Lebensweisheiten eines ordentlichen Trinkers. Helge Hanerth
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Einmalige Regelverstöße blieben sanktionsfrei. Wiederholte Regelverstöße sollten geahndet werden. Drei Regelverstöße zwangen zum Studienabbruch aus ethischen Gründen und zum sofortigen Besuch des Hausarztes für therapeutische Maßnahmen. Drei Regelverstöße, wenn auch nicht in Folge, bewiesen in meinen Augen fortgesetzten Kontrollverlust. Der war aus vielerlei Gründen nicht hinnehmbar.
Sanktionen bei Regelverstößen. Das kontrollierte Trinkprojekt brauchte Konventionalstrafen für Verstöße. Nur dann macht die Evaluation Sinn. Jede Abweichung von den Trinkmengen, die nicht vor dem Trinken festgelegt wird, sollte geahndet werden. Strafen verstärken die Sensibilisierung für Regelverstöße. Regelverstöße werfe ich mir als persönliches Versagen vor.
Ein einziger, einmaliger Verstoß sollte toleriert werden. Um Missverständnisse auszuschließen waren die Trinkmengen vor Beginn des Trinkens zu portionieren. Diese Regel gab mir Sicherheit. Mit dieser Regel war ich mutiger das Projekt durchzuziehen. Letztlich besiegelt wurde die Entscheidung durch ein leichtes Hochgefühl, hinter dem sich ein gewisser Stolz versteckte über die Macht in mir, dass auch so locker umzusetzen. Ich sah durch die Regeln und ihre Umsetzung das Vertrauen in meine Glaubwürdigkeit unterstrichen. Auch als Kind habe ich mich in ähnlicher Weise kasteit. Wer konnte nach dem Trinkprojekt noch behaupten, dass ich einer Verharmlosungstendenz oder Unschuldsfantasie erlegen war? Denen konnte man nur noch ein: ‚Dilettanten olé‘, an den Kopf werfen. Die zu erwartenden Projektergebnisse konnte man doch nur mit ideologischer Absicht abtun. Diese Möglichkeit würde trotzdem weiterhin als reale Gefahr bestehen bleiben, weil sich Gutachter weiterhin überwiegend von ihrem Gefühl aus anderen intensiveren Erfahrungen leiten lassen könnten.
Neues Wissen ist der Feind gewachsener Erfahrung. Neuen Erkenntnissen begegnet man gerne mit Vorbehalten oder Ablehnung. Das ist eine natürliche Intuition. Das musste ich mir gerade wegen meiner großen Überzeugung bewusst machen. Mit Fakten alleine konnte ich schon in vergangenen MPU’s nicht immer überzeugen. Neben meinem Trinkprojekt war es vielleicht noch wichtiger ein Konzept zu entwickeln, das neben der akademischen Ratio die Gefühlslage der Gutachter ansprach, weil dort die Entscheidungshoheit wohnte. Das war auch bei den Veröffentlichungen von Studien auf Fachkongressen und Symposien so, die ich erlebt hatte. Manchmal amüsierten mich die Verrisse der Fachkollegen, wenn sie sachlich völlig am Thema vorbeigingen. Wieso wollten da Fachleute den Fachkollegen plötzlich falsch verstehen? Die Gründe waren immer so unwissenschaftlich, wie man es von Wissenschaftlern eigentlich nicht erwarten sollte. Emotionen waren aber nun mal stärker, wenn sie von Neid bestimmt waren oder man eine Kränkung mit allen Mitteln abzuwehren suchte, weil eine jahrelang demonstrativ vertretene Position mit dem frisch präsentierten Wissen des Kollegen nicht mehr zu halten war.
Die Strafe für Versagen sollte am Tag auf ein Vergehen erfolgen. Sie musste im nüchternen Zustand vollzogen werden, um das volle Bewusstsein der Tragweite zu garantieren.
Natürlich zog ich meine Strafrituale durch. Dafür sind sie da. Das ist schlicht eine Frage der Glaubwürdigkeit mir selbst gegenüber. Die muss mit einem Testlauf bewiesen werden. Außerdem entsteht durch Strafe ein allgemeiner Nutzen. Das war letztlich in meinem Interesse. Das entschädigte und tat gut. Und ich war es den Helden vom Klondike schuldig, denen ich schon als Kind nacheifern wollte, um wie sie zu sein. Eine Alternative zur Strafe war nicht erlaubt. Am Klondike in Alaska gab es während des großen Goldrauschs auch keine Alternative. Nicht konsequentes Durchziehen bedeutete dort ein fahrlässiges Versagen, das schnell zum Tod führte. So etwas ist unverzeihlich.
Büßen ist leicht. Diese Erfahrung brachte ich aus meinen katholischen Jugendgruppen mit, wo wir Spiele spielten bei denen der Verlierer sich geißeln musste. Buße durch Selbstkasteiung war effektiv. Meine Großeltern haben solche Versuche zur Besserung unterstützt. Ihre älteste Tochter, eine Franziskanerin, besaß sogar für besondere Bußtage eine Art Fußfessel aus Stacheldraht.
