Sinnvoll zu betrachten. Geshe Kelsang Gyatso
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Wir sollten uns davor hüten zu denken, daß wir die Reinigung unserer negativen Handlungen auf einen späteren Zeitpunkt schieben können. Der Tod ist unberechenbar und kann jederzeit vor uns auftauchen. Der Herr des Todes berücksichtigt nicht, ob sein Opfer Nichttugend gereinigt hat oder nicht. Er kann nicht zum Warten gezwungen werden und akzeptiert keine Entschuldigungen. Wenn der Tod sich plötzlich nähert, wird es uns nichts nützen zu sagen: «Ich ernähre eine Familie, du mußt später wiederkommen», oder «Ich bin noch sehr jung, komm in ein paar Jahren wieder», oder «Bitte laß mich noch ein wenig länger leben». Das ist alles vergeblich. Der Herr des Todes ist kompromißlos.
Wenn plötzlicher Wind aufkommt, kann eine Kerze, die groß genug ist um stundenlang zu brennen, schon nach wenigen Minuten erloschen sein. Während ein kranker und alter Mann hartnäckig noch für viele Jahre am Leben festhält, können die jungen Leute um ihn herum einer nach dem anderen sterben. Wir alle werden sterben, und wer kann garantieren, daß der Tod nicht schon morgen kommt oder sogar heute?
In Tibet lebte einmal ein Astrologe, der für seine außergewöhnliche Fähigkeit berühmt war, die Zukunft vorhersagen zu können. Eines Tages beschloß er herauszufinden, wann sein eigenes Leben zu Ende sein würde. Er nahm seine Bücher und Karten heraus und begann seine Berechnungen. Zu seiner Überraschung entdeckte er, daß er just an diesem Tag sterben sollte! «Das ist äußerst seltsam», sagte er zu sich. «Ich möchte wissen, ob ich nicht einen Fehler in meinen Berechnungen gemacht habe. Sicherlich werde ich nicht heute sterben. Ich bin bei bester Gesundheit.» Während er so grübelte, lehnte er sich zurück, zog seinen Pflegebeutel aus der Tasche und begann mit einem nadelähnlichen Stück Metall, das er für diesen Zweck mit sich trug, sein Ohr zu säubern. «Ich frage mich, wo ich den Fehler gemacht habe», dachte er geistesabwesend und fuhr fort, sich in seinem Ohr zu kratzen. Da blies eine plötzliche Windböe das Fenster auf, gegen das er sich gelehnt hatte, und sein Arm wurde dabei so heftig getroffen, daß das Stück Metall durch sein Trommelfell in sein Gehirn gestoßen und er auf der Stelle getötet wurde. Wer kann nun also sicher sein, daß der Tod nicht schon bald kommt?
Im Lichte dieser Unsicherheit müssen wir unsere Nichttugend sofort reinigen. Es gibt viel mehr Umstände, die uns den Tod bringen können, als solche, die unser Leben fördern. Wie können wir voller Zuversicht erwarten, eine normale Lebensspanne leben zu können, während überall um uns herum Menschen durch Unfälle, Krieg und Krankheit sterben? Durch das Nachdenken über die alltäglichen Beispiele, die wir in den Nachrichten finden, sollten wir über die Unsicherheit des Todeszeitpunktes meditieren.
Denken wir an unsere Familie, unsere Freunde, Verwandten und Landsleute. Wer von ihnen wird in hundert Jahren noch hier sein? Warum begehen wir also den Lebewesen zuliebe, die schon so bald verschwinden werden, soviel Falsches? Dennoch haben wir alle bereits solche nichttugendhaften Handlungen begangen, und wenn wir uns wünschen, für die Zukunft Sicherheit zu gewinnen, müssen wir diese Negativität sofort reinigen. Die Grundlage der Reinigung ist ein Gefühl des Bedauerns. Dieses entsteht, wenn wir über Unbeständigkeit, Tod und die Früchte fehlerhafter Handlungen nachdenken. Wenn drei Leute unabsichtlich vergiftete Nahrung zu sich nehmen und einer von ihnen stirbt und ein zweiter krank wird, was wird die dritte Person denken? Sicherlich wird sie es zutiefst bedauern, das Mahl gegessen zu haben. Genauso sollten wir an die vielen Menschen denken, die negative Taten begangen haben, gestorben sind und sich nun in einem niederen Bereich wiederfinden, wo sie großes Leiden erfahren, und wir sollten uns daran erinnern, daß wir die gleichen unseligen Handlungen auch begangen haben.
Aufgrund starker Anhaftung haben wir um unserer Freunde willen gestohlen und gelogen. Mit großer Wut haben wir unseren Feinden viel Schaden zugefügt. Der Hauptgrund für all das Schädliche, das wir getan haben, ist unsere Unwissenheit um das Gesetz von Handlungen und ihren Auswirkungen. Da wir nicht erkennen, daß Leiden das einzige Ergebnis unserer Handlungen sein wird, beharren wir in ignoranter Weise auf unserem nichttugendhaften Verhalten.
