Krieg und Frieden. Лев Толстой
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Julie
P. S. Geben Sie mir Nachricht von Ihrem Bruder und von seiner entzückenden jungen Frau.«
Die junge Fürstin versank in Nachdenken, wobei ihr Gesicht sich gänzlich veränderte. Ihre Augen leuchteten. Plötzlich erhob sie sich, trat an den Tisch und nahm Papier heraus. Rasch glitt ihre Hand darüber hin. Sie schrieb als Antwort:
»Liebe unschätzbare Freundin!
Ihr Brief vom 13. dieses Monats hat mir große Freude gemacht. Sie lieben mich noch immer, meine teuerste Julie, Sie klagen über unsere Trennung. Aber was soll ich sagen – ich, welche aller, aller Lieben beraubt ist, die mir teuer sind? Ach, ohne die Tröstungen der Religion wäre das Leben sehr schwer! Glauben Sie nicht, daß ich mit strenger Miene vernahm, was Sie von Ihrer Neigung zu dem jungen Mann sagten. Ich bin nur gegen mich selbst streng, ich begreife diese Gefühle bei anderen, und wenn ich sie auch nicht kenne, da ich sie nie empfunden habe, so verurteile ich sie doch nicht. Mir scheint nur, daß die christliche Liebe zum Nächsten höher steht.
Die Nachricht von dem Tode des Grafen Besuchow haben wir schon früher erfahren, und mein Vater war sehr bewegt dadurch. Er sagt, das sei der vorletzte Vertreter der großen Zeit Katharinas gewesen und jetzt sei die Reihe an ihm.
Ihre Meinung über Peter, den ich schon als Kind kannte, teile ich nicht. Es schien mir immer, daß er ein vortreffliches Herz habe, und das ist diejenige Eigenschaft, die ich am meisten an den Menschen schätze. Was seine Erbschaft betrifft und die Rolle, welche Fürst Wassil dabei gespielt hat, so bedaure ich beide, den Fürsten Wassil und noch mehr Peter. Wenn man mich fragen würde, was ich am meisten wünsche auf der Welt, so würde ich sagen, ich wünsche die Ärmste der Armen zu sein. Mein Vater hat mir nichts von einem Bräutigam gesagt, er meinte nur, er habe einen Brief erhalten und erwarte den Besuch des Fürsten Wassil. In Bezug auf den mich betreffenden Heiratsplan kann ich Ihnen nur sagen, teuerste Freundin, daß die Ehe nach meiner Ansicht eine göttliche Einrichtung ist, der man sich unterwerfen muß. So schwer es mir auch wäre – wenn es dem Allmächtigen gefallen sollte, mir die Pflichten der Gattin und Mutter aufzuerlegen, so würde ich mich doch bemühen, sie so treu, als ich kann, zu erfüllen, ohne mich um die Erforschung meiner Gefühle in Bezug auf den, den er mir gibt, zu bemühen.
Von meinem Bruder habe ich einen Brief erhalten, der mir seine Ankunft mit seiner Frau ankündigt. Diese Freude wird von kurzer Dauer sein, da er uns verläßt, um an diesem Kriege teilzunehmen, in den wir hineingezogen werden, Gott weiß wie und warum. Selbst bei uns in unserer Einsamkeit macht sich der Krieg bemerkbar. Vorgestern Abend habe ich auf meinem gewöhnlichen Spaziergange eine herzzerreißende Szene erlebt. Es war eine Abteilung Rekruten, die bei uns ausgehoben worden waren und zur Armee abgesandt werden sollten. Man mußte sehen, in welchem Zustand sich die Mütter, Frauen und Kinder derjenigen befanden, welche abgingen. Man mußte ihr Weinen und Jammern hören! Man glaubt, die Menschen haben die Gesetze ihres göttlichen Erlösers vergessen. Nun leben Sie wohl, liebste, teuerste Freundin, unser göttlicher Erlöser und seine allerheiligste Mutter nehme Sie unter ihren heiligen, mächtigen Schutz!
