Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich

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Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten - Gerstäcker Friedrich

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style="font-size:15px;">      „Mutter!" rief Marie, halb erschreckt, halb erfreut die Augen zu der geliebten Stimme aufschlagend, „wie bist Du hier hereingekommen?" - Sie fühlte dabei, wie sie in dem Arm der Mutter lag, die sie vornüber gebeugt hielt. Vor ihr aber kniete der entsetzliche Mann mit den Stahlinstrumenten und hielt ein Waschbecken in der Hand, in dem Blut war. Als sie jedoch davor zurückschrecken wollte, rief die Mutter wieder mit zitternder Stimme:

      „Sei ruhig, mein Kind - es ist ja Alles glücklich vorüber. - Ach, ich habe es ja gleich gefürchtet, daß es sie zu sehr angreifen würde."

      „Aber wie bin ich den wieder hier herübergekommen?" sagte Marie, erstaunt und überrascht dabei um sich herschauend. Sie lag wieder in demselben Lehnstuhl, aus dem sie vor dem schrecklichen Manne geflohen, und weder von Herrn Quetzlinberger noch Gundelrebe war das Mindeste zu sehen. - „Wo ist denn - wo ist denn die Frau Bause?"

      „Die Frau Bause!" sagte die Mutter erschreckt; der Arzt winkte ihr aber heimlich zu, der eben Erwachten nicht gleich zu widersprechen, und sagte leise und beruhigend:

      „Sie ist eben fortgegangen, liebes Kind. Sehen Sie, nun haben Sie sich vor dem Schmerz gefürchtet, und doch noch nicht das Mindeste, davon gefühlt, nicht wahr? Da, da liegen jetzt die beiden bösen Zähne, die Ihnen so heftiges /31/ Weh verursacht haben. Es sind aber auch recht häßliche Knochen, und der eine hat wirklich eine starke, schon fast reife Fistel, die Ihnen noch hätte viel zu schaffen machen können. Es war die höchste Zeit, daß sie herauskamen. Nun ist aber auch Alles überstanden, und Sie werden in ein paar Tagen wieder so gesund und munter herumspringen, wie nur je."

      „Und der Herr Quetzlinberger?" sagte Marie leise.

      „Aber, Mariechen!" bat die Mutter, ihre Stirn streichelnd.

      „Lassen Sie nur, lassen Sie nur, beste Frau Regierungsräthin," beschwichtigte sie der Arzt. „Das giebt sich Alles von selber wieder."

      „Ich habe ihr neulich von dem alten Mann erzählt," sagte die Mutter, noch immer mit ängstlicher Besorgniß in den Zügen, „und das hat sich ihr jetzt am Ende in den Kopf gesetzt."

      „Sie hat das geträumt," lächelte der Arzt; „wir haben davon manchmal die wunderlichsten Beispiele, und bei den gefährlichsten Operationen singen die Kranken nicht selten, oder träumen die schönsten, angenehmsten Sachen. Lassen Sie die Kleine eine Stunde schlafen, dann ist Alles vorüber und das Ganze wie ein Rausch verflogen, mit dem es auch in seinen Wirkungen eine Aehnlichkeit hat."

      Marie blickte in Zweifel und Schwanken zu dem Sprechenden auf, aber der Einfluß des Aethers lag noch zu lähmend auf ihrem Geiste, um sie schon irgend einen Gedanken klar fassen zu lassen.

      „Nur ein Traum," hauchte sie leise, und sank dann, die Augen schließend, in den Stuhl zurück, wo sie bald darauf in einen leisen, wohlthätigen Schlummer fiel.

      Der Arzt verließ, von seinem Erfolge vollkommen befriedigt, leise das Zimmer, und die Mutter saß neben dem kranken Kinde und bewachte mit liebender Sorgfalt, aber auch mit schon halb getröstetem Herzen die ruhigen, regelmäßigen Athemzüge der Schlafenden. /32/

      III.

      Marie schlief die ganze Nacht ununterbrochen, aber nicht so sanft und ruhig fort, wie nach der ersten erschlaffenden Wirkung des Aethers. Sie träumte lebhaft, sprach oft einzelne unzusammenhängende Worte, lachte einige Mal und faßte auch wohl krampfhaft und wie ängstlich der Mutter Hand, die nicht von ihrer Seite wich. Nichtsdestoweniger stand die Sonne schon hoch am Himmel, als sie endlich erwachte, oder vielmehr die Augen öffnete, und halb träumend noch umherschaute. Kurz vorher hatte der Hausarzt das Zimmer wieder betreten und hielt jetzt die linke Hand, den Gang des Pulses zu fühlen, während ihre Rechte in der der Mutter ruhte.

