Junger Herr ganz groß. Ханс Фаллада
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Читать онлайн книгу Junger Herr ganz groß - Ханс Фаллада страница 6
»Ich weiß schon«, antwortete ich etwas mürrisch, denn das klang fast wie ein Vorwurf. »Der alte Herr von Lassenthin. Aber in unserm Hause wird sein Name nie genannt, wir legen keinen Wert auf diese Verwandtschaft, Mama schon gar nicht. Und wenn wir ihn unter uns nennen, unter uns jungen Leuten, so nennen wir ihn nur den Raubold.«
»Auch ich«, sagte der Geheimrat Gumpel wehmütig, »habe nie gedacht, daß ich dieses Haus wieder betreten würde. Aber, Lutz, mein Junge, wenn man um Hilfe gebeten wird von einem Schwachen, der sich selbst nicht helfen kann ...«
Ich muß wohl den alten Herrn sehr gespannt angesehen haben, denn er brach seine Rede sofort ab. Es deuchte ihn wohl, er habe schon zu viel verraten. »Aber das sind schlimme Geschichten, Lutz«, fuhr er fort, »von denen so ein junger Mensch wie du am besten nichts weiß, und so will ich denn weiterpilgern auf meinem Wege.«
»Nein, Herr Geheimrat!« rief ich entschlossen, »wenn Sie so ohne Zögern bereit sind, dem Schwachen zu helfen –«
»Nicht ohne Zögern, Lutz, sondern nur sehr zaghaft.«
»So habe ich noch eine halbe Stunde Zeit, Sie bis an Ihr Ziel zu bringen. Meine Weizenfuhrwerke sind noch immer nicht in Sicht, steigen Sie auf meinen Alexius und schonen Sie Ihre wunden Füße. Er ist lammfromm, wenn ich ihn am Zügel führe.«
Eine Weile protestierte der alte Herr noch wegen der Ungelegenheiten, die er mir machte, aber wie bei vielen war sein Fleisch schwächer als sein Geist, der wahrhaftig völlig furchtlos war. So saß er denn bald mit baumelnden Beinen auf meinem Fuchsen, der sich ein paarmal verwundert nach dem seltsamen Reiterlein umsah, aber mir willig genug am Zügel ging.
Je näher wir kamen, um so mehr versank Ückelitz (so heißt der Besitz des alten Herrn von Lassenthin) zwischen den schwarzen Tannen. Keine Fenster mehr blickten zu uns herüber. Um so mehr dachte ich an den alten Herrn, den ich nur drei- bis viermal in meinem Leben gesehen hatte, an den ich mich aber sehr gut erinnerte als einen schweren, großen Mann mit einem rotbraunen Gesicht, einem weißzottigen Bart, ganz kahlem Schädel und scharfen, hellen, sehr kleinen Augen unter borstigen weißen Augenbrauen. Er war ein wirklicher Kinderschreck, ein wahrer »Raubold«, und so hatte er sich auch immer benommen. Mit allen Nachbarn hatte er Streit angefangen, immer hatte er Prozesse geführt, auf den eigenen Vorteil aufs kleinste bedacht. Nie aber hatte er an die Rechte der andern gedacht, mit wahrer Freude hatte er auf Feld und Flur der andern gejagt, gewildert muß man schon sagen, und traf ihn etwa der Jagdherr, so hatte es ihm nichts ausgemacht, den auch noch zu verprügeln. Das hatte viele schlimme Geschichten gegeben, die nicht alle hatten vertuscht werden können, so geschickt der Geheimrat Gumpel auch war.
In den letzten Jahren war es stiller geworden um den Raubold, kein Mensch hatte mehr etwas mit ihm zu tun haben wollen, er hatte einsam und schon halb vergessen, ein böser Menschenfeind, in seinem Ückelitz gehaust. Dann war noch einmal ein großes Gerede gekommen, aber dieses Mal nicht über den Vater, sondern über den Sohn. Denn einen Sohn hatte der alte Herr von Lassenthin, wenn auch schon längst keine Frau mehr. Den Sohn, meinen Onkel also, aber keine zehn Jahre älter als ich, den Gregor von Lassenthin, kannte ich besser, und ich konnte ihn vielleicht noch weniger ausstehen als den Vater. Der Alte war doch wenigstens ein Kerl, wenn auch ein unangenehmer, der Sohn aber war so ein richtiger Schönling, ein Frauenmann, weibisch, künstlich. Er kam selten genug zu uns herauf nach Vorpommern, meist lebte er in Italien oder in München, und manche behaupteten auch, er sei ein richtiger Kunstmaler in Öl. Ich habe aber nie ein Bild von ihm zu sehen bekommen, und wenn er bei uns war, tat er nichts anderes als zwischen Weiberröcken herumzuhocken und Lieder zur Laute zu singen und allen Mädchen die Köpfe zu verdrehen. Einfach ein Horror, dieser Kerl!