Auch beim Sporttraining konnte ich die Effizienz von Leidensfähigkeit bestätigen. Ich hatte den Eindruck, meine Erfolge waren umso größer, je mehr ich mich quälte. Wurde ich beim Sport mit einer Dopaminaussschüttung belohnt, so war das zudem eine Belohnung, die keine Schuldgefühle auslöste. Ich hatte mir das dann verdient. Das Bußziel war leichter als das Primärziel. Es war im Gegensatz zum Können nur vom Willen und Fleiß abhängig. Das kann doch jeder.
Als Strafe für wiederholtes Versagen im Trinkprojekt sah ich die Verbrennung zweier 50 € Scheine vor. Vor der zweiten Scheinverbrennung war eine Pause von fünf Minuten zu machen, damit der Schmerz die volle Stärke und das volle Bewusstsein bekommen konnte. Ein schneller Affekt um es schnell hinter sich zu bringen durfte die Aktion nicht sein. Der Schmerz sollte weh tun, nur dann konnte er gut tun, denn der Schmerz ist die Voraussetzung für den konditionierenden Effekt.
Ich war mir sicher, dass meine Regel funktionieren würde. Ich weiß wie weh es mir tut, überhaupt Geld auszugeben. Schon als Kind habe ich Geld gesammelt wie Dagobert Duck. Wenn ich mir Süßigkeiten versagte, dann habe ich den gesparten Betrag als Einnahme gebucht. Die Freude am Reichwerden beflügelte mich schon damals so sehr, dass ich erst gar nicht zur Kirmes ging, um Versuchungen zu entgehen. Dabei brauchte ich die Sicherheit durch das selbst auferlegte Kirmesverbot nicht wirklich, weil schon der bloße Gedanke an eine Einnahme glücklich machte.
Durch mein ausgeklügeltes Verfahren konnte ich mir zeigen, dass ein funktionierendes Sicherheitssystem bestand aus konsequenter, folgenschwerer Evaluierung. So konnte ich vielleicht Regelverstöße schönreden oder irgendwie entschuldigen, aber ich konnte den Konsequenzen meines schriftlich, fixierten Vertrags nicht entgehen. Drei Verbrennungen bzw. Regelverstöße zwangen den Arzt aufzusuchen, weil sie Beweis wären dafür, dass ich mein Trinkverhalten nicht kontrollieren kann. Ein nicht erfolgter Arztbesuch wurde als endgültiger Regelverstoß gewertet und als abschließender Beweis für Kontrollverlust.
Alkohol durfte nur mit einem bestimmten Portemonnaie gekauft werden. Das Geld war abgezählt und eingeschlagen in einen Beipackzettel für Acomprosat einem Therapeutikum gegen Alkoholabusus. So sollte sichergestellt werden, dass nur dieser geringe Betrag ausgegeben wurde. Das limitierte die kaufbare Alkoholmenge. Diese Methode hatte sich schon bei mir im Grundschulalter zur katholischen Fastenzeit bewährt. Damals reduzierte ich so den Genuss von Süßigkeiten. Auch konnte ich den Genuss bereits gekaufter Schokoladen ausschließen, wenn ich sie in meine Kinderbibel steckte.
Jeden Tag war ein Protokoll zu schreiben. Angehängt war eine Checkliste. Oberster Eintrag war die Anzahl der Alkoholfahrten. Damit ich erst gar nicht in Versuchung kommen konnte mir weiteren Alkohol spontan zu kaufen, bevorratete ich immer eine Menge, die größer war als die tägliche Konsummenge. Das war somit auch ein Test, ob ich einer Versuchung zum Weitertrinken widerstehen konnte. Meine Angst vor Kater und dem Horrortrip durch eine Überdosis halfen diesen Test zu bestehen.
Um zu verhindern, dass ich in meiner Freizeit nur noch trank, legte ich Sporteinheiten und Regeln für den Haushalt fest. Ich musste z.B. benutze Gläser und Geschiere nach Gebrauch sofort spülen. Genau festgelegte Putzregeln bestimmten den Reinigungsplan. Pflichten durften durch das Trinken nicht vernachlässigt werden.
Mit diesem Konzept konnte ich guten Gewissens anfangen, die Wartezeit auf die Rückkehr meiner Familie zu verbringen und den schwer auflösbaren Schmerz über gutachterlichen Unwillen verwinden. Sie hatten sich trotz ihrer Expertise geweigert, eine qualifizierte Prognose für ein Individuum zu treffen. Mein Projekt kam einer echten Studie nahe. Alle Elemente waren bekannt und erprobt, neu war nur die Kombination. Insgesamt gesehen war das also eine Aufgabe, die zu schaffen war.
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