Wie schwer ist es für uns zu verstehen, daß unser Leben auf den Tod zurast und daß es nichts gibt, was wir tun können, um dies zu verhindern. Sekunde für Sekunde zerrinnt unsere Lebenskraft. Anders als Geld, das auf dem Konto bleibt, bis wir es ausgeben, verfließt unsere Lebenszeit stetig. Jetzt ist die Zeit gekommen, unsere Nichttugend zu bekennen und all das zu praktizieren, was tugendhaft ist.
Falls wir nicht beginnen, den von uns angerichteten Schaden zu bedauern und zu reinigen und dadurch unserem Leben eine neue Richtung zu geben, werden wir uns den Weg in eine zukünftige Erfahrung höllischer Existenzzustände ganz sicher auf törichte Weise bahnen. Manche Menschen glauben fest an die Nichtexistenz solcher Bereiche. Sie sagen, daß solche Orte nicht existieren, weil sie sie nicht sehen können. Diese Art von Logik ist lächerlich! Wir könnten ebensogut sagen, daß auch Zukunft und Vergangenheit absolut nichtexistent sind, weil wir das, was morgen passiert, sowie die früheren Zivilisationen, die auf diesem Planeten existiert haben, nicht sehen können. Wir können nicht sagen, daß wir nächsten Monat nicht krank werden, bloß weil wir den Grund der Krankheit jetzt noch nicht sehen können. Selbst ein studierter Mann, der morgen bei einem Autounfall sterben wird, ist unfähig, dies heute vorherzusehen. Deshalb sollten wir uns nicht von falscher Logik beeinflussen lassen, die unkorrekterweise annimmt, daß das, was wir nicht sehen können, auch nicht existiert.
Außerdem, auch wenn wir die Existenz von Höllenbereichen in Frage stellen, wer könnte die Existenz von Erfahrungen bezweifeln, die so grausam sind, daß man sie als «Hölle auf Erden» bezeichnet? Monatelang mit dem tödlichen Schmerz von Krebs zu leben, in Paranoia oder selbstmörderischen Depressionen gefangen zu sein, mit dem Tod durch Feuer konfrontiert zu sein - dies sind nur einige Beispiele höhlenähnlicher Leiden, denen wir auch in unserem menschlichen Bereich begegnen können. Wenn wir solches Leiden vermeiden wollen, müssen wir unsere nichttugendhaften Ursachen reinigen, in denen sie verwurzelt sind, und alle ähnlichen negativen und schädlichen Handlungen in Zukunft unterlassen.
Buddha Shakyamuni und alle gelehrten Pandits, die ihm folgten, besaßen großes Verständnis und Hellsicht. Diese erleuchteten Wesen wiesen die Existenz von Höhlenbereichen und anderen niederen Existenzzuständen durch ihre eigene Erfahrung und viele logische Begründungen nach. Auch wenn wir die Existenz von Höllenbereichen nicht sofort selbst sehen können, sollten wir dafür eine möglichst aufgeschlossene Haltung haben. So wird großer Nutzen entstehen, und zum Zeitpunkt des Todes werden wir keine Angst haben. Wenn wir wirklich auf unser zukünftiges Wohlergehen bedacht sind, ist es das beste, sich der Gefahr zukünftiger Höllenbereiche bewußt zu sein, und dann aus Angst vor diesbezüglichen Leiden das, was nützlich ist, zu praktizieren, alles Nichttugendhafte zu reinigen und den Pfad des Dharmas zu betreten.
In vielen Schriften geht Buddha bezüglich der Leiden in den Höllenbereichen sehr ins Detail. Es war sicher nicht seine Absicht, uns einfach nur zu erschrecken. Ein Buddha hat Großes Mitgefühl und Liebe für alle Lebewesen und wünscht, sie von ihren Leiden zu befreien. Aus diesem Grund erklärte Buddha Shakyamuni die leidvollen Existenzbereiche und gab viele Anweisungen, wie wir es vermeiden können, dort wiedergeboren zu werden. Er lehrte uns das Aufgeben von Nichttugend und das Praktizieren von Tugend nicht deshalb, weil er uns erschrecken, sondern weil er uns glücklich sehen wollte.
Wenn eine Mutter ihren Kindern die Gefahren erklärt, die beim Spielen auf einer belebten Straße drohen, dann tut sie dies nicht, um ihnen Angst zu machen, sondern sie tut dies aus Mitgefühl und aus Sorge um die Sicherheit ihrer Kinder und aus einem realistischen Verständnis für die Gefahren dieser Situation. Das gleiche gilt für die Unterweisungen der erleuchteten Wesen. Sie sehen, zu welchen Qualen uns Nichttugend führen wird, und sie berichten uns von dieser Gefahr, damit wir sie vermeiden können. Ohne solche Anweisungen und Warnungen würden wir direkt ins Feuer des Leidens springen. Deshalb ist es wichtig, daß wir richtig gewarnt werden. Wenn wir nicht wissen, daß ein bestimmtes Tier giftig ist, kreuzen wir vielleicht direkt seinen Weg. Aber wer von uns würde sich einer Schlange nähern,