Daß es zwischen einem solchen Vater und einem solchen Sohn nie gut gehen konnte, war klar, und Gregor war im Jahr auch höchstens vier Wochen auf Ückelitz, wahrscheinlich gerade die Zeit, die not war, dem Vater das Geld für ein weiteres Jahr Lieder- und Luderleben abzujagen. In der letzten Zeit aber soll es zu einem völligen Bruch zwischen den beiden gekommen sein, denn Gregor war, wie das Gerede erzählte, ehrlos mit der jungen Frau eines andern durchgegangen. Der hatte ihn gestellt, aber Gregor war feige gekniffen und hatte sich bei seinem Vater verstecken wollen. Ehrlos war der Alte nie gewesen, er hatte den Sohn vor die Pistole des andern zwingen wollen, war dann aber schließlich für ihn eingetreten und hatte den Sohn für immer fortgejagt ...
Was an all diesen Geschichten wahr und erfunden war, das wußte wohl außer den zunächst Beteiligten nur der alte Geheimrat da auf meinem Alex, und daß der mir nichts erzählen würde, stand fest. Im Grunde war es mir auch ganz egal, diese sogenannten Weibergeschichten sind mir immer ekelhaft gewesen, und ich habe den Gregor schon deswegen nie ausstehen können, weil er, der mit den Frauen so schmeichelte und galant tat, in Herrengesellschaft beim Wein stets die schmutzigsten Geschichten erzählte. Rein um unsern stillen Weg etwas zu beleben, fragte ich aus meinen Gedanken heraus plötzlich den alten Geheimrat: »Was macht eigentlich der Gregor? Ist er jetzt auf Ückelitz oder treibt er sich wieder in der Welt umher?«
Meine unerwartete Frage warf den alten Rat fast aus dem Sattel. »O Gott!« rief er. »Nun fragst du mich auch noch nach dem Unglücksmenschen, Lutz, und ich grübelte die ganze Zeit darüber, wie ich zu ihm komme, ohne daß der Alte es merkt!«
»So ist der Gregor also auf Ückelitz?« fragte ich weiter. »Die Leute erzählen doch –«
»Glaube du den Leuten und ihren Erzählungen nie ein Wort«, sagte Herr Gumpel streng. »Es ist alles ganz, ganz anders.« Er schüttelte traurig den Kopf und sah mir prüfend von oben her ins Gesicht. »Du hast so ein gutes, offenes Gesicht, Lutz«, fuhr er fort, »und ich möchte dich um nichts in der Welt in diese schlimme Geschichte hineinziehen. Ich dürfte ja nie wieder deiner Frau Mama die Hand geben. Und doch grübele ich schon die ganze Zeit, ob ich dich nicht um einen kleinen Dienst bitten kann.«
»Und was wäre das für ein Dienst?« fragte ich, etwas neugierig und etwas ungeduldig.
»Sieh einmal, Lutz, mein Junge«, sagte der Geheimrat vorsichtig. »Ich habe es dir ja schon gesagt, ich muß den Sohn sprechen, ohne daß der Vater es merkt – in einer gerechten Sache, wohlverstanden. Würdest du es nun für möglich halten, daß du mir vorausrittest und dich bei dem alten Raubold – Gott sei's geklagt – melden ließest und ihn nur etwa eine Viertelstunde im Gespräch festhieltest? Schließlich bist du doch sein Neffe, sein Großneffe, will ich sagen.«
»Ich kann verdammt schlecht lügen, Herr Geheimrat«, meinte ich bedenklich. »Was soll ich denn für einen Vorwand haben?«
»Ach, irgendeinen. Daß dein Pferd lahmt oder daß dir schlecht geworden ist.«
»Das würde er mir beides nicht glauben. Aber ich könnte ihn eigentlich wegen der Weizenlieferung an Ole Pedersen um Rat fragen. Nur, Herr Geheimrat, ich möchte wirklich nicht gern was für Gregor gegen den Alten tun. Ich kann den Gregor noch weniger ausstehen als den Alten.«
»Aber ich habe dir doch gesagt« – der Geheimrat war jetzt endgültig bei dem gewohnten »Du« angelangt, das er nur Mamas wegen immer wieder zu verbessern suchte –, »ich habe dir doch gesagt, daß du für einen Schwachen kämpfen sollst.«
»Ach«, sagte ich in meinem Jugendstolz, »für dieses weggelaufene Frauenzimmer?«
»Still! Still!« rief der Geheimrat fest, sah sich nach allen Seiten um und legte den Finger auf den Mund. »Du weißt nicht, was du redest. Du hast auf Geschwätz gehört, und das sollte ein Ehrenmann nie tun. Also willst du mir helfen oder willst du nicht?«
Meine Heimat Vorpommern ist ein schönes Land,