Sisgard und Alveradis. Norbert Wibben
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Читать онлайн книгу Sisgard und Alveradis - Norbert Wibben страница 4
»Der Spruch war auch Teil meiner Schutzzauber gestern. Ich habe ihn darin aber nur kurzzeitig wirkend genutzt, da eine länger anhaltende Amnesie den anderen sicher aufgefallen wäre. –
Zu unserem Schutz müssen wir aber die stärkste Variante nutzen: »Anghofio totalus« bewirkt eine vollkommene Amnesie. Das können wir bei Tieren sicher problemlos nutzen, bei Menschen sollte »Anghofio« ausreichend sein. Das bewirkt nur einen kurzzeitigen Gedächtnisverlust. Ich möchte nicht, dass möglicherweise unschuldige Personen plötzlich ihre Familien nicht mehr kennen.«
»Ich werde diese Zauber unterwegs üben, wir sollten sie jederzeit anwenden können«, antwortet er.
»Gut, dann brechen wir jetzt auf.«
Nachdem sie das Haus verlassen haben, wandern sie in den noch jungen Morgen. An den Gräsern hängende Tautropfen glitzern in den ersten Strahlen der Sonne. Sie gehen an den Mauerresten der Klosterruine vorbei und durchschreiten die Torpfosten der ehemaligen Klostermauer.
Nach einer halbstündigen Wanderung biegen sie von dem Weg Richtung Moor in einen schmalen Pfad ein. Dieser windet sich durch eng stehende, junge Bäume, die ein geschlossenes Blätterdach über ihnen bilden. Es riecht leicht moderig und an einigen Stellen sind dunkelbraune Pilze auf dem Waldboden zu sehen.
Der Pfad ist hin und wieder mit alten Steinplatten belegt. Er muss früher von den Klosterbewohnern genutzt worden sein. Aber heute liegt er einsam vor ihnen. Kein anderes Lebewesen zeigt sich, weder am Boden, noch in den Zweigen der Bäume und auch nicht in der Luft.
Trotzdem sind Finley und Eila vorsichtig und wachsam, während Albin in einem geringen Abstand vorausläuft. Ab und zu bleibt er stehen, um sich nach ihnen umzusehen. Dann läuft er wieder weiter.
Die Wanderung unter dem Blätterdach ist angenehm. Der langsam aber stetig steigende Pfad beschreibt manchmal große Bögen, so dass sie meinen, nicht vorwärts zu kommen. Jetzt geht es plötzlich recht steil abwärts. Es zeigen sich immer öfter moosbewachsene Sandsteine. Zusätzlich erschwert Geröll auf dem Weg das Gehen. Während sie, um sich blickend, die Landschaft nach Spähern absuchen, können sie nicht immer auf die Beschaffenheit des Pfades achten. Darum ist es gut, dass beide festes Schuhwerk tragen. Mit einem umgeknickten Fuß würde ihre Wanderung zu Sisgard erheblich verzögert werden.
Unterwegs zu Sisgard
Sie hören das Plätschern eines Bachs, den sie bald darauf erreichen. Albin steht bereits mit seinen Vorderpfoten im Wasser und säuft schlabbernd. Die jungen Zauberer schöpfen mit den Händen etwas von dem klaren Nass und trinken ebenfalls. Auf großen Steinen am Bachlauf rasten sie eine kurze Zeit, um anschließend weiter dem Pfad zu folgen.
Der Weg wird von dem lustig murmelnden Bach begleitet, bis sie zu einer schmalen Steinbrücke kommen. Nach deren Überquerung folgt ein steiler Hang. Eila hält mit Finley Schritt, sie atmet nicht einmal schneller. Ihre Trainingsstunden mit Achaius und Deirdre haben sie nicht nur in Selbstverteidigung geschult, sie stärkten auch ihre Kondition.
Während sie den Berghang erklimmen, lichten sich die Bäume. Das Blätterdach ist nicht mehr geschlossen, so dass sie immer wieder nach oben schauen, ob dort vielleicht Vögel auffliegen oder kreisen.
»Anghofio totalus«, hört Eila ihren Begleiter rufen, während sein ausgestreckter Arm auf eine mächtige Eiche vor ihnen zielt. Sie sieht auf einem ihrer unteren Äste eine Saatkrähe, die ihre bereits gespreizten Flügel wieder sinken lässt und an ihren Körper legt. Sie reagiert nicht mehr auf die beiden Wanderer, selbst dann nicht, als diese auf dem Pfad direkt unter ihr stehen bleiben.
