Der Gefangene im Kaukasus. Лев Толстой

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Der Gefangene im Kaukasus - Лев Толстой

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Anzeichen dafür hatte er aber durchaus nicht, und die Nacht konnte ihn täuschen.

      Er trat auf die Ebene hinaus, während Kostylin sich niedersetzte und sagte: »Mach, was Du willst, ich gehe nicht weiter. Meine Füße tragen mich nicht mehr.«

      Wiederum suchte ihn Schilin zu ermutigen.

      »Nein«, erwiderte Kostylin, »es geht nicht, ich kann durchaus nicht mehr!«

      Schilin wurde zornig, spie aus und sagte ihm heftige Worte. »Nun, dann gehe ich allein. – Leb wohl!« schloss er.

      Da sprang Kostylin auf und schleppte sich mühsam weiter. So legten sie vier Werst zurück, und immer dichter wurde der Nebel im Walde. Vor ihnen war nichts zu unterscheiden, und selbst die Sterne waren nicht mehr sichtbar.

      Da plötzlich blieb Schilin stehen und horchte. Vor sich hörte er wieder Hufschläge. Deutlich war zu vernehmen, wie die Hufeisen gegen die Steine schlugen. Er legte sich platt auf den Erdboden und horchte.

      »Diesmal ist es richtig ein Reiter, er kommt uns entgegen«, sagte er.

      Sie zogen sich tiefer in das Dickicht zurück und warteten. Dann schlich Schilin wieder zum Wege zurück und sah nach allen Seiten. Bald kam ein Tatar zu Pferde, der eine Kuh vor sich her trieb, indem er ein Lied summte. Langsam ritt er vorbei, und Schilin kehrte erleichtert zu Kostylin zurück.

      »Nun, Gott hat ihn vorbeigeführt. – Steh auf; wir müssen weiter!«

      Kostylin machte eine Anstrengung, sich zu erheben, fiel aber sogleich wieder nieder.

      »Ich kann nicht! Bei Gott, ich kann nicht, ich habe keine Kraft mehr!«

      Der große, dicke Mensch schwitzte schrecklich. In dem kalten Nebel im Walde schauerte er vor Kälte; seine Füße waren wund, und er selbst ganz ermattet. Schilin wollte ihn mit Gewalt aufheben, aber Kostylin schrie dabei laut auf: »O weh! O weh!«

      Schilin ward starr vor Schreck. »Was schreist Du so! Der Tatar ist ja noch ganz in der Nähe und hört Dich.«

      Im stillen sagte er sich dabei: »Er ist auch in der Tat ganz schwach geworden. Was soll ich mit ihm anfangen? Einen Kameraden im Stich lassen, das geht nicht an.« Laut fügte er deshalb hinzu: »Steh auf und setze Dich auf meinen Rücken, ich werde Dich tragen, wenn Du wirklich nicht mehr gehen kannst!«

      Er nahm in der Tat Kostylin auf den Rücken und trat mit seiner schweren Last auf den Weg hinaus.

      »Aber würge mich doch nicht mit Deinen Händen am Halse!« sagte er. »Halte Dich an meinen Schultern fest.«

      Schilin hatte schwer zu schleppen; seine Füße waren wund, und bald war er völlig erschöpft. Er bückte sich und suchte die Last bequemer zu rücken, damit ihm das Tragen etwas erleichtert werde, dann schleppte er sich mühsam weiter.

      Allein Kostylins Geschrei mußte der Tatar, welcher vorhin vorbeigeritten war, gehört haben. Schilin hörte ihn zurückkommen und in seiner Sprache rufen. Wiederum eilte er ins Dickicht. Der Tatar ergriff sein Gewehr und schoß auf sie, jedoch ohne zu treffen. Dann ritt er schleunigst davon.

      »Jetzt sind wir verloren, Bruder!« rief Schilin verzweifelt aus, »der wird uns alsbald die Tataren zur Verfolgung nachschicken. Wenn wir jetzt nicht mindestens drei Werst weit kommen können, so sind wir unrettbar verloren!«

      Dabei sagte er zu sich selbst: »Der Satan hat mich verführt, diesen Fußklotz mit mir zu nehmen; allein wäre ich nun schon längst am Ziel.«

      Kostylin sagte: »Geh allein! Warum willst Du mit mir zugrunde gehen?«

      »Nein, allein gehe ich nicht; es ist nicht ehrenhaft, einen Kameraden im Stich zu lassen.«

      Wieder nahm er ihn auf die Schulter. So ging es noch eine Werst weit immer durch den Wald, dessen Ende nicht abzusehen war. Doch der Nebel begann sich zu zerteilen und bildete Wolken, so daß die Sterne unsichtbar wurden und Schilin sich nicht mehr danach zu orientieren wußte. Am Wege fanden sie eine kleine Quelle, welche mit einem Stein bedeckt war. Schilin machte dort halt und setzte Kostylin ab.

      »Ich muß mich etwas ausruhen und trinken! Wir können nicht mehr weit haben.«

      Er beugte sich zur Erde nieder, um zu trinken. Plötzlich horchte er; er vernahm deutlich ein Geräusch, das sich in der Richtung, von wo sie gekommen waren, näherte. Wieder eilten sie nach rechts ins Dickicht, den Abhang hinab und verbargen sich darin, aufmerksam horchend. Bald hörten sie tatarische Laute. An derselben Stelle, an der sie vom Wege abgewichen waren, hielten mehrere Tataren. Sie sprachen miteinander und hetzten ihre Hunde auf die Suche. Schilin hörte ein Knistern im Gebüsch; ein fremder Hund stürzte gerade auf sie zu, hielt an und begann zu bellen.

      Die Tataren folgten ihm nach. Es waren unbekannte Tataren. Die Flüchtigen wurden ergriffen, gebunden, auf die Pferde gesetzt und in raschem Trab davongeführt.

      Nachdem sie auf diese Weise etwa drei Werst zurückgelegt hatten, begegnete ihnen Abdul in Begleitung von zwei anderen Tataren. Die Reiter wechselten einige Worte miteinander. Die Gefangenen wurden auf die Pferde von Abduls Begleitern gