Augusta - Ihre Ehe mit Wilhelm I.. Helmut H. Schulz
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In Berlin lag das literarisch-kulturelle Leben bei den bürgerlichen Zirkeln, den Salons. Nicht das Berliner Schloss, nicht die Palais des Hochadels zogen mehr die bedeutendsten Leute an, sondern die Salons des sich mehrenden Geldadels. Und selbst wenn es der Hof gewollt hätte, wäre den Bürgerlichen, mochten sie sein, wer oder was sie wollten, der Zutritt zu den Adelsgesellschaft verwehrt gewesen. Nicht aber umgekehrt. Die königlichen Neffen und Enkel besuchten mittlerweile unbekümmert die Salons jüdischer Bankiers, wo sie die Gewissheit hatten, besser unterhalten zu werden, als zu Hause, und wo sie ungezwungen die Leute treffen konnten, die interessant waren, Abenteurer des Geistes und der Feder, Weltenbummler und Reisende. Nicht dass letztere Gruppe vom Hof gänzlich ausgeschlossen war, aber es bedurfte von beiden Seiten vorbereitender Umständlichkeit, wollten sich Bürger und Hochadel überhaupt auf gesellschaftlichem Parkett begegnen. Nach Ende der Befreiungskriege schlossen sich die gesellschaftlichen Schichten eher noch mehr ab. An eine massenhafte Nobilitierung der Berliner Handels- und Commerzienräte, der Geheimen und wirklichen Geheimräte war überhaupt nicht zu denken. Die erstarrten Verhältnisse lockerten sich nicht einmal unter den späteren Kaisern. Wilhelm II. pflegte die Gesellschaften des Eisenbahnkönigs Strousberg in dessen Palais in der Wilhelmstraße gern aufzusuchen, weil er dort neben einem ungeheuren Luxus, neben den modernsten technischen Einrichtungen wie Gasbeleuchtung und Haushaltselektrizität, neben Kunstausstellungen und musikalischen Darbietungen, die international berühmtesten Leute sehen und sprechen konnte. Aber der schwerreiche, findige und hochgebildete jüdische Geldfürst hätte an keiner Hofgesellschaft in einem der kaiserlichen Schlösser teilnehmen dürfen, ausgenommen den offiziösen Feiern, den Ordensverleihungen und dergleichen.
Um einen wirklich großen bürgerlichen Salon zu unterhalten, bedurfte es freilich erheblicher Geldmittel. Im Grunde hat das Bürgertum nur die gesellschaftlichen Usancen des Adel nachgeahmt, als es sich einen Besuchstag schuf, den Jour fixe, an dem das Haus allen offenstand, allen, die ihm freundschaftlich verbunden waren. Wer hier ständig zugelassen war, der durfte einen Freund, Verwandten oder Bekannten zum Empfangstag ungefragt mitbringen, musste allerdings auch gesellschaftlich für ihn bürgen. Nach Prüfung der betreffenden Person durch die Gastgeber, ob er in den Kreis hineinpasste und satisfaktionsfähig war, durfte er fortan allein zum Jour fixe kommen, dem Diener oder Hausmädchen seine Visitenkarte abgeben, mit der Bitte, sie der gnädigen Frau nebst der Anfrage zu überreichen, ob sie ihn empfangen wolle. Die heutige Party ist nichts anderes als der Empfang. Auf diese Weise formten sich allmählich bestimmte gesellschaftliche Salons. Einen der letzten Adelssalons mit einem großen Ruf haben die Radziwills in der Zeit ihres Berliner Gastspieles unterhalten. Selbstredend gab es weiter gesellschaftliche Treffen.
Besonderes geboten wurde im bürgerlichen Salons eigentlich nichts, im Gegenteil; die Gastgeber erwarteten eher etwas von den Gästen, Buch- oder Manuskriptlesung, einen Gesangsvortrag, virtuoses Klavierspiel, oder bloß die interessante Unterhaltung. In der Tat war der Salon eine soziale Notwendigkeit geworden, Begegnungsstätte Gleicher oder Gleichgesinnter; alles hing jedoch von der Persönlichkeit der Hausfrau ab, von deren Neigungen, Fähigkeiten und Wünschen. Den Frauen oblag die Führung des Salons, hier fanden sie die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas zu gelten, da ihnen alle Berufe verschlossen waren, ausgenommen vielleicht die Krankenpflege, und allmählich, zögernd, der Lehrerberuf, freilich erst nach dem Biedermeier. Hielten die Frauen im bürgerlichen Salon Hof, so waren andererseits ihre Gäste vorzugsweise Männer, die vielleicht ihre Freundinnen oder Mätressen unter der Hand in die gute Gesellschaft einschleusten, Schauspielerinnen, Tänzerinnen, dilettierende Autorinnen; alle diese Damen genossen gewisse gesellschaftliche Freiheiten, galten nun wiederum aber auch nicht als vollwertige Bürgersfrauen und waren durchaus nicht sicher, allein, ohne den männlichen Begleiter empfangen zu werden, falls der verhindert oder das Verhältnis in die Brüche gegangen war. Jedenfalls gaben Männer im Salon den Ton an, wenngleich sich ohne Zweifel alle Schattierungen des Verkehrs nachweisen lassen. ohne strenge Beachtung der Zwänge.
Der Salon, den die Rahel Varnhagen führte, erlangte neben anderen Häusern eine gewisse Berühmtheit. Dank der Vorurteilslosigkeit Enses, ihres Gatten, versammelte er ein buntes Sammelsurium aller Stände. Prinzen und Lebedamen wie Pauline Wiesel, Dichter wie Heine und Grabbe zählten zu ihren Gästen und Briefpartnern. Schon die Zeitgenossen machten ihr die naive Unbekümmertheit, mit der sie alle möglichen Leute zuließ, zum Vorwurf. Varnhagen von Ense hätte der Jüdin Rahel, infolge seines Standes wahrscheinlich den Zugang zur besseren Gesellschaft auch ohne Salon eröffnen können, aber den Salon brachte sie ihm sozusagen mit in die Ehe. Varnhagen hatte Medizin, Philosophie und allerlei Literarisches studiert, war im Gefolge des Staatskanzlers Hardenberg 1814 beim Wiener Kongress attachiert worden, später Ministerpräsident in Karlsruhe gewesen, um die Beschlüsse des Kongresses umzusetzen. Dort scheiterte er, und wurde wegen zu großer liberaler Neigungen gefeuert. Seither nannte er sich Schriftsteller und ließ sich in Berlin nieder, und irgendwie ist sein Salon oder der seiner Frau, vom Werdegang und politischem Standort typisch gewesen.
Die Rahel selbst kommt aus wohlhabendem jüdischen Hause; gleichwohl wurde sie nach dem Tode ihres Vaters von ihren Brüdern finanziell kurz gehalten, und musste ihre erste Salonresidenz in einer Dachkammer in der Berliner Jägerstraße aufschlagen. Diese Karriere ist durchaus kein Einzelfall. Neben ihr glänzte etwa der Salon von Henriette Herz, Frau des Naturwissenschaftlers und Arztes Markus Herz. Eigentlich kam die Herz über die Schüler ihres Gatten zu ihrem Salon; sie studierte sozusagen selbst auf Kosten ihrer lernwilligen Gäste, und streifte das spezielle Judentum, nicht das rein orthodoxe, sehr rasch ab, denn die Assimilation der eingeborenen Berliner Juden war natürlich Voraussetzung für einen durch eine Jüdin geführten Salon. Das Zeitalter gab sich modern und aufgeklärt, freilich nicht so aufgeklärt, dass die Berliner Theologie das Angebot einer öffentlichen Massentaufe von assimilationssüchtigen Juden mit Begeisterung aufgenommen hätte; sie lehnte das Spektakel eines demonstrativen Übertrittes zum Christentum schlichtweg ab, und sie hatte womöglich damit Recht.
Noch einen, wenn auch weniger bekannten, Salon führte Frau Schlegel, Dorothea, eine geborene Mendelssohn. Ihr philosophischer Vater, inniger Freund des Bücherschacherers Nicolai, tat ihr und sich keinen großen Gefallen, als er ihr eine europäische und christliche Erziehung verordnete, da er zugleich erwartete, sie werde in alttestamentlichem Judentum ausharren. Dorothea musste 1783 einen jüdischen Orthodoxen heiraten, der allerdings Bankier war und Simon Veit hieß. Damit hielt der Vater die Existenz seiner Tochter für nach allen Seiten hin gesichert. Sie brachte dem Veit zwei Kinder zur Welt, und brannte anschließend, 1798, mit dem um zehn Jahre jüngeren Friedrich Schlegel durch. In Gemeinschaft ging das Paar auf Reisen, die Dorothea zufälligerweise oder auch verabredet, mit Bruder und Schwager in spé, August Wilhelm Schlegel, in Paris zusammenführte. August Wilhelm war der Frau von Stael auf deren Schloss Coppel am Genfer See gefolgt, als ihr literarischer und pädagogischer Berater, heißt es. Das fanden die Forscher heraus, nicht aber konnten sie uns vermitteln, welches pädagogische Werk August Wilhelm an der Frau von Stael verrichtet hat. Berlin heißt es, ist ein Dorf, um