Zufrieden lächelnd sagt Finley: »Das hat ja gut funktioniert. Diese Krähe wird uns nicht verraten!«
Sie wandern weiter, aber beide schauen vorsichtshalber noch einmal prüfend zurück. Nein, der Vogel verlässt seinen Platz nicht.
Es dauert nicht lange, und der schützende Wald liegt hinter ihnen. Sie kommen hin und wieder an einigen Holunderbüschen, Krüppelkiefern oder Brombeerranken vorbei, die aber immer seltener werden, je höher sie den Berghang erklimmen.
Menschen sehen sie nirgends. Viele von ihnen aufgescheuchte Kaninchen werden ebenso wie einige Dohlen mit dem Vergessenszauber belegt. Als sie endlich den Bergrücken erreichen, ist es schon früher Nachmittag. Die Spätsommersonne hat noch erhebliche Kraft, so dass beide nach einer Rastmöglichkeit ausschauen. In einiger Entfernung sehen sie einen Unterstand für Schafe, in dessen Schatten sie sich im Gras niederlassen.
Während sie sich umsehen, erblicken sie in der Ferne einen grauen Hügel hinter dem durchwanderten Wald. Dessen merkwürdig gezackter Gipfel wirkt auf Eila vertraut.
Sie denkt an die Zeit der Ausbildung durch Erdmuthe zurück, dort bei dem Kloster »Das heilige Kreuz«. Leicht seufzend krault sie Albin. Überrascht stellt sie in diesem Augenblick fest, dass sie noch nicht einmal gefragt hat, wie weit der Weg zu ihrer neuen Ausbildungsstelle ist.
»Finley, wie weit ist der Weg zu Sisgard, und wann werden wir dort sein? Erwartet sie uns? Soweit ich weiß, hat sie keinen festen Aufenthaltsort. Wie sollen wir sie dann finden?«
Er blickt in ihr erstauntes Gesicht, um dann zu erwidern: »Ich habe mich schon gefragt, warum du das bisher nicht wissen wolltest. Aber es war ja auch allerhand los, darum wunderte mich das dann doch nicht.«
»Ja, das stimmt. Aber jetzt möchte ich es wissen«, kommt ihre Antwort mit leicht gekräuselter Stirn.
»Hey, das war nicht böse gemeint. – Wie du vielleicht weißt, befindet sich Sisgard meistens im Osten des Landes, wobei sie keine bevorzugte Behausung hat. Sie ist hin und wieder bei der Elfe Sorcha zu finden und manchmal in einer alten Festung an der Ostküste, die sie Castellum Saxi nennt, die Felsenburg. Sisgard hält sich bisweilen aber auch in einem kleinen Haus auf dem Land auf, das von großen Heideflächen umgeben ist. Außerdem besucht sie sehr oft ein kleines Farmhaus in der Nähe eines Dorfes, das ungefähr in der Mitte zwischen allen bisher genannten Orten gelegen ist. In diesem kleinen Weiler ist übrigens Knuth aufgewachsen. Der junge Zauberer, der durch deine Hilfe gerettet werden konnte.«
»Wie lange werden wir brauchen, um den ersten dieser Orte zu erreichen? Werde ich in dem Dorf auch Knuth treffen?«, will sie nun wissen.
Finley verspürt einen leichten Stich, als sie sich nach Knuth erkundigt, aber das ist sofort wieder vergangen. »Sie will sich sicher nur mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es ihm jetzt gut geht«, denkt er.
Laut antwortet er: »Wir werden zuerst Sorcha aufsuchen. Der Weg dorthin ist der kürzeste. Wenn Sisgard nicht dort ist, werde ich dich in der Obhut der Elfe lassen, um dann an den anderen Orten zu forschen. Dafür nutze ich den magischen Sprung, was unsere Suche erheblich abkürzen wird. Vielleicht triffst du Knuth bei unserer Suche, oder während du von Sisgard ausgebildet wirst. Wir könnten Sorcha in etwa zehn Tagen erreichen, wenn wir weiter so vorsichtig wandern. Wenn wir uns unterwegs Pferde ausleihen dürften, kämen wir schneller voran. Das müssen wir wegen möglicher Späher aber unterlassen, oder stimmst du mir nicht zu?«
»Doch, wir sollten lieber vorsichtig sein. –
Aber erkläre mir bitte, was eine Elfe ist, und warum du sicher bist, dass du mich bei ihr zurücklassen kannst, während du Sisgard suchst.«
Finley blickt sie erstaunt an, doch dann nickt er.
»Ich habe ganz vergessen, wie jung