässlichen Gedanken, einfach nur Mensch sein, das waren Erlösung und Glück zugleich. Die harten Strahlen trommelten Kaatje durch die langen Haare hindurch direkt auf ihre Kopfhaut bis tief in die verwundete Seele hinein. Leergeduscht, alle Sorgen weggewaschen durch den Abfluss eines Hotels in München. Für immer weg. Für diesen Tag jedenfalls.
Geschminkt und angezogen stieg Kaatjes Laune bis ins Unermessliche. Fröhlich griff sie zu ihrem Handy, mit leerem Magen, aber was soll’s!?
Bei FB stieß sie dann auf die verdrängte Freundschaftsanfrage von Emma. EMMA, DU ALTE HEXE. Du Biest, DU TEUFEL!!! Ich hasse dich, du mieses Schwein! DU hast mein Leben zerstört....
Kaatjes Laune sank schneller als sie vorher angestiegen war. Mit weichen Knien wankte sie zum Bett und setzte sich hin.
Sollte sie dieser Frau antworten? Sie wollte sie NIE wieder sehen, NIE wieder mit ihr Kontakt aufnehmen... wenn da nicht Meeno gewesen wäre. Ihren Meeno würde sie gerne wiedersehen. Ihre Finger zitterten und kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Dann plötzlich, ohne es recht zu wollen, hatte sie den Button berührt. Freundschaft akzeptiert.
Kaatje war wie von Sinnen, taumelte ins Bad und erbrach grüne Flüssigkeit, bis sie krampfend und schluchzend zum Bett wankte, tränenüberströmt und ängstlich wie ein Kind.
Kaatjes Tagebuch
Als Kaatje wieder in Bremen angekommen war, fühlte sie sich halbwegs stabil. Die beiden Hunde begrüßten sie stürmisch, ihr Bruder Thure hatte Kaffee gekocht und –Oh Wunder- Kuchen gebacken. Es war alles wie immer, es war ihr Zuhause, alles wie gewohnt.
Sie hatte neun Stunden gebraucht für die Fahrt, Pausen gemacht und sie war vorsichtig gefahren. Es war schön, dass Thure auf sie gewartet hatte. Kuchen um acht Uhr abends war zwar ungewöhnlich, aber sie hatte es genossen, nicht alleine zu sein. Nun aber war sie es, abgesehen von Amos und Pan.
Mit einem Glas Rotwein in der Hand schritt sie mutig zum Schreibtisch und holte ihr Tagebuch heraus, ihr altes Tagebuch aus Schulzeiten. Es sah aus wie ein Poesie-Album. Mit Pferdebildern und Hunden und Katzen verziert lag es nun vor ihr. Sie hatte es damals geschenkt bekommen, als sie in die 7. Klasse des Gymnasiums kam. Als Poesiealbum für ihre Mitschüler. Aber sie hatte es als Tagebuch benutzt und es waren am Ende noch ein paar Seiten leer. Da könnte sie vielleicht noch etwas ergänzen. So etwas wie ENDLICH HABE ICH IHN WIEDER!!! Meinen Meeno...
Wir sind 32 Schüler und manche Mädchen tragen Röcke. Wie affig. Ich sitze neben Bine, Sabine Müller, sie ist nett, aber ein bisschen schüchtern.
Kaatje musste schmunzeln. Bine, sie war nur drei Monate auf dem Gymnasium. Dann hatten ihre Eltern sie wieder abgemeldet. Sie schaffte den Stoff nicht, meldete sich nie und war immer nur traurig. Was aus ihr wohl geworden war?
Kaatje blätterte weiter.
Mama ist gestorben. Warum, weiß ich nicht. Ihr Herz ist einfach stehen geblieben, sagt Papa. Nun bin ich mit Papa und Thure alleine. Ohne Mama.
Ja, das war furchtbar. Kaatjes Vater war Gynäkologe in Bremen und fast nie zu Hause. Immer nur Praxis oder Klinik. Dort hatte er Belegbetten für Geburten. Kaatjes Mutter war Hebamme und half ihrem Mann immer in der Praxis, wenn sie nicht gerade Patienten