Junger Herr ganz groß. Ханс Фаллада
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Gottlob brachte der Friedrich jetzt die Reitstiefel, ich konnte endlich etwas für meinen Magen tun. Es war hohe Zeit. Ich fuhr in die Stiefel und wanderte trotz der hohen Zeit mit kräftigen Schritten ein paarmal in meinem Zimmer auf und ab, wobei ich stark hustete. Aber drüben regte sich nichts. So ging ich hinunter in den Speisesaal. Ich mußte dabei wieder durch die Halle, wo jetzt Puttfarken allein stand. Bei meinem Anblick legte er seine Hand wie einen Schalltrichter um den Mund und flüsterte mir zu – wir waren übrigens völlig allein in der Halle –: »Sie hat 'nen Brief an den Geheimrat Gumpel geschickt.« Ich nickte nur kurz. Aber Puttfarken war noch nicht zu Ende: »Und sie will nischt essen, gar nischt, auch nicht auf'm Zimmer.« Ich tat, als hätte ich nichts gehört, und trat in den Speisesaal.
Der Speisesaal war nur mäßig besetzt – wenn das Hotel wirklich voll war, so waren die meisten Gäste wohl schon im Theater oder im Ratskeller oder im Troubadour, einem gemäßigt mondän aufgezogenen Nachtlokal, oder im Café Kahnert, dem Café Stralsunds. Ich sah ein paar bekannte Gesichter, aber es waren nur halbbekannte, gegen die ich keine Verpflichtung als die eines kurzen Grußes im Vorübergehen hatte. So ging ich rasch an einen Ecktisch, setzte mich an diesem Tage zum erstenmal behaglich in den Winkel und bestellte mir zu einer Flasche Rheinwein ein Abendessen, wie es meinem Hunger angemessen war: Vorgericht, Suppe, Fischgang, Geflügel, ein doppeltes Rumpsteak und mindestens eine dreifache Portion süße Speise. Ich hatte mich kaum jemals zuvor auf ein Essen so gefreut.
Während ich mich eifrig durch diesen Aufmarsch von Herrlichkeiten hindurchaß, überlegte ich, was ich nun als erstes noch an diesem Abend erledigen mußte. Am liebsten wäre ich im Hotel geblieben, als Wache vor Zimmer elf. Die Nachrichten von Puttfarken hatten mich mit neuer Besorgnis erfüllt: Wenn es der Geheimrat Gumpel war, mit dem die schöne Unbekannte – Catriona! – ein Treffen im »Halben Mond« verabredet hatte, so würde sie an diesem Abend und in den nächsten Tagen kaum auf den alten Herrn, ja nicht einmal auf eine Beantwortung ihres Briefes rechnen können. Wenn sie aber auf meinen Onkel Gregor wartete, und es konnte ja sehr wohl Gumpels Auftrag heute nachmittag gewesen sein, Gregor von Lassenthin für diesen Abend zu einer Rücksprache ins Hotel zu bestellen, so hatte sie eine Wache vor ihrem Zimmer noch nötiger. Und dann – daß sie nichts aß! Jeder Mensch aß zu Abend, ich hatte tausend Schwierigkeiten, aber ich hätte noch ganz gut ein zweites solches Rumpsteak essen können! Es mußte sich nur einer finden, der ihr gut zuredete.
Aber dann dachte ich doch wieder an meinen Weizen. Es wurde nun wirklich Zeit, daß ich mich um meine Fuhrwerke kümmerte. Es war ganz unverständlich, warum nicht wenigstens eine Botschaft für mich hier im Hotel bereit lag. Junghanns wußte doch, daß wir immer hier absteigen. Allmählich wurde mir klar, daß wirklich etwas mit meinen Fuhrwerken passiert sein mußte, und vierhundert Zentner Weizen, nun, so ohne weiteres konnten wir Strammins jetzt kurz vor der Ernte nicht auf sie verzichten. Ich würde in den »Alten Fuhrhof« gehen müssen, wo unsere Wagen immer ausspannen, und schlimmstenfalls noch zur Brigg Svionia und dem Kapitän Ole Pedersen. Oder auch zu unserm alten Getreidehändler Kalander. Alles in allem eine Sache von höchstens zwei Stunden. Um halb zwölf würde ich wieder im Hotel sein. Ich sagte dies dem Portier Puttfarken und trat auf den Alten Markt hinaus.
Nach dem abendlichen Gewitterguss war die Luft frisch, ich atmete sie in tiefen Zügen ein. Hinter der prächtigen gotischen Schauwand ihres Rathauses, die sich die Stralsunder von 16 000 Mark feinem Silber Lösegeld für 24 im Jahre 1316 gefangene pommersche und mecklenburgische Ritter gebaut haben, stand schon der Mond und warf sein Licht durch ihr Maßwerk. Klotzig ragte daneben der nie vollendete Nordturm von St. Nicolai empor. Die Leute gingen plaudernd über den Marktplatz, der Laut ihrer Schritte hallte angenehm wider: Man hörte es diesen Lauten an, wie schön es war, an solchem Juniabend spazierenzugehen und zu plaudern. Aus den offenen Fenstern der Konditorei drang Geigenmusik.
