Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich

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Nach Amerika! Bd. 1 - Gerstäcker Friedrich

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konnte.

       Er selber kannte die Verhältnisse Amerikas nur aus Büchern, die das Land lobten, denn andere las er gar nicht und bekam er sie einmal zufällig in die Hand, so warf er sie auch gewiß mit einem Kernfluch über den ,nichtswürdigen Literaten, der wieder einmal einen ganzen Band voll Lügen zusammengeschmiert’, in die Ecke. Sein größter Ärger war aber jedenfalls – und so regelmäßig, wie die Uhr morgens acht schlug – das Tageblatt, das er der häufigen Annoncen wegen halten m u ß t e, und das ebenso regelmäßig kleine gehässige und schmutzige Artikel gegen Amerika, wie überhaupt gegen alles brachte, was sich frei und selbstständig bewegte.

       Zehnmal hatte er sich schon vorgenommen, den ,kleinen erbärmlichen Doktor’ zu prügeln, und sehr vielen Leuten würde er dadurch ein großes Vergnügen bereitet haben; aber er unterließ es doch jedesmal auch wieder, wenn sich ihm gleich oft genug Gelegenheit dazu bot; beide mußten jedenfalls schon einmal früher etwas miteinander gehabt haben, vielleicht mehr voneinander wissen, als beiden zuträglich war, und ein solcher Bruch wäre da nicht rätlich gewesen.

       Sonst lebte Weigel still und anscheinend als ein vollkommen guter und achtbarer Bürger vor sich hin, aber im Stillen wirkte und wühlte er seinem Ziel entgegen, und richtete in der Tat viel Unheil an. Seine Beschreibungen Amerikas, die er sich selber in kleinen Broschüren aus anderen Büchern zusammentrug und um ein Billiges verkaufte, waren ein langsames Gift, das er in manche friedliche und glückliche Familie warf, ein Saatkorn, das dort wucherte und Wurzel schlug, und während es die Leser anreizte nur gleich ohne weiteres ihr Bündel zu schnüren und jenen herrlichen Länderstrichen zuzueilen, wo von da an ihr Leben nur einem murmelnden Bache gleichen würde, der zwischen Bäumen dahinfließt, füllte er ihre Köpfe mit falschen Ideen und Begriffen von dem Land, das ihre neue Heimat werden sollte, und machte viele, viele Menschen unglücklich. Die neue Heimat würde ihnen mit mäßigen Ansprüchen wirklich manches geboten haben, was ihre Lage, im Vergleich mit dem alten Vaterland, gebessert haben könnte. Fanden sie sich aber, mit all’ den wilden, extravaganten Ideen, die sie durch solche Lektüre eingesogen, enttäuscht, fanden sie die Hoffnungen nicht realisiert, die man ihnen gemacht, so hielten sie sich für schlecht behandelt und unglücklich, und verfielen nun oft in das Extrem trostloser und ebenso unbegründeter Verzweiflung. Natürlich verwünschten sie darin vor allen Dingen den Mann, der sie hierher verlockt, und sie verleitet hatte, Heimat und eigenen Herd zu verlassen, einem Phantom zu folgen. Weigel aber hatte seinen Taler für den richtig abgelieferten ,Kopf’ bekommen, und dachte schon gar nicht mehr an die früher Beförderten, die seiner Meinung nach jetzt schon in einem Meer von Behagen schwammen und ,unter Palmen wandelten’.

       Herr Weigel war allein in seinem kleinen Büro, einem niedrigen, etwas dumpfen und nicht überhellen Stübchen, dessen eines breites Fenster mit durch Zeit und Rauch arg mitgenommenen Gardinen verziert war, während die Wände durch Karten und statistische Tabellen-Anzeigen von Schiffen und Gasthäusern, Plänen von den angelegten Städten oder zu verkaufenden Farmen, fast völlig bedeckt wurden. Er saß an einem hohen, ziemlich breiten Pult, das einen mächtigen Kamm von Gefachen und Schiebladen trug, und las, mit einer Tasse Kaffee neben sich, eben seinen täglichen Ärger, das Tageblatt, als es an die Tür klopfte und auf ein lautes «Herein» ein junger, sehr anständig, aber trotzdem etwas ärmlich gekleideter Mann das Zimmer betrat.

       «Herr Weigel?» sagte der Fremde mit einer leichten Verbeugung.

       «Bitte – ja wohl», sagte Herr Weigel, seine Brille rasch in die Höhe schiebend und auf seinem Drehstuhl herumfahrend, seinen Besuch besser ins Auge zu fassen. «Womit kann ich Ihnen dienen?»

       «Sie befördern Passagiere nach Amerika?»

