Lebensweisheiten eines ordentlichen Trinkers. Helge Hanerth

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Lebensweisheiten eines ordentlichen Trinkers - Helge Hanerth

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und Zwischentöne. In der Tiefe solcher Erlebnisse liegt die Ursache für Nachhaltigkeit und angenehme Erinnerungen. In solchen Situationen tötet Alkohol jedes Feingefühl. Das wusste ich doch so glasklar. Dieser Eindruck hatte sich durch die alkoholfreie Zeit nach meiner ersten Trinkphase noch verstärkt. Alkohol blieb das Substitut für die besseren Alternativen. Die Verachtung gegenüber Alkohol war sogar gewachsen. Konnte es überhaupt eine Droge geben, die mehr drauf hat als die Leidenschaft aktiver Kicks? Aus meiner Alkoholerfahrung heraus, gibt es auf diese Frage ein klares Nein! Wie bescheiden muss man werden oder gar verblöden, um dauerhaft mit Alkohol glücklich zu sein? Alkohol schafft nichts. Weiterkommen im Leben kann ich mit Alkohol nicht. Meine Gier nach Erfolg, da wo er meine Seele berührt, ist die stärkere Antriebsfeder. Erlebenstiefe bleibt den aktiven Kicks mit Mehrfachnutzen vorbehalten. Nur so läuft ein Leben, das mich beeindruckt und sich nicht in einer Endlosschleife beliebiger Räusche verflüchtigt, sondern auswächst zu einer lebensspendenden Kraft die immer wieder berührt.

      Mehrere Gründe mussten zusammen kommen, um mich vom Trinken zu überzeugen. Erst ein Sportunfall, der mich für Wochen arbeitsunfähig machte, war ein ausreichender Grund eine vorübergehende neue Trinkphase einzuleiten. Auch in dieser Periode kam mir Alkohol nur in den Sinn, wenn der Tag gelaufen war. Wenn nichts mehr ging oder das Bett schon rief, dann konnte Alkohol ein akzeptabler Tagesabschluss sein. Aber diese Erfahrung war nicht von Dauer. Dem Alkohol fehlten einfach ein paar Eigenschaften, um sich gegen tiefergreifende Leidenschaften durchsetzen zu können. So endete auch diese Trinkphase fast genau so, wie ich es von Anfang an vorhergesehen hatte.

      Bei meinem Ausstieg half es die Techniken und Lebensprinzipien anzuwenden, die ich bereits entwickelt hatte. Sie begleiten mich größtenteils bereits seit meiner Kindheit. Wie ich das tat und wie ich meine Werkzeuge weiter präzisierte, beschreibe ich im Detail.

      Seitdem haben sich weitere Gelegenheiten zum Trinken nicht ergeben. Ich bin in der Zwischenzeit auch anspruchsvoller geworden und erwarte mehr von Freizeitgestaltung als Alkohol und TV bieten können. Der Verlauf der zweiten Trinkphase war etwa nach der Hälfte der Zeit nur noch mäßig interessant. Alkohol war ausgereizt. Das war auch so meine Annahme vorher schon gewesen. Das hatte ich schon zuvor in den Protokollen zu der ersten Trinkphase so festgehalten. Dort stand bereits, dass ich mir sicher war, das mir Alkohol ein Auslaufmodell sein würde und die Fortsetzung des Trinkens unbefriedigend. Deswegen sehe ich auch keine Chancen für eine dritte Trinkphase. Ich würde ganz bestimmt auch nicht die Zustimmung meiner Familie bekommen. Und ich mache nichts ohne Frau und Kinder. Deswegen war diese Trinkphase schon von Anfang an terminiert auf die Rückkehr meiner Familie. Wie alles im Alltagsleben und im Beruf eines Kontrollfreaks, war das schriftlich geplant inklusive Dosisreduktionen. Ich wollte nichts dem Zufall überlassen. Der Übergang zur Rückkehr meiner Familie musste unbedingt reibungslos verlaufen.

      Ich habe mich auch gefragt, warum es mir so leicht fiel, vom Alkohol zu lassen. Die Gründe sind vielfältig und haben einen Schwerpunkt in meiner Pubertät und Adoleszenz. Für die Gutachter waren Verhaltensprägungen neben dem Craving durch Alkohol überhaupt nicht untersuchungswürdig. Sie kannten eine Art Standardalkoholiker und dieses Modell wurde universell eingesetzt. Differenzierende Zwischentöne waren unerwünscht. Beeindrucken konnte mich ihre kategorische Ablehnung bald nicht mehr, dafür hatten sie die Wahrheit zu sehr verdreht. Die Antworten die ich fand für meine Art mit Alkohol souverän umzugehen, breite ich im Buch weit aus.

      Ich will mich rechtfertigen gegen alkoholische Eindimensionalität auf beiden Seiten. Es geht bei den gutachterlichen Feststellungen ja nicht nur um Überzeugungen, sondern um amtliche Feststellungen mit dem Status von Beweiskraft. Solche Urteile sind rechtsverbindlich. Ich befürchte, dass Fundament für einen solchen Anspruch muss erst noch gebaut werden.

