Krieg und Frieden. Лев Толстой

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erforscht und sich eine klare Meinung gebildet habe. »Was meinen Sie, Michail Iwanowitsch«, sagte er zu dem Architekten, »unserm Bonaparte wird's schlimm gehen! Fürst Andree hat mir erzählt, was für ungeheure Streitkräfte gegen ihn aufgeboten werden, und wir hielten ihn immer für einen Windbeutel.«

      Der Architekt konnte sich nicht erinnern, mit dem Alten über Bonaparte gesprochen zu haben, aber er begriff, daß er nur als Übergangspunkt zu dem Lieblingsgespräch des Fürsten dienen sollte.

      »Er ist ein großer Taktiker«, sagte der Fürst zu seinem Sohne, auf den Architekten deutend, und dann ging das Gespräch wieder auf Bonaparte und die jetzigen Generale und Staatsmänner über. Der alte Fürst schien überzeugt zu sein, daß alle die jetzigen Leute an der Spitze dumme Jungen seien, welche von Krieg und Politik keine Ahnung haben, und daß Bonaparte ein windiges Französchen sei, der nur deshalb Erfolg hatte, weil man ihm keinen Patjomkin oder Suwówrow entgegenzustellen hatte. Er war sogar überzeugt, daß es gar keine politischen Schwierigkeiten in Europa, auch keinen Krieg gebe, daß das alles nur eine lächerliche Komödie sei, welche die jetzigen Leute an der Spitze spielen, um sich wichtig zu machen.

      Fürst Andree hörte vergnügt den Spott des Alten über die neuen Leute an, es machte ihm offenbar Spaß, seinen Vater noch mehr herauszufordern. »Alles scheint gut, was früher war«, sagte er, »aber ist dieser Suwórow nicht in die Falle gegangen, die ihm Moreau gestellt hat?«

      »Wer hat das gesagt?« schrie der Alte. »Suwórow!« – Er stieß den Teller zurück. »Bedenke doch, Fürst Andree, es gibt nur zwei – Friedrich und Suwórow! Dieser Moreau da wäre längst gefangen, wenn Suwórow die Hände frei gehabt hätte. Aber da saß ihm dieser Hof-kriegs-wurst-schnaps-rat auf dem Hals. Er wurde seines Lebens nicht froh mit diesem Hofkriegswurstrat. Suwórow konnte nicht mit ihnen auskommen. Wie wird es nun Kutusow verstehen? Nein, Freundchen, mit euren Generalen ist gegen Bonaparte nichts auszurichten, dazu muß man Franzosen haben. Den Deutschen, Pahlen, hat man nach New York in Amerika geschickt nach dem Franzosen Moreau, er soll in den russischen Dienst treten. Prachtvoll! Sind Patjomkin und Suwórow und Orlow etwa Deutsche gewesen? Nein, Freundchen, entweder seid ihr alle verrückt oder ich.«

      »Ich will nicht behaupten, daß alle Anordnungen gut seien«, erwiderte Fürst Andree, »aber ich begreife nicht, wie Sie so über Bonaparte urteilen können, er ist jedenfalls ein großer Heerführer.«

      »Oho, Bonaparte ist im Hemd geboren worden, seine Soldaten sind vortrefflich. Zuerst ist er über die Deutschen hergefallen und hat sie übel zugerichtet. Seit die Welt steht, sind die Deutschen immer geschlagen worden, und sie haben niemand geschlagen, nur immer einander zerzaust. An ihnen hat er seinen Ruhm gewonnen.«

      Dann erklärte der Fürst alle Fehler, welche nach seiner Ansicht Bonaparte in allen seinen Kriegen gemacht habe. Fürst Andree erwiderte nichts darauf und wunderte sich nur, wie dieser alte Mann, der seit vielen Jahren in der Einsamkeit gelebt hatte, mit solcher Genauigkeit alle kriegerischen und politischen Ereignisse Europas kannte und beurteilte.

      »Du glaubst, ich verstehe nichts davon, weil ich alt bin«, schloss er. »Nun, wo hat er sich denn ausgezeichnet, dein großer Heerführer?«

      »Das wäre zu viel, hier aufzuzählen«, erwiderte der Sohn.

      »Geh mir mit deinem Bonaparte! Fräulein Bourienne, da ist noch ein Verehrer Ihres lumpigen Kaisers!« rief er in vortrefflichem Französisch.

      »Sie wissen, Fürst, daß ich keine Bonapartistin bin.«

      »Gott weiß, wann er wiederkehrt«, sang der alte Fürst wieder in falschem Ton und verließ den Speisesaal. Die kleine Fürstin hatte schweigend und erschreckt bald Marie, bald den alten Fürsten angesehen. Beim Verlassen der Tafel ergriff sie Marie am Arme und führte sie in das andere Zimmer. »Was für ein kluger Mann Ihr Väterchen ist«, sagte sie, »vielleicht deswegen gerade fürchte ich ihn.«

      »Ach, er ist so gut«, erwiderte Marie.

