Sinnvoll zu betrachten. Geshe Kelsang Gyatso
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Mit aufrichtigem Bedauern für all meine vergangene Nichttugend falte ich meine Hände und flehe diejenigen an, die Großes Mitgefühl besitzen: alle Buddhas und Höheren Bodhisattvas, die in den zehn Richtungen verweilen. Seit anfangsloser Zeit, in diesem und in vergangenen Leben, bin ich blind gewesen gegenüber dem Gesetz von Handlungen und Wirkungen, und habe persönlich viele nichttugendhafte Handlungen begangen und auch andere dazu verleitet. Überwältigt von irreführender Unwissenheit, habe ich mich sogar an den nichttugendhaften Handlungen anderer erfreut; aber jetzt habe ich alle diese Handlungen als Fehler erkannt und bekenne sie alle aus der Tiefe meines Herzens in Eurer Gegenwart, o Beschützer. [27-29]
Welche schädlichen Handlungen ich auch immer mit meinem von Verblendungen gestörten Geist gegenüber dem Verdienstfeld, den Drei Juwelen, meinen Eltern, meinem Spirituellen Meister und anderen begangen habe, wie auch alle anderen Fehler meines verunreinigten Geistes: heute bekenne ich sie offen vor den Befreiern der Welt. [30-31]
Wenn ich sterbe, ohne mich von dieser großen Negativität gereinigt zu haben, werde ich zweifellos unvorstellbares Leiden erfahren. Ich bete zu Euch: Beschützt mich schnell vor allen diesen Ängsten. Es gibt noch mehr Gründe, warum ich rasch Euren Schutz suche: Die Dauer meines Lebens ist völlig ungewiß, und für den unberechenbaren Herrn des Todes macht es keinen Unterschied, ob ich meine Nichttugend bekannt habe oder nicht. Er wird mich plötzlich überfallen, ohne darauf zu warten, daß ich die Arbeit, die ich begonnen habe, vollenden kann, und auch ohne Rücksicht darauf, ob ich krank oder gesund bin. 0 Beschützer, bitte befreit mich von allen diesen Todesängsten! [32-33]
Während meines Lebens habe ich nicht verstanden, daß meine Verwandten, mein Körper, mein Reichtum, mein Besitz und alles andere zurückbleiben werden, und daß ich ohne all dies von dieser Welt zum nächsten Leben gehen werde. Aus meiner Unwissenheit heraus beging ich meinen Verwandten und Freunden zuliebe viel Nichttugendhaftes, und ich tat viel Negatives, als ich versuchte, meine Feinde zu vernichten. Jetzt erkenne ich die Dummheit solcher Handlungen und bedaure meine vergangenen Taten zutiefst. Ich verstehe jetzt, daß meine Feinde, meine Verwandten und Freunde und auch ich selbst schließlich sterben und wie zu nichts werden. Ähnlich werden mein Reichtum, mein Besitz und alles andere zu nichts. Die Vergnügen und das Glück, das wir in einem Traum erleben, werden nach dem Erwachen zu einer schwachen Erinnerung. Genauso werden die Vergnügen dieses Lebens zur Zeit des Todes nicht mehr als eine Erinnerung sein. Was immer vergangen ist, wird nicht wieder gesehen oder erfahren werden. [34-36]
In der kurzen Spanne dieses Lebens sind schon viele Freunde und Feinde gestorben und werden nicht wieder erscheinen. Die unerträglich schlechten Resultate jedoch, die aus den schädlichen Handlungen gewachsen sind, die ich wegen dieser Freunde und Feinde begangen habe, stehen mir drohend vor Augen. Da mir weder bewußt war, daß ich tatsächlich sterben werde, noch, daß der Zeitpunkt meines Todes völlig ungewiß ist, noch, daß mir nichts außer Dharma helfen kann, wenn ich sterbe, habe ich aus Unwissenheit, Anhaftung und Wut heraus so viel Negatives getan. Mit tiefem Bedauern bekenne ich dies alles offen vor Euch. [37-38]
Tag und Nacht, Augenblick für Augenblick, ob ich sitze, gehe, esse oder rede, zerrinnt dieses Leben. Dieser Vorgang kann nicht aufgehalten und mein Leben nicht verlängert werden. Da dies so ist, gibt es irgendeinen Grund zu der Annahme, daß der Tod nicht zu mir kommen wird? Und wie wird dieser Tod sein? [39]
Ich habe meine nichttugendhaften Handlungen noch nicht bekannt und die Praxis des Dharmas ignoriert, und plötzlich wird der Herr des Todes herabstürzen. Wenn ich auf meinem Sterbebett liege, bin ich von einem Kreis von Verwandten und Freunden umgeben, und doch muß ich allein schweres Leiden ertragen und Angst haben, mich von meinem Leben zu trennen. Wenn mich die furchteinflößenden Boten des Herrn des Todes aufsuchen, was für einen Nutzen haben dann diese Verwandten und Freunde? Wenn ich Verdienste angesammelt, Zuflucht genommen, meine moralische Disziplin rein gehalten und andere Tugend praktiziert hätte, wäre dies mein Schutz. Aber es waren genau diese Dinge, die ich ignoriert habe, und nun fühle ich tiefstes Bedauern und Angst. 0 Beschützer, die schrecklichen Leiden der drei niederen Bereiche vergessend, habe ich diesem vergänglichen Leben zuliebe einen ganzen Berg von Nichttugend begangen! Groß ist mein Bedauern. [40-42]
