Die Regulatoren in Arkansas. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Die Regulatoren in Arkansas - Gerstäcker Friedrich страница 8
"Wo nur der Indianer stecken mag, Bill!" sagte jetzt Harper leise und mit schlecht verhehlter Jagdlust. "Ich glaube, man könnte sich bis auf fünf Schritt an das dumme Ding heranschleichen, es merkt' es nicht. - Ach, Bill, wie ich jung war, da hättest du mich sollen schleichen sehen, ich bin einmal –“
"Wenn Sie sich hinter der Hickorywurzel hielten, Onkel, ich glaube, es ginge", flüsterte ihm lächelnd der junge Mann zu.
"Unsinn, Junge! Glaubst du, ich will mit meinen alten Knochen sonntags im Walde herumkriechen, unschuldiges Viehzeug zu erschrecken? Ich denke nicht dran." - Trotz der abweisenden Worte war Harper aber doch vom Pferde gestiegen, das geduldig und regungslos stehenblieb, und auf den Zehen schlich jetzt der kleine, dicke, weißgekleidete Mann mit immer röter werdendem Gesicht, die Wurzel eines umgestürzten Baumes zwischen sich und dem Wild haltend, auf dasselbe zu - augenscheinlich nur in der Absicht, seinen Spaß an den gewaltigen Sätzen des Tieres zu haben, wenn dieses ihn endlich, und so ganz in der Nähe, wittern würde. Dieses schien ihn aber nicht zu wittern, da es gerade gegen den Wind stand, denn wieder hob es den Kopf, streckte sich einen Augenblick und begann seine leckere Mahlzeit aufs neue.
William Brown oder Bill, wie ihn sein Onkel der Kürze wegen nannte, fing jetzt selbst an, sich für den Gegenstand zu interessieren, denn unbeweglich auf seinem Pferde sitzenbleibend, um auch das geringste Geräusch zu vermeiden, schaute er mit gespannter Aufmerksamkeit dem Vorrücken seines Onkels zu, der in diesem Augenblick zu der Wurzel kam und sich jetzt in kaum zehn Schritt Entfernung vom Hirsch befand. Hier blieb er einen Moment stehen und sah nach seinem Neffen zurück, verzog aber das Gesicht dabei zu einem wunderkomischen Grinsen, als wenn er hätte sagen wollen: "Na, Bill, bin ich nicht ein verfluchter Kerl?" Hier zögerte er jedoch wenige Sekunden, denn entweder war er selbst über die unbegreifliche Sorglosigkeit des jungen Hirsches erstaunt, oder er scheute sich auch wohl, mit seinen reinen Schuhen weiter vorzutreten, da dort die wirkliche sogenannte "Lick" oder Salzlecke begann und der kleine Bach, der durch den weichen Lehmboden rieselte, von unzähligen Wildfährten und Viehspuren zu einem weichen Schlamm zusammengetreten war. Die alte Jagdlust überwog jedoch zuletzt jede andere Bedenklichkeit, denn jetzt schien sich ihm zum erstenmal die Möglichkeit aufzudrängen, daß er das Wild wirklich ergreifen könnte, und ohne sich weiter zu besinnen, trat er leise und vorsichtig in den flüssigen Brei, den Glanz seiner wohlgeschwärzten Sonntags Schuhe auf eine wahrhaft unverantwortliche Weise vernichtend. Näher und näher kam er dem Tier, Brown hob sich, atemlos vor gespannter Erwartung, im Sattel in die Höhe, und das Herz des alten Mannes schlug, wie er später wohl hundertmal erzählte, so laut, daß er mit jedem Augenblick fürchtete, der Hirsch müßte ihn hören. Da hob dieser den Kopf - , ehe er aber nur, über die Nähe des weißscheinenden Gegenstandes erschreckt, mit einer Muskel zucken konnte, warf sich Harper auch, Sabbat und Sabbatkleider vergessend, vorwärts und ergriff ihn gerade in demselben Augenblick mit beiden Händen an den Hinterläufen, als sich das zum Tod entsetzte Tier auf diesen in die Höhe hob, um mit einem Sprung der gefährlichen Nachbarschaft zu entgehen. - Es war zu spät, der alte Mann hing wie mit eisernen Klammern an dem seinem Geschick verfallenen Tier. Vorwärts riß ihn aber die verzweifelte Kraftanstrengung des also Gefangenen.
In voller Länge hineingezogen in die lehmige Masse, schleifte es ihn in seinem letzten Sträuben, und vergebens hob er, soweit es ihm der kurze, dicke Nacken erlaubte, den Kopf, um diesen wenigstens dem Schlammbad zu entziehen. Hochauf spritzte die dünne Masse, als er, einem Schiffe gleich, das von Stapel gelassen wird, hineintauchte.