       «Nach Amerika? – Denke so, hehehe», lachte Herr Weigel, sich vergnügt die Hände reibend. «Habe schon ganze Kolonien hinübergeschafft, Männer und Frauen, Weiber und Kinder; sitzen jetzt drüben in der Wolle und schreiben einen Brief über den anderen an mich, wie es ihnen gut geht. Da nur den e i n e n hier, den ich vor ein paar Tagen bekommen habe – der Mann ist bloß mit zweitausend Dollar hinübergegangen und hat schon eine eigene Farm, achtzig Acker Land, vierundzwanzig Stück Rindvieh, einige sechzig Schweine, fünf Pferde, und will jetzt eine Schäferei anlegen – schreibt an mich, ich soll ihm einen Schäfer hinüberschicken, aber einen, der die Sache aus dem Grund versteht, kommt ihm auf ein paar Dollar Lohn nicht dabei an – bitte, lesen Sie einmal den Brief.»

       «Sie sind sehr freundlich, Herr Weigel», sagte der junge Fremde mit einem verlegenen, wie schmerzhaften Zug um den Mund, «aber der Brief würde gerade nicht maßgebend für mich sein, da ich mich gegenwärtig nicht in den Verhältnissen befinde, gleich einen Platz zu k a u f e n. Sind die Passagepreise jetzt teuer?»

       «Teuer? Spottbillig», lachte Herr Weigel, den Brief offen wieder zurück auf sein Pult und seine Brille darauflegend, ihn zu weiterem Gebrauch bereit zu haben, «spottbillig, sag’ ich Ihnen, man könnte wahrhaftig auf dem festen Land nicht einmal dafür leben, s o nicht; und, unter uns – ich weiß wahrhaftig nicht,, wie die Leute dabei auskommen. Es muß aber die rasende M e n g e von Passagieren machen, die sie jetzt wöchentlich, ja fast täglich hinüberspedieren. Es ist fabelhaft, was jetzt für Menschen auswandern; auf einmal werden sie alle gescheit und merken endlich, was sie hier haben und was sie dort erwartet – ist doch ein famoses Land, das Amerika!»

       «Und wieviel beträgt die Passage nach dem n ä c h s t e n Hafen der Vereinigten Staaten, wenn ich fragen darf, für – für eine erwachsene Person und ein Kind?»

       «N ä c h s t e n Hafen? – Hehehe, fürchten sich wohl vor der Seekrankheit ? Lieber Gott, daran gewöhnt man sich bald; ist auch gar nicht so arg, wie’s eigentlich gemacht wird. Der Mensch, der Doktor Hayde hier im Tageblatt, hat neulich einen Artikel über die Seekrankheit gebracht, den er wahrscheinlich auch selber geschrieben und wonach einem gleich ach und weh zumute werden müßte; der ist aber nur dazu bezweckt, den Leuten das Auswandern zu verleiden. Sie möchten sie gern hier behalten, damit sie sie nur recht ordentlich plagen und schinden können, weiter nichts; davor braucht sich kein Mensch zu fürchten.»

       «Sie wollten mir aber den P r e i s der Passage nennen?»

       «Den Preis? – Ja so – warten Sie einmal», sein Blick fiel auf die Glacéhandschuhe und die schneeweiße Wäsche des Fremden, dessen etwas abgetragene Kleider er in dem halbdunklen Raum nicht so leicht erkennen konnte, oder auch übersah. «Der Preis – Dampfschiff oder Segelschiff?»

       «Segelschiff.»

       «Segelschiff – wird – sein Preis in erster Kajüte vierundachtzig Taler Gold.»

       «Und die – die billigeren Plätze?»

       «Billigeren Plätze – zweiter Kajüte oder Steerage fünfundsechzig Taler Gold…. »

       «Und Zwischendeck?» sagte der Fremde leise und verlegen.

       «Zwischendeck würde ich Ihnen nicht raten», meinte Herr Weigel, seine Brille jetzt abwischend und wieder aufsetzend. «Besonders wenn man eine Frau und ein Kind bei sich hat und es nur irgend ermachen kann, sollte man nie Zwischendeck gehen, man ruiniert sich’s und den Seinigen an der Gesundheit herunter, was die paar Taler mehr kosten.»

       «Aber Sie können mir wohl den Preis des Zwischendecks sagen?»

       «Jawohl, mit dem größten Vergnügen – Zwischendeck nach New York kostet – warten Sie einmal, ich habe ja hier die letzten Briefe von meinen Häusern. Zwischendeck nach New York kostet vierundvierzig Taler Gold.»

       «Vierundvierzig Taler?»

       «Ja, es ist ein paar Tagen erst wieder um vier Taler aufgeschlagen, weil die Leute eben nicht Schiffe genug anschaffen können. Ist fabelhaft, was besonders

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