Plot & Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen. Stephan Waldscheidt

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Plot & Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen - Stephan Waldscheidt

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verschaffen. Da ist es nur logisch, dass Sie ihm zeigen, wie gefährlich und stark der Gegenspieler (oder, allgemeiner: die seinem zentralen Ziel entgegenwirkende Kraft ist). Ein harmloser Gegenspieler sorgt nicht für Spannung. Ebenso wenig wie ein Gegenspieler, den Sie nie erwähnen. Voilà, schon haben Sie sich selbst die Notwendigkeit eines Pinchpoints begründet.

      Auch seine Position nach etwa einem Viertel des zweiten Akts ergibt Sinn. Die Protagonistin hat ihr zentrales Ziel bereits eine Weile verfolgt, ermittelt, Informationen gesammelt. Da ist es an der Zeit, den Leser an den Bösewicht zu erinnern, ihm zu zeigen, welche Bedrohung er bedeutet. Und: Ein solcher Pinchpoint macht deutlich, wie hoch die Einsätze für die Protagonistin sind. Hier in unserem Beispiel wird klar: Sie setzt nicht bloß ihre Karriere aufs Spiel, wenn sie den Fall nicht löst und den Mörder nicht fasst – sie kann, wie drei ihrer Kollegen, sogar ihr Leben verlieren.

       Katalysator des Midpoints (kurz vor dem Midpoint)

      Ein dramatisches Ereignis, das die Ereignisse bis dahin auf den Kopf stellt. Auslöser für den Midpoint. Dieser Katalysator des Midpoints ist häufig positiv, etwa eine wichtige Entdeckung des Protagonisten.

      Beispiel: Die Protagonistin stößt bei ihren Ermittlungen auf einen Namen – jetzt kennt sie die Identität des Mörders!

       Midpoint (ziemlich genau in der Mitte des Romans)

      Die Ereignisse ändern die Richtung. Die Protagonistin wird proaktiv. Der Jäger wird zum Gejagten. Der Protagonist wird vom Wanderer zum Krieger. Nach dem Midpoint startet häufig ein neuer Subplot.

      Beispiel: Die Protagonistin brieft ihre Soko und gibt die neue Richtung vor: Findet Frank Schurkowski! Sie nimmt einen neuen Spezialisten mit in die Soko, der sich mit dem Aufspüren und Ausschalten von Verbrechern auskennt (neuer Subplot).

      Um den Midpoint herum finden sich häufig zwei weitere besondere Meilensteine.

       Mirror (Blick in den Spiegel; nach etwa 50 % des Romans und kurz vor dem Midpoint)

      Bevor sich die Protagonistin in eine für sie neue Richtung bewegt, führt sie eine Bestandsaufnahme durch: Was bin ich für ein Mensch? Wie weit bin ich gekommen? Was bedeuten die Entwicklungen für mich ganz persönlich?

      Das, was sie im Spiegel sieht (einem metaphorischen oder einem realen), beeinflusst ihre Entscheidung und die Art, wie sie weiter vorgeht.

      Beispiel: Die Protagonistin geht vor ihrem Meeting mit der Soko noch schnell auf die Toilette. Während sie ihr Make-up überprüft, fragt sie sich, ob sie tatsächlich das Richtige tut. Ob sie die Richtige ist für den harten Job, der auf sie zukommt. Ob das hier das ist, was sie immer tun wollte und ob ihr Vater stolz auf sie wäre.

      Dieser Punkt kann auch als Katalysator die Entscheidung im Midpoint anstoßen.

       Sex at sixty (nach etwa 50 % des Romans und kurz vor dem Midpoint)

      Der Begriff stammt aus der Filmsprache. Mit »sixty« ist die sechzigste Minute eines Zwei-Stunden-Spielfilms gemeint oder die Seite 60 eines typischen Drehbuchs von 120 Seiten. Der Sex ist meist metaphorisch gemeint, kann aber durchaus auch stattfinden.

      In der dazugehörigen Szene zeigen Sie als Autor zwei Ihrer Hauptfiguren in einem emotionalen, intimen Moment. Das kann die Bestätigung zweier Kollegen sein: »Ja, du bist cool, und wir kriegen den Drecksack von Schurkowski dran«, ein erstes Date zweier Liebender. Es kann subtil sein wie ein verstohlen verliebter Blick oder so exzessiv wie dramatischer Sex ohne Schranken.

