Schreibcamp: Emotionen. Stephan Waldscheidt

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Schreibcamp: Emotionen - Stephan Waldscheidt

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Sinn.

      Wie Stimmungen lässt sich einer Emotion häufig eine Richtung zuordnen: eher positiv oder eher negativ. So ist die Emotion Freude von der Gestimmtheit her positiv, die Emotion Angst negativ. Eine Emotion fügt der Stimmung eine Qualität hinzu – eben die konkrete Empfindung von Freude oder von Angst.

      Wie Gefühle im engeren Sinn gehören zu einer Emotion in vielen Fällen wahrnehmbare körperliche Aspekte wie das berühmte schnell klopfende Herz eines Verliebten.

      Bedenken Sie auch: Emotionen sind nie allgemein, sondern stets hochspezifisch und individuell. Nur mit solchen sehr spezifischen Emotionen vermitteln Sie Ihren Lesern, nicht bloß Wörter auf Papier zu lesen, sondern eine Geschichte über lebendige Menschen.

      Obenstehende Liste lässt sich somit auf zweierlei Art spezifizieren.

      1. Als eine Abfolge in einem gelungenen Roman:

      Emotionen des Autors führen zu

      Emotionen der Charaktere führen zu

      Emotionen der Leser.

      2. Als eine Rangfolge der Wichtigkeit:

      1. Emotionen der Leser

      2. Emotionen der Charaktere

      3. Emotionen des Autors

      In vielen Fällen decken sich sämtliche Emotionen. Beispiel: Die Hauptfigur Fred sieht den Kadaver einer Ratte und wendet sich voller Ekel ab. Haben Sie zu Beginn für eine starke Identifikation des Lesers mit Fred gesorgt, wird auch der Leser diesen Ekel empfinden. Und auch Sie als Autor haben bei der Beschreibung der Szene Ekel verspürt.

      Aber es gibt auch zahlreiche Fälle, in denen sich die Emotionen von Protagonist, Leser und Autor unterscheiden.

      Beispiel: Die Heldin Emilie geht fröhlich zu ihrem Wagen. Der Leser aber weiß von der Bombe unter Emilies Wagen (dramatische Ironie). Er wird daher nicht fröhlich, sondern eher gespannt und besorgt um Emilies Wohl sein. Sie als Autor hingegen freuen sich in erster Linie diebisch über die Hochspannung, in die Sie den Leser versetzen.

      Um die Sache im Folgenden nicht zu kompliziert zu machen, verzichte ich im Buch weitgehend auf die Unterscheidung der Gefühlssubjekte Autor, Charakter, Leser. Was Sie direkt, schreibend, beeinflussen können, sind die Emotionen Ihrer Romanfiguren. Daher zielen auch die Übungen vor allem darauf ab.

      Im Hinterkopf behalten aber sollten Sie stets, dass das eigentliche Ziel Ihrer Bemühungen der Leser ist. Die Emotionen der Charaktere sind dabei eins der wichtigsten Instrumente, mit denen Sie die Gefühle Ihrer Leser manipulieren und steuern.

      Sind Sie eigentlich in Ihren Roman verliebt? Bereitet er Ihnen Herzklopfen? Blättern Sie weiter zum nächsten Tag, um damit anzufangen, Ihrem Roman das zu geben, was ihn zum Herzklopfer macht.

      Tag 1: Genre und Emotionen

      Warum lesen bestimmte Leser am liebsten Fantasy-Romane? Warum lesen andere am liebsten Krimis? Wieder andere bevorzugen Romanzen. Warum?

      Keiner von ihnen tut es, weil er oder sie einem Genre treu sein möchte.

      Warum hat ein Leser gerade Lust auf einen historischen Roman? Warum ein anderer auf eine Satire?

      Der Grund: Das ausgewählte Genre bedient die Emotion am besten, die der Leser entweder grundsätzlich oder beim Kauf beziehungsweise beim Lesen in einem Buch sucht.

      Der Fantasy-Leser liebt das Gefühl, neue Welten, neue Wesen zu entdecken, ihm geht es um das Wundersame dieser Geschichten. Der Krimi-Leser liebt es, die Puzzleteile zusammenzusetzen und das Rätsel zu lösen, das ihm der Autor präsentiert.

      Die Romanzen-Leserin liebt ... die Liebe, dieses warme Gefühl des Glücks, die Tränen der Rührung bei einem Happy End.

      Welches ist die Emotion, das Ihre Leser in Ihrem Roman intensiver als alle anderen empfinden sollen? Wenn Sie es sofort finden, sehr gut. Wenn Sie eine Weile brauchen, nicht tragisch. Aber suchen Sie!

      Nur wenn Sie sich nicht entscheiden können, hat Ihr Roman womöglich ein Problem. Es sei denn, er erzählt eine genreübergreifende Geschichte.

      Sie haben das zentrale Gefühl entdeckt? Oder, wenn es sein muss, die zentralen Gefühle?

      Ihre Aufgabe: Suchen Sie fünf Stellen, wo dieses Gefühl wichtig und erkennbar ist, und verstärken Sie es. Suchen Sie die Stellen, wo es über mehrere Szenen hinweg nicht auftaucht – und bringen Sie es ein.

      Ein Liebesroman muss seine Leser immer wieder das Gefühl von Liebe zeigen, ein Thriller muss seine Leser immer und immer und immer wieder in Hochspannung versetzen. Ein Krimi braucht nicht nur ein einziges Geheimnis, er braucht viele.

      Genre-Romane sind besonders anfällig für Melodrama. Der Autor versucht, die gängigen Erwartungen zu bedienen. So geraten ihm die Emotionen der Charaktere leicht zu Klischees oder bloßen Behauptungen.

      Morgen werden Sie in Ihrem Roman Melodramatik erkennen und ausmerzen.

      Tag 2: Emotionen und Melodrama

      Der Leser erlebt eine Stelle dann als melodramatisch, wenn er von Emotionen liest, diese aber nicht nachvollziehen kann. Wenn der Autor Emotionen zwar behauptet, sie jedoch nicht beweist.

      Melodramatik ist ein sehr ernstzunehmendes und nicht immer leicht zu lösendes Problem in vielen Romanen. Und: Oft nämlich fällt sie dem Autor nicht einmal auf.

      Beispiel: Tanja unterhielt sich eine Stunde angeregt mit ihrer Nachbarin, dann lief sie die Treppe nach oben und sank niedergeschlagen und verzweifelt auf ihr Bett. Sie fühlte sich schlecht, denn Ben hatte sie verlassen. Eine halbe Stunde später zog sie sich um und ging mit Bea und Mila in ihr Stammcafé. Dort vertrödelten sie den Nachmittag und beschlossen, abends noch gemeinsam ins Kino zu gehen, um sich die neue Romantic-Comedy mit Matthias Schweighöfer anzusehen. Sie würde bestimmt nur heulen.

      Das Gefühl der Niedergeschlagenheit und Verzweiflung wie auch die Furcht vor Tränen wird hier vermutlich nur behauptet. Denn Tanjas andere Handlungen wirken nicht wie die einer Untröstlichen. Als Leser haben wir nicht den Eindruck, Tanjas authentischem Gefühl beizuwohnen, sondern nur einem Melodrama.

      Wann immer Sie eine Emotion direkt niederschreiben – was ab und an durchaus legitim ist, nicht alles muss durch Handlung gezeigt werden –, sollten Sie das Umfeld dieses Gefühls überprüfen. Zum Beispiel jetzt.

      Wann haben Sie in Ihrem Roman eine Emotion direkt benannt? Spüren Sie solche Stellen auf. Dabei hilft Ihnen die Suchfunktion Ihres Schreibprogramms.

      Ihre Aufgabe: Suchen Sie mindestens fünf der gängigen Emotionsadjektive – traurig, wütend, böse, verzweifelt usw. – und machen Sie den Melodrama-Check.

      Diese Aufgabe enthüllt noch etwas anderes in Ihrem Roman: Die meisten Autoren haben so ihre Lieblingswörter, die wieder und wieder im Text auftauchen. Auch Sie. Wahrscheinlich finden sich Emotionsbeiwörter darunter. Achten Sie in Zukunft besonders auf diese Ihre speziellen »Freunde«.

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