Marie«
»Ah, Sie schrieben einen Brief. Ich habe soeben auch einen abgesandt an meine arme Mutter«, sagte Mademoiselle Bourienne mit angenehmer Stimme, indem sie das »r« schnurren ließ und in die kummervolle, düstere Atmosphäre der Fürstin Marie eine ganz andere, heitere, hellere Welt trug. »Fürstin, ich muß Ihnen sagen«, fügte sie leise hinzu, »daß der Fürst Michail Iwanowitsch ausgescholten hat. Er ist bei sehr schlimmer Laune, das mußte ich Ihnen mitteilen.«
»Ach, liebe Freundin«, erwiderte Fürstin Marie, »ich habe Sie gebeten, niemals davon zu sprechen, in welcher Stimmung sich mein Vater befindet. Ich erlaube mir nicht, darüber zu urteilen und wünsche auch nicht, daß andere darüber urteilen.«
Die Fürstin blickte nach der Uhr und als sie bemerkte, daß es schon seit fünf Minuten Zeit sei, sich ans Clavichord zu begeben, ging sie mit erschrecktem Gesicht in den Salon. Zufolge der eingeführten Tagesordnung ruhte der Fürst zwischen zwölf und zwei Uhr, während die Fürstin auf dem Clavichord spielte.
23
Ein grauköpfiger Kammerdiener saß im Halbschlummer in dem großen Kabinett und lauschte auf das Schnarchen des Fürsten. Von ferne hörte man eine zwanzigmal wiederholte schwierige Stelle aus einer Sonate von Dussek.
In diesem Augenblick fuhr ein Wagen vor dem Hause vor. Fürst Andree stieg aus und hob seine kleine Frau heraus. Der grauköpfige Tichon kam aus dem Vorsaal heraus, meldete flüsternd, der Fürst sei eingeschlafen und öffnete die Tür. Er wußte, daß auch die Ankunft des Sohnes die Tagesordnung nicht stören durfte. Auch Fürst Andree schien das zu wissen. Er blickte nach der Uhr und überzeugte sich, daß die Lebensgewohnheiten des Vaters sich nicht geändert hatten.
»In zwanzig Minuten steht er auf«, sagte er zu seiner Frau, »wir wollen zur Fürstin Marie gehen.«
»Also das ist das Schloss«, sagte sie zu ihrem Manne, indem sie sich umblickte. Sie lächelte Tichon und dem Diener zu, der ihnen voranging. »Hörst du, wie Marie sich abmüht? Wir wollen leise gehen, um sie nicht zu stören«, sagte der Fürst. Aus dem Zimmer, in welchem das Clavichord ertönte, kam eilig aus einer Seitentür die hübsche Französin, Mademoiselle Bourienne, heraus, wie es schien, im höchsten Entzücken.
»Ach, welche Freude für die Fürstin!« sagte sie endlich, »ich muß sie benachrichtigen.«
»Nein, nein«, erwiderte die Fürstin, indem sie sie küßte. »Sie sind Fräulein Bourienne, ich kenne Sie bereits und weiß, welche Freundschaft meine Schwägerin für Sie hegt.
Sie traten in den Salon, aus welchem immer wieder und wieder jene Stelle ertönte. Fürst Andree blieb stehen und sein Gesicht verfinsterte sich, als ob er etwas Unangenehmes erwartete. Die Fürstin trat ein. Das Clavichordspiel brach in der Mitte ab, man hörte einen Ausruf und die schweren Schritte Maries. Als der Fürst Andree eintrat, hielten sich die beiden Schwägerinnen umfaßt und küßten sich gegenseitig herzlich. Fräulein Bourienne stand bei ihnen und drückte mit entzücktem Lächeln die Hände aufs Herz. Zum Erstaunen des Fürsten Andree brachen beide in Tränen aus und küßten sich wieder. Auch Fräulein Bourienne begann zu weinen, und dem Fürsten Andree wurde es augenscheinlich unbehaglich zumute.
»Ach, meine Liebe! Ach, Marie!« riefen plötzlich beide Damen lachend. »Ich habe dich im