"Haltet fest", schrie Brown, hoch aufjauchzend und seinen gewöhnlichen Jagdschrei ausstoßend. "Haltet fest, Onkel - hurra für den alten Burschen, das nenne ich eine Jagd!"
Der Zuruf war aber keineswegs nötig, denn nichts fiel dem alten Mann weniger ein, als jetzt loszulassen, wo er nicht allein seinen ganzen Sonntagsstaat, sondern sogar sich selbst total preisgegeben hatte. Um Hilfe zu rufen, durfte er freilich nicht wagen, denn unter diesen Verhältnissen den Mund aufzumachen, hätte mit höchst unangenehmen Folgen verknüpft sein können, aber fest hielt er, als ob seiner Seele Heil daran hinge. Gewiß lag in diesem Augenblick der Ausdruck seiner Willenskraft und Entschlossenheit in seinen Zügen, als er mit fest zugekniffenen Augen ruckweise durch die Salzlecke gezogen wurde, doch hatte ihm die väterliche Erde die ganze Physiognomie mit einer solchen Kruste überzogen, daß an Erkennung irgendeines Ausdrucks gar nicht zu denken war.
Brown sprang zwar schnell zu seiner Hilfe herbei, der Anblick war aber so komisch, daß er sich am Rande der Lick ins Laub niederwarf und so krampfhaft lachte, daß ihm die Tränen an den Backen herunterliefen und er sich wohl eine Minute lang nicht erholen konnte. Wie er aber endlich wieder emporsprang, hörte er den scharfen Krach einer Büchse, zum letztenmal zuckte das schwergetroffene Tier im Todeskampfe empor und stürzte dann, die gefesselten Läufe dem Griffe des alten Mannes entreißend, verendend in den Schlamm zurück.
Den Knall der Büchse hatte Harper aber gehört, und sich aufraffend, rief er mit wilder Stimme: "Wer hat geschossen?" Wobei er sich, da er die Augen nicht öffnen konnte, nach der falschen Seite, auf der niemand stand, wandte und dadurch Browns Lachlust aufs neue unwiderstehlich erregte.
Der verborgene Schütze ließ jedoch nicht lange auf sich warten, denn aus einem kleinen Sassafrasdickicht trat der Indianer und stieß, als er die traurige Gestalt des sonst so ernsten und ehrbaren Mannes erblickte, wie er mit weitgespreizten Fingern und geschlossenen Augen dastand, in komischer Verwunderung ein lautes "Wah!" aus.
"Bill - Bill - verfluchter Junge - Bill - komm her und f'ühr’ mich an die Quelle. Donnerwetter, soll ich denn hier den ganzen Tag stehenbleiben, bis der Lehm so hart wird, daß ihn kein Teufel wieder abkratzen kann? Bill, sag' ich - Schurke, willst du deinen alten Onkel hier im Stiche lassen?"
Bill brauchte aber wirklich erst einige Sekunden, bis er sich sammeln konnte, dann trat er an das äußerste Ende des weichen Schlammes und reichte dem armen, kleinen Mann einen gerade dort liegenden trockenen Zweig hinüber, den dieser auch gar schnell ergriff und von seinem gehorsamen Neffen gleich darauf an den Bach geführt wurde, wo er sich vor allen Dingen die Augen auswusch, um sehen zu können, was um ihn her vorgehe.
Das erste, was seinem Blick begegnete, war die Gestalt des Indianers, der, ohne weiter eine Miene zu verziehen, seine Büchse wieder lud.
"So, Mr. Rotfell - also Ihr glaubt, ich krieche Sonntag morgens im Schlamm herum und halte Euch die Hirsche bei den Hinterläufen, bis es Euch gefällig ist, näherzutreten und sie nach Bequemlichkeit niederzuschießen, eh? Wenn ich einen Hirsch mit Lebensgefahr lebendig fange, habt Ihr dann ein Recht, ihn totzuschießen? Warum geht Ihr denn nicht auch nach meinem Hause und schießt Kühe und Schweine über den Haufen?"
"Aber, Onkel, wir kommen zu spät in die Kirche!"
"Die Kirche mag zum - glaubst du, ich ginge in einem solchen Aufzug in die Kirche? - Nein, dieser Rothaut will ich erst noch ordentlich meine Meinung geigen. Ist das Sitte, sich leise und nach der verdammten indianischen Art an einen Gentleman hinanzuschleichen und ihm das Wild aus den Händen herauszuschießen?"
"Aber, Onkel, Sie hätten den Hirsch ja keine zwei Sekunden