      Darüber hinaus glaube ich nicht, dass mein Umgang mit Alkohol außergewöhnlich ist. Andere können das auch. Wieder andere können das lernen. Ich hatte doch erst mit mitte vierzig mit dem Trinken angefangen, als ich auf eine sehr verbreitete Trinkkultur stieß. Ich kopierte doch nur das Verhalten von Arbeitskollegen, die das immer schon so machten. Diese Kollegen, die ihre Feierabende ganz unauffällig mit Alkohol vor dem Fernseher zelebrierten, gab es doch in tausenden anderen Firmen im ganzen Land. Mein Wissen über das schöne Leben mit Alkohol teile ich gern. Nachteile und Einschränkungen gab es keine. Das war ein rundum gelungener Lebensabschnitt, garantiert autofrei bei mir und den Kollegen. Auf Dauer interessanter blieben aber aktive Kicks.

      Das Buch ist der zweite Teil meiner Lebensweisheiten. Den dritten Teil habe ich bereits begonnen. Er handelt über mein alkoholfreies Leben in Asien und soll den Weg aus dem Kuckucksnest erzählen. Erscheinen wird er nach meiner Rückkehr nach Deutschland.

      Zum Schluss will ich noch anmerken, dass der Name des Autors natürlich ein Pseudonym ist. Alkoholismus ist eine Schande, damit gibt man nicht an. Außerdem will ich kein Gerede hinter meinem Rücken und schon gar nicht, wenn es berufsschädigend wird, weil sich Kollegen und Geschäftskunden daran beteiligen. Ich will nicht den Vorurteilen ausgesetzt sein, gegen die ich in diesem Buch angehe. Im Gegensatz zum Alkohol ist meine berufliche Karriere ein Angelpunkt, den ich pflegen will und mehren, weil er mein Leben schön macht so wie Frau und Kinder und vieles mehr, das nur ungetrübt von Drogen den Geist bis hin zum Anschlag kickt.

      Das neue Leben mit Führerschein

      So hatte ich endlich meinen Führerschein wieder. Das hatte lange genug gedauert und mich beinahe in eine wirtschaftliche Katastrophe gestürzt. Ich lebte wieder mein altes Leben. Alles war wieder so, wie es auch über Jahrzehnte war, nur eben nicht während der achte Monate, in denen ich täglich getrunken hatte. Die sogenannten eingeübten Verhaltensmuster bestimmten wieder mein Leben genauso wie sie es vor der Trinkphase immer getan hatten. Den Gutachtern war das Einüben von Verhaltensmustern gegen das Trinken sehr wichtig. Ich habe keine Zweifel daran, dass das Entwickeln und Einüben neuer Verhaltensmuster eine große Hilfe gegen Trinkdruck ist. Noch wichtiger finde ich aber, dass man Leidenschaft gewinnt für ein anderes Leben, denn Dinge, die permanent gefühlt werden, haben einen stringenteren Einfluss auf einen Änderungsprozess. Genügend Leidenschaften brachte ich mit. Da waren die beruflichen Herausforderungen in einer Position, die mich wichtig machten. Da war der Sport von Joggen bis Gleitschirmfliegen. Da war meine noch neue Familie und so vieles mehr. Ich war glücklich so, weil ich dieses Leben mochte, wie ich so lebte wie ich eigentlich immer gelebt hatte bis auf die Trinkphase. Von explizit neuen Verhaltensmustern konnte definitiv nicht die Rede sein. Ich lebte, wie ich fast immer gelebt hatte. Ich lebte meine Welt, die kaum Alkohol kannte, mit kleinen Änderungen wieder weiter, so wie es sich seit meiner Kindheit entwickelt hatte.

      Ich fand meine Lebensweise sehr deterministisch, weil in meinem Gehirn mein mich prägender präfrontaler Cortex mit entscheidenden Kindheits- und Jugenderinnerungen wesentlichen Anteil daran hatte. Ich setzte mein Leben fort, wie ich es schon früh in meinem Leben für gut befunden hatte. Dagegen hatte Alkohol nur Punktsiege feiern können. So musste meine Trinkphase ein Anachronismus bleiben. Ich lebte auch abstinent. Nicht das ich mich darum bemühte, aber es gab einfach keine Alternative. Alles was ich machte war interessanter. Wie konnte das auch anders sein, wenn es auch früher bei gleichem Leben keine Rolle für Alkohol gab. Es war doch erst zum Missbrauch gekommen, als es zu einer Störung in meinem Leben kam, die mir eine wesentliche Entfaltungsmöglichkeit raubte. Jetzt konnte ich wieder alle Energie rauslassen. Ich musste die Energie, die in mir kochte, verbrennen, sonst konnte ich nicht schlafen. War das denn nicht normal, wenn man voll von Lebensfreude und Leidenschaft ist Berge zu versetzen? Deswegen kniete ich mich doch so gerne in Arbeit. Wenn ich dann nicht wenigstens noch ein paar Kilometer joggen konnte, fehlte mir die körperliche Ergänzung, denn Sport war mehr als nur Ausgleich. Es war so einfach, glücklich zu sein, vor allem wenn man wusste was man braucht. Ich liebte dieses Gefühl nach dem Sport völlig ausgelaugt verdienten Schlaf zu finden. Fast acht Monate musste ich auf diesen befriedigenden Schlaf verzichten. Jetzt genoss ich es, ihn wieder zu haben.

      War es nicht auch

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