Plötzlich empfand ich, wie allein ich war – an diesem schönen Abend. Auch ich hätte jetzt gern mit jemandem spazieren und plaudern mögen! Ich wandte mich um und sah zu den Fenstern des »Halben Mondes« empor. Jawohl, Nummer elf war beleuchtet. Ich dachte sie mir dort, in einem Sessel sitzend, ganz allein, vor sich hin sinnend, keinen Freund in Stadt und Land, das hilflose Opfer widerlichen Geschwätzes. An wen dachte sie? Auf wen hoffte sie? Gregor –? Ich schüttelte mich. Arme Frau, dachte ich, arme Catriona ...
Dann fiel mir plötzlich ein, daß während meines Abendessens ein paar Tische weiter der Major von Brandau gesessen hatte. Brandau war Polizeimajor von Stralsund, und wir jungen Leute hatten schon ein paarmal Zusammenstöße mit ihm gehabt. Der Major fand, wir nahmen uns etwas viel heraus in der guten, alten Hansestadt – nämlich dann, wenn wir einen sitzen hatten. Sicher war Herr von Brandau ein Mann von Verdiensten, leider war er aber auch ein Mann ohne Humor. Er hielt es für ein Staatsverbrechen, wenn wir nächtlicherweise das Schild der Hebamme Kakeldütt mit dem des Pastors Friesicke vertauschten – und es war doch nur ein sehr dummer Jungenstreich.
Nun also, dieser Brandau hatte ein paar Tische weiter bei seinem Burgunder gesessen, sehr flott mit seinem langausgezogenen Kavalleristenschnurrbart, und Herr Ericke hatte sich dann zu ihm gesetzt. Die beiden hatten lange miteinander geflüstert, und jetzt, hinterher, kam es mir ganz so vor, als hätten sie dabei ein paarmal zu mir herübergesehen. Komisch, daß mir dies erst jetzt auffiel, aber als es geschah, war ich wohl zu stark von der Stillung meines Hungers in Anspruch genommen. Jetzt war ich fast sicher, daß die beiden über die schöne Unbekannte gesprochen hatten und daß sie Übles gegen sie planten.
Ich steckte den Kopf wieder durch die Schwingtür des Hotels: Die Halle war leer bis auf Puttfarken, der, eine Brille auf seiner roten Nase, Zeitung las. »Ist Major von Brandau noch hier?« rief ich Puttfarken zu.
»Spielt mit den Herren Menzel und Henneberg Billard, Herr von Strammin!«
»Danke!« sagte ich und marschierte eilends zum »Alten Fuhrhof«.
Ich will nicht in allen Einzelheiten die Suche nach meinen Weizenfuhrwerken schildern, genug, auf dem »Alten Fuhrhof« wußten sie nichts von ihnen. Und, was schlimmer war, man hatte nichts von ihnen gehört. Es gab da eine ganze Menge Fuhrwerke im Ausspann, auch einige aus unserer Gegend, aber meine Leute schienen wie fortgeblasen, keinerlei Kunde.
Ernstlicher besorgt lief ich zum Hafen hinunter und fragte mich nach der Svionia durch. Ich stolperte und rief dunkle Schiffe an, von denen mir endlich ein verschlafener Wachtmann verdrossen falsche Auskunft gab. Schließlich lag die schwedische Brigg direkt vor dem Speicher unseres altgewohnten Getreidekaufmanns Kalander; es würde morgen verdammt unangenehm sein, vor der Nase Kalanders den Weizen dem Ole Pedersen zu geben – wenn es überhaupt etwas zu verladen gab. Jetzt hatte ich wirkliche Sorgen, es war mir allgemach klargeworden, daß ich an diesem Tage meine Pflichten als Transportführer sträflich vernachlässigt hatte.
Auch die Svionia war verlassen. Der Wachtmann wußte nicht, wo ich den Kapitän finden könnte, und ich hatte nicht die geringste Neigung, ihn in einem Dutzend zweifelhafter Hafenkneipen zu suchen, um ihn schließlich »Hinter der Mauer« zu finden, damals der anrüchigen Gasse Stralsunds. Aber bei unserm alten Kalander brannte noch Licht auf dem Kontor, ich faßte mir ein Herz, stieß die Tür auf und trat ein.
Es war wirklich der alte Kalander selbst, der dort, glattrasiert und wie aus Buchsbaumholz geschnitzt, über seinen Büchern hockte und den Blick seiner alten Augen mit einem milden Lächeln auf mich richtete. »Nun, Herr von Strammin, noch so spät am Abend unterwegs? Ist das Geld für einen kleinen Nachtbummel etwa knapp geworden?« Und er griff lächelnd nach einer kleinen, eisernen Handkasse, die stets in seiner Nähe stand.
Obwohl in meiner Kasse tiefe Ebbe herrschte, wehrte ich stolz ab. Die Wahrheit zu sagen, hatte der Ankauf des Fässchens Bier und der vier Flaschen