Die Sprache des Traumes – Symbolik und Deutung des Traumes – Teil 2 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Wilhelm Stekel
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Читать онлайн книгу Die Sprache des Traumes – Symbolik und Deutung des Traumes – Teil 2 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Wilhelm Stekel страница 6
Nun hören wir einmal einen Traum eines sitzengebliebenen 30 jährigen Mädchens an:
(11.) „Papa geht im Zimmer herum und schneidet allen Figuren die Spitzen der Blätter ab. Ich ärgere mich darüber und will es verhindern. Ich denke: Ist er denn verrückt geworden?“
Das Mädchen erzählt uns, ihr Papa wäre immer schrecklich eifersüchtig gewesen. Er hatte es nicht einmal geduldet, dass sie fremden Männern die Hand reiche. Es kamen nie junge Leute ins Haus. Sie durfte keinen Ball besuchen.
So kam es, dass sie sitzen blieb. Wir können auch diesen Traum grob sinnlich nehmen. Der Vater hat alle Spitzen entfernt und sie vor der Gelegenheit bewahrt, einen Phallus kennen zu lernen. Im Traume findet sie die Kraft, ihn deshalb zur Rede zu stellen, was sie im Leben leider nicht getan hat. Sie war der Typus einer gehorsamen Tochter. Sie denkt an eine Figur, die vorne ein Feigenblatt hat. Wir merken den Umweg, den die Traumgedanken machen. Wozu die Verhüllung? Wozu das Feigenblatt, wenn es der Spitzen beraubt erscheint? Sie merkt, wie sinnlos das Benehmen des Vaters gewesen. Sie erkennt das Krankhafte (Verrückte) seines Benehmens.
So haben wir an zwei Träumen gesehen, wie das „Loch" und die „Spitze“ aufgefasst werden. Die Sprache des Traumes benutzt die geheimen Kräfte, aus denen die Sprache des Tages geschaffen wurde.
Diese Symbolik gilt nicht nur für die Träume! Sie zieht sich durch die Märchen, Mythen, durch die Folklore und durch die Witze.
Am schönsten lässt sich die Symbolik am Märchen nachweisen. Traum und Märchen! Welche wunderbare Zusammenstellung! Was die Kinder erleben, das träumen die Alten. Neue Erkenntnisse tun sich auf. Wir kehren die alten Wahrheiten um und sagen: Umgekehrt ist's richtig: Was die Alten erleben, das träumen die Kinder. Das ist kein leeres Spielen mit Worten.
Freud hat uns einen Schlüssel zur Deutung der Träume gegeben. Mit diesem Schlüssel versucht Dr. Franz Riklin in den Zaubergarten des Märchens einzudringen. Und siehe da! Der Versuch gelingt. Es erweist sich, dass die Märchen der Kinder eine innige Beziehung zu den Träumen der Großen haben, dass sie durchsetzt sind von einer geheimen sexualen Symbolik die an Eindeutigkeit meistens gar nicht zu wünschen übrig lässt. Die „Wunscherfüllung und Symbolik im Märchen“ von Riklin beweist: Das Märchen hat eine geheime sexuelle Bedeutung! Auch das Märchen bildet gleich dem Traum eine „Wunscherfüllung“ im Sinne Freuds.
Die einfachen Märchen stellen gewissermaßen die einfachen Wünsche des Volkes dar, Riklin führt eine Reihe sehr bezeichnender Beispiele vor. Wer kennt nicht das reizende Märlein vom „Tränenkrüglein“ aus Bechsteins Märchenbuch? Eine Mutter weint drei Tage und Nächte um ihr innigst geliebtes Kind. Da tut sich des Nachts leise die Tür auf und das tote Kind im Hemdlein erscheint mit dem Tränenkrüglein, in dem die Tränen der Mutter gesammelt sind. Noch einige Tränen und das Krüglein ist übervoll, und das Kind kommt um seine Ruhe und Seligkeit. „Drum weine nicht mehr, denn dein Kind ist wohl aufgehoben und Engelein sind seine Gespielen“, Das Kind verschwindet. Die Mutter hütet sich vor weiteren Tränen. Das Kind soll ja nicht um den Himmelsfrieden kommen. Riklin sagt mit Recht, das Märchen könnte ebenso gut die Erzählung eines wirklich von einer einzelnen Person erlebten Traumes sein. Nun ist es nicht ein einzelnes Erlebnis, sondern dies Heilmittel ist zum allgemeinen, psychisch zweckmäßigen Glauben geworden, dass die Toten durch übermäßige Trauer in ihrer Ruhe gestört werden. Das ist nicht für die Toten ein Heilmittel, sondern für die Überlebenden. Das Motiv zeigt sich in unzähligen Variationen. In einer japanischen Erzählung von der „Nonne des Tempels von Armida“; in anderer Fassung bei Grimm als „Totenhemdchen“; in den von Rittershaus herausgegebenen „Neuisländischen Volksmärchen". Immer ist der Wunsch der Erwachsenen, ihren Kummer rasch los zu werden, das geheime Motiv des Märchendichters gewesen.
Noch tiefer als die „Wunscherfüllung“ führt uns die sexuale Symbolik in das Wesen des Märchens. Hier lernen wir vorerst, dass die Alten dem Kinde das erzählen, was sie selber gern hören. Freilich in symbolischer, das heißt in versteckter Form.
Wir unterschätzen die Bedeutung symbolischer Handlungen und symbolischer Darstellung für das gewöhnliche Leben. In Wirklichkeit können wir ohne Symbole gar nicht existieren. Riklin sagt: „Ist nicht fast jedes Wort ein Symbol? Die Schriftzeichen sind Symbole, die Worte sind Symbole, unsere Mimik, unsere Gesten sind zum großen Teile symbolisch. Eine geographische Karte ist ein Symbol. Bemerkenswert sind die sinnfälligen Symbole für Abstrakta: das Auge Gottes, die Waage, das Kreuz; die Farbensymbole: schwarz, rot; die Uniformsymbolik usw." Welche ungeheure Macht hat erst die sexuale Symbolik! Sie durchsetzt unser ganzes Leben. Es gibt keinen Gegenstand, der nicht unter Umständen ein sexuelles Symbol darstellen kann. Eine besondere Betonung, eine bezeichnende Geste, ein gewisser Augenaufschlag können aus einer harmlosen Rede eine zweideutige machen. Man denke nur an die ordinäre Symbolik des „Telephonliedes", das eine Soubrette jahrelang unter tosendem Beifall vorgetragen hatte.
Mit dem Schlüssel der sexuellen Symbolik entschleiern sich uns die verschiedenen Mythen der Völker. Auch die religiösen Überlieferungen. Ein schönes Beispiel bietet die Schlange, die in vielen Märchen eine große Rolle spielt. Sie war es schon, die Eva im Paradiese verführte, Sie erscheint jungen Mädchen („Oda und die Schlange“, Bechstein), und wenn diese den Ekel überwinden und die kalte Schlange ins Bett nehmen..., nun da verwandelt sich die schreckliche Schlange in einen jungen Prinzen, der auf diese Weise entzaubert ist. Die schlüpfrige, kalte, hässliche Schlange ist ein sexuelles Symbol, gleich der hässlichen Kröte, die zur Königstochter ins Bett steigt. (Der Froschkönig“ und „Der arme Heinrich" bei Grimm.) Auch hier bringt der überwundene Ekel einen strahlenden Märchenprinzen. Weitere Beispiele