Mahamudra Tantra. Geshe Kelsang Gyatso
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Wenn der Wind, der den Geist der weißen Erscheinung trägt, sich auflöst, entsteht der zweite der drei subtilen Geistesarten, der Geist der roten Vermehrung. Der Wind, der diesen Geist trägt, ist subtiler als derjenige, der den Geist der weißen Erscheinung trägt. Dieser Geist wird «rote Vermehrung» genannt, weil sich die Erscheinung von rotem Raum vermehrt. Er wird auch «sehr leer» genannt, weil die Erscheinung von leer stärker ist als beim vorherigen Geist. Auf dieser Stufe ist die Erscheinung von leer stärker als die Erscheinung von rot.
Wenn der Wind des Geistes der roten Vermehrung sich auflöst, entsteht der dritte subtile Geist, der Geist der schwarzen Naherlangung. Dieser Geist wird «Naherlangung» genannt, weil die Erfahrung des klaren Lichts jetzt greifbar nah ist. Er wird auch «groß leer» genannt, weil die Erscheinung von leer noch größer ist als beim vorherigen Geist.
Wenn der dritte subtile Wind, derjenige, der den Geist der schwarzen Naherlangung trägt, sich auflöst, entsteht der Geist des klaren Lichts. Dieser Geist wird «klares Licht» genannt, weil seine Natur sehr luzid und klar ist und weil er eine Erscheinung wie das Licht der Morgendämmerung im Herbst wahrnimmt. Er wird auch «ganz leer» genannt, weil er leer von allen groben und subtilen Winden ist und nur eine leere Erscheinung wahrnimmt. Das Objekt des Geistes des klaren Lichts ist in seiner Erscheinung sehr ähnlich dem Objekt, das ein Höheres Wesen in meditativem Gleichgewicht über Leerheit wahrnimmt. Zusammen werden die vier Geistesarten – der Geist der weißen Erscheinung, der Geist der roten Vermehrung, der Geist der schwarzen Naherlangung und der Geist des klaren Lichts – als die «vier Leeren» bezeichnet.
Wenn ein Meditierender der Vollendungsstufe hoch realisiert ist, wird er oder sie eine sehr lebhafte Erfahrung des klaren Lichts haben und fähig sein, diese Erfahrung für eine lange Zeit aufrechtzuerhalten. Wie lebhaft unsere Erfahrung des klaren Lichts ist, hängt davon ab, wie lebhaft die vorangegangenen sieben Erscheinungen waren, und dies hängt wiederum davon ab, wie kräftig sich die Winde im Zentralkanal aufgelöst haben. Wenn die Winde sich sehr stark auflösen, wird der oder die Meditierende eine lebhafte Erfahrung aller Erscheinungen haben und in der Lage sein, die Erfahrung jeder einzelnen zu verlängern. Je länger wir fähig sind, jede Erscheinung zu erfahren, desto länger werden wir fähig sein, das klare Licht selbst zu erfahren.
Wenn eine Person eines gewaltsamen Todes stirbt, geht sie sehr schnell durch diese Erscheinungen hindurch. Wenn der Tod aber langsam oder natürlich ist, werden die Erscheinungen nach und nach und für längere Zeit erfahren. Wenn wir die Realisation des endgültigen beispiel-klaren Lichts entwickeln, werden wir in der Lage sein, während wir in tiefer Konzentration sind, die genau gleiche Erfahrung dieser Erscheinungen zu haben, als ob wir tatsächlich sterben. Desweiteren werden wir, wenn wir uns gut in dieser Meditation geschult haben, fähig sein, durch alle «vier Leeren» hindurch über Leerheit zu meditieren, außer in der Zeit, die wir in der Ohnmacht oder Bewusstlosigkeit des Geistes der schwarzen Naherlangung verbringen.
Um die «vier Leeren» deutlich, genau wie während des Todesprozesses, wahrnehmen zu können, müssen wir alle Winde in den unzerstörbaren Tropfen im Zentrum des Herz-Kanalrades auflösen können. Wenn sie sich in ein anderes Kanalrad auflösen, werden wir ähnliche Erscheinungen erfahren, aber sie werden künstlich sein, nicht die wahren Erscheinungen, die sich zeigen, wenn sich die Winde in den unzerstörbaren Tropfen auflösen, wie sie es zur Todeszeit tun.
Obwohl ein vollendeter Meditierender oder eine vollendete Meditierende für eine lange Zeit im klaren Licht verweilen kann, muss er oder sie schließlich weitergehen. Wenn wir uns aus dem klaren Licht erheben, ist das erste, was wir erfahren, der Geist der schwarzen Naherlangung der umgekehrten Folge. Dann erfahren wir nacheinander den Geist der roten Vermehrung, den Geist der weißen Erscheinung, die achtzig groben begrifflichen Geistesarten, die Geistesarten der kerzenflammenähnlichen Erscheinung und so fort, da sich die Geistesarten in einer Reihenfolge entwickeln, die umgekehrt der Reihenfolge ist, in der sie sich zuvor auflösten.
Somit ist der Geist des klaren Lichts die Grundlage aller anderen Arten von Geist. Wenn die groben und subtilen Geistesarten und die sie tragenden Winde sich im unzerstörbaren Tropfen beim Herzen auflösen, bleiben wir nur mit dem klaren Licht zurück, und dann bilden sich nacheinander aus diesem klaren Licht heraus alle anderen Geistesarten, eine gröber als die andere.
Diese fortschreitenden und umgekehrten Reihenfolgen werden von gewöhnlichen Wesen während des Todes und der anfänglichen Stufen ihrer nächsten Wiedergeburt sowie von qualifizierten Praktizierenden der Vollendungsstufe während der Meditation erfahren. Weil erleuchtete Wesen die dauerhafte Beendigung der sieben oben genannten Winde erlangt haben, erfahren sie nur den sehr subtilen Geist des klaren Lichts – selbst ihr Mitgefühl und ihr Bodhichitta sind Teil ihres klaren Licht-Geistes.
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