      25

      Am folgenden Abend reiste Fürst Andree ab. Der alte Fürst beobachtete auch an diesem Tage streng seine Tagesordnung und ging nach Tisch in sein Zimmer. Die junge Fürstin war bei Marie. Fürst Andree im Reisemantel, ohne Epauletten, rüstete sich mit seinem Kammerdiener zur Reise. Er besichtigte selbst den Wagen und das Einpacken der Koffer. Im Zimmer waren nur noch die Stücke zurückgeblieben, welche Fürst Andree immer selbst mit sich nahm, eine Schatulle, ein großes, silbernes Reisenecessaire, zwei Türkenpistolen und der Säbel, ein Geschenk seines Vaters. Alles war neu und rein bei Fürst Andree, in Überzügen von Tuch.

      Im Augenblick der Abreise, an Wendepunkten des Lebens befinden sich Leute, welche fähig sind, ihre Handlungen zu überlegen, gewöhnlich in ernster Stimmung. In solchen Augenblicken überdenkt man die Vergangenheit und macht Pläne für die Zukunft. Das Gesicht Fürst Andrees war sehr nachdenklich. Er hatte die Hände auf den Rücken gelegt und ging rasch im Zimmer auf und ab. Vielleicht war es ihm schrecklich, in den Krieg zu ziehen und seine Frau zu verlassen, aber er wünschte nicht, in solcher Stimmung gesehen zu werden, und als er draußen Schritte hörte, stellte er sich an den Tisch, als ob er den Überzug der Schatulle zubinden wolle, und nahm seine alltägliche ruhige Miene an. Es waren die schweren Schritte der Fürstin Marie.

      »Du hast einspannen lassen, wie ich hörte«, sagte sie keuchend nach dem raschen Lauf. »Ich wollte noch mit dir allein sprechen. Gott weiß, wann wir uns wiedersehen! Du hast dich sehr verändert, Andruscha!« Sie lächelte, als sie das Kosewort »Andruscha« aussprach, es schien ihr sonderbar vorzukommen, daß dieser ernste, schöne Mann derselbe Andruscha, der schwächliche, hagere Knabe, der Gefährte ihrer Kindheit war.

      »Wo ist Lisa?« fragte er, indem er ihre Fragen nur mit einem Lächeln beantwortete.

      »Sie ist so ermüdet, daß sie in meinem Zimmer auf dem Diwan eingeschlafen ist. Ach, Andree, was für ein Schatz ist deine Frau! Sie ist noch ein ganzes Kind, ein niedliches, fröhliches Kind, ich liebe sie sehr!«

      Fürst Andree schwieg, aber Marie bemerkte den ironischen, verächtlichen Ausdruck, der sich auf seinem Gesicht verbreitete.

      »Aber man muß mit kleinen Schwachheiten Nachsicht haben, Andree! Vergiß nicht, daß sie in der Welt aufgewachsen ist und ihre jetzige Lage ist auch nicht rosig. Wer alles begreift, vergibt alles. Bedenke, wie schwer es für die Arme sein wird, nach dem Leben, an das sie gewöhnt ist, sich von ihrem Mann zu trennen und allein auf dem Lande zurückzubleiben! Das ist sehr schwer!«

      Fürst Andree lächelte, indem er die Schwester anblickte, wie man lächelt, wenn man Leute anhört, die man ganz zu durchschauen glaubt. »Du lebst ja auch auf dem Lande!«

      »Ich – das ist etwas anderes! Ich wünsche mir kein anderes Leben. Aber bedenke, für eine junge Weltdame, sich in den schönsten Lebensjahren in der Einsamkeit zu vergraben, denn Papa ist immer beschäftigt, und ich, wie du weißt, bin nicht heiter genug für eine Frau, welche an die beste Gesellschaft gewöhnt ist. Nur Fräulein Bourienne …«

      »Sie mißfällt mir sehr, eure Bourienne«, sagte Fürst Andree.

      »O nein, sie ist sehr lieb und gut und ein bedauernswertes Mädchen, sie hat niemand auf der Welt. Aber ich gestehe, ihre Gesellschaft ist mir nicht nur überflüssig, sondern oft drückend. Du weißt, ich war immer menschenscheu, ich liebe allein zu sein. Papa liebt sie sehr, gegen sie und den Architekten ist er immer freundlich und gut. Papa nahm sie als Waise von der Straße. Er liebt ihre Art, vorzulesen, sie liest ihm abends laut vor.«

      »Nun gestehe, Marie, du leidest zuweilen unter den Eigentümlichkeiten

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