Angst steigt im Gefangenen auf, wenn er von den Behörden ergriffen und zur Folter abgeführt wird, sein Mund wird trocken und er erbleicht. Seine Augen treten hervor und seine ganze Erscheinung verändert sich. Wenn solche Angst aufgrund der Qualen entsteht, die Menschen verursachen, muß man dann noch vom Schrecken sprechen, der entsteht, wenn nichtmenschliche Boten mich packen und ich von Todesangst gelähmt bin? Völlig hilflos, wird mein Elend maßlos sein. [43-44]
Allein der Anblick der Handlanger des Herrn des Todes wird großen Schrecken und Schmerzensschreie auslösen. Mit weit aufgerissenen Augen werde ich in allen vier Richtungen Ausschau halten nach jemandem, der mir Zuflucht gibt. Aber ohne irgendwo eine Quelle der Zuflucht zu entdecken, werde ich in Schwermut und Verzweiflung gehüllt werden. Was soll ich tun, völlig schutzlos und unerträglichem Leiden ausgesetzt? Jetzt, von genau diesem Moment an, muß ich alle Ursachen aufgeben, die zu solch höllischen Erfahrungen führen können. [45-46]
Ohne das starke Gefühl von Bedauern, das Shantideva oben so eindrucksvoll illustrierte, werden wir nicht fähig sein, unsere Nichttugend zu reinigen. Im allgemeinen fühlen wir jedoch nicht das geringste Bedauern für unsere vergangenen schädlichen Handlungen. Warum? Weil wir nicht vollständig erkennen, daß die Früchte dieser Handlungen nichts als Leiden sein werden. Solange wir gegenüber der kausalen Beziehung zwischen verblendeten, unheilsamen Handlungen und den daraus resultierenden Erfahrungen von Leiden blind bleiben, werden wir unseren fehlgeleiteten Lebensstil weder aufgeben noch bedauern. Wir werden nicht nur unfähig sein, die Wirkungen vergangener Negativität zu reinigen, sondern werden damit fortfahren, die Ursachen für noch weiteres zukünftiges Leiden zu schaffen.
Eine Haltung des Bedauerns kann nur entstehen, wenn wir die Verbindung zwischen dem Schaden, den wir erzeugen, und dem Schaden, den wir erhalten, erkennen. Wichtig ist jedoch, nicht mißzuverstehen, was es bedeutet, unsere ungeschickten Handlungen zu bedauern. Wir sollten das Leiden, das wir erfahren, nicht als eine von außen kommende Bestrafung für unsere Sünden betrachten. Wir brauchen uns auch nicht schuldig zu fühlen, weil wir meinen, wir hätten irgendeine Autorität oder Macht beleidigt, die nur darauf wartet, sich an uns zu rächen. Wahres Bedauern hat mit solch äußerlichen Haltungen nichts zu tun.
Der Unterschied zwischen einer angemessenen und einer übertriebenen Haltung kann in diesem Zusammenhang folgendermaßen illustriert werden: Die Eltern eines Jungen, die die Gefahren des Feuers kennen, haben ihm verboten, mit Streichhölzern zu spielen. Er tut es trotzdem und verbrennt sich die Finger. Die richtige und nützlichste Reaktion wäre, wenn das Kind seine Unvorsichtigkeit bedauert und aus seiner schmerzhaften Erfahrung lernt, ähnliche Gefahren in der Zukunft zu vermeiden. Eine unverhältnismäßige Reaktion wäre es, wenn das Kind glauben würde, daß es vom Streichholz absichtlich für den Ungehorsam gegenüber seinen Eltern bestraft worden ist. So eine abergläubische Reaktion verwirrt die Situation nur und bringt irrelevante Überlegungen wie z. B. Schuld ins Spiel, die in Wirklichkeit die Fähigkeit des Kindes zu einem intelligenten Umgang mit zukünftigen Gefahrensituationen eher vermindern als verbessern.
Zurück zur richtigen Anwendung der Gegenkräfte. Wir sollten versuchen, eine Haltung des Bedauerns gegenüber unseren ungeschickten, nichttugendhaften Handlungen zu entwickeln, die nicht auf Schuld basiert, sondern eher auf dem klaren Verständnis, daß schädliche Ursachen schädliche Resultate bringen. Die erleuchteten Wesen haben bestimmte Handlungen gerade wegen ihrer schädlichen Wirkungen nichttugendhaft genannt. Wenn wir erkennen, daß wir diese potentiell leidverursachenden Handlungen begingen und noch immer begehen, ist aufrichtiges Bedauern eine völlig natürliche und angemessene Reaktion.
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