      „Mutter," flüsterte das Kind endlich leise, „liebe Mutter!"

      „Ja, mein Kind, ich bin bei Dir," sagte diese, sie an sich drückend und küssend. „Ich gehe nicht fort von Dir. Halte Dich nur ruhig, und Du wirst bald wieder vollkommen wohl sein."

      „Und darf ich dann auch wieder einmal zum Herrn Quetzlinberger und zu Gundelrebe hinüber, liebe Mutter?" fragte Marie. Die arme Frau seufzte recht tief auf, denn was das Kind aus seinem Traume sprach, klang ihr gar zu unheimlich.

      „Besinne Dich doch nur, Mariechen," bat sie endlich mit zärtlicher Stimme; „Du hast ja das Alles nur, von dem Aether betäubt, geträumt und bist ja die ganze Zeit nicht hier aus dem Lehnstuhl, nicht aus der Stube hinaus gekommen."

      „Nicht?" sagte Marie, rasch und erstaunt zu ihr aufschauend, „und ich wäre nicht nebenan in dem alten Hause gewesen?"

      „Mit keinem Fuße, Kind."

      „Aber die Thür stand doch offen."

      „Welche Thür?"

      „Nun, die an der Treppe, an der Gundelrebe schon so oft geklopft hat, wenn ich oder jemand Anderes vorüberging." /33/

      „Gundelrebe? wer um Gottes willen ist Gundelrebe?" fragte die Mutter, der die Thränen in die Augen traten.

      „Gundelrebe? ei, das ist ja der Neffe des alten Herrn Quetzlinberger, der die feine, schmale Narbe über der Stirn hat."

      Der Arzt hatte indessen noch immer ihre Hand gehalten; den Puls aber vollkommen frei von Fieber fühlend, sagte er freundlich:

      „Du bist gestern nicht aus der Stube gekommen, liebes Kind, und wie Dir Deine Mutter sagt, ist sie nicht von Deiner Seite gewichen; das darfst Du glauben. Wenn Du also wirklich fortgewesen wärest, müßte sie Dich doch gleich vermißt haben, nicht wahr? Ueberdies möchte es Dir auch schwer geworden sein, in das alte Haus hinein zu kommen."

      „Aber ich bin nun doch einmal drüben gewesen und habe es mit meinen eigenen Augen gesehen," sagte tief erröthend das Kind. Es fiel ihm jetzt wieder ein, was ihr der alte Herr Quetzlinberger gesagt hatte, daß es ihr Niemand glauben würde, und wie er dann fast erstickt war von heftigem Husten. Sie deckte dabei ihre bleiche Stirn mit beiden, fast durchsichtig dünnen Händchen und hielt eine ganze Zeit lang die Augen geschlossen. Unten von der Treppe schallte indessen Hämmern und Pochen herauf, und nachdem Marie kurze Zeit dem fremdartigen Geräusch, auf das sie erst nach und nach aufmerksam wurde, gelauscht hatte, fragte sie leise:

      „Was ist das, Mama?"

      „Das ist die häßliche Thür," erwiderte die Mutter, indem sie liebkosend das Haar von der Stirn der Kranken strich, „die häßliche Thür, die uns schon so viel Aerger, Noth und Sorge gemacht hat, und die der Rath der Stadt endlich auf Deines Vaters ernste und entschiedene Vorstellungen zu¬mauern läßt."

      „Die Tür ist offen?" rief aber Marie schnell; „siehst Du, Mama, daß ich Recht gehabt und nicht gelogen habe?"

      „Aber Du hörst ja, daß sie erst heute Morgen geöffnet wurde! rief die Mutter - „die Leute haben erst vor kaum einer halben Stunde damit begonnen." /34/

      „Und darf ich einmal hineingehen in den Gang?" fragte schüchtern Marie.

      „Gott bewahre!" rief da rasch der Arzt, „wir müssen jede solche unnöthige und thörichte Aufregung streng vermeiden, und man soll um Gottes willen nicht mit solch' albernen Geschichten spielen und Mißbrauch treiben. In die alte, unnütze Thür kommt jetzt, wie mir die Leute unten sagten, eine vier Fuß dicke Mauer, und das wird dem verrückten Mädchenschnack hier im Hause endlich einmal ein Ziel setzen. Der Herr Regierungsrath

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