      Der Moment spiegelt das Happy End wider oder deutet es voraus.

      Dieser Punkt kann auch als Katalysator die Entscheidung im Midpoint anstoßen.

       Zweiter Pinchpoint (etwa in der Mitte zwischen Midpoint und zweitem Plotpoint)

      Eine zweite große Erinnerung für den Leser: Der Schurke ist nicht nur immer noch lebendig und aktiv, er ist so gefährlich wie eh und je – oder, nein: Er ist sogar noch gefährlicher.

      Im zweiten Pinchpoint bietet sich auch ein Vergleich mit dem ersten Pinchpoint an. Der Gegenspieler unserer Heldin, Frank Schurkowski, erweist sich als gefährlicher als angenommen. Womöglich hat ihn unsere Heldin unterschätzt. Ein fataler Fehler, wie Sie hier zeigen.

      Wie nebenbei trägt der zweite Pinchpoint zur Aufgabe des zweitens Akts bei: Die Ereignisse eskalieren, die Gefahr wächst, die Einsätze steigen. Im zweiten Pinchpoint zeigen und beweisen Sie dem Leser genau das.

      Katalysator der Krise (zwischen zweitem Pinchpoint und zweitem Plotpoint)

      Hier spielt sich häufig das bislang dramatischste Ereignis des Romans ab. Das kann eine Schlacht sein oder ein scheinbar entscheidender Kampf. Die Heldin wirft all ihre Kraft und Klugheit in diesen Konflikt – und verliert.

      Wenn es Ihnen im Roman um die Veränderung Ihrer Heldin geht, so hat sie diesen Kampf verloren, weil sie ihn als ihr altes Selbst gefochten hat. Sie hat sich der notwendigen Wandlung verweigert und bekommt die Quittung dafür.

      Im Katalysator der Krise, der meist eine Katastrophe ist, verliert die Heldin etwas Entscheidendes. Das kann in ihrem Inneren ein lang gehütetes Selbstverständnis sein. Das kann in der äußeren Welt der Tod eines Verbündeten oder der Bruch mit einem geliebten Menschen sein.

      In Romanen mit einem eher positiven Ende ist dieser Katalysator eine Niederlage, die größte bisher. Endet der Roman schlecht für die Heldin, sind die Vorzeichen womöglich umgekehrt: Sie gewinnt hier, was falsche Hoffnungen in ihr weckt, nur um in der finalen Schlacht im Höhepunkt doch und endgültig zu verlieren.

      Krise / dunkelste Stunde (All is lost; Fegefeuer; direkt nach dem Katalysator)

      Auf die Niederlage des Katalysators folgt die Krise. Die Heldin erlebt ihre dunkelste Stunde. Das ist der emotionale Tiefpunkt des Romans. Doch erst, wenn die Heldin diese Talsohle durchschreitet, ist sie bereit für den dritten Akt.

      Wichtig ist, dass die Krise nicht bloß ein trauriger Moment ist. Hier ist tatsächlich alles verloren: die Heldin hat ihren Traum aufgegeben, ihr Geliebter zieht bei einer anderen Frau ein, sie kehrt mit eingezogenem Schwanz nach Hause zu den Eltern zurück. Eine Rettung ist tatsächlich unmöglich – für die Frau, die unsere Heldin da noch ist!

      Beispiel: Im Film »Zoomania« (USA 2016) kehrt Heldin und Häsin Judy Hopps nach Hause zurück. Sie hat eine persönliche Niederlage einstecken müssen und hat daraus die Konsequenzen gezogen: Die Arbeit als Polizistin, von der sie ihr Leben lang geträumt hat, ist wohl doch nichts für sie. Sie wird Gemüsebäuerin wie alle ihre Artgenossen.

      Katalysator des zweiten Plotpoints (direkt nach der Krise)

      Die Heldin erhält eine neue Information, die alles verändert, ihre Überzeugungen über den Haufen wirft oder ihr die Chance zur Veränderung eröffnet.

      Im Charakterbogen der Heldin ist das der Moment, wo sie ihren fatal flaw oder tragic flaw, den entscheidenden Webfehler ihrer Persönlichkeit, endlich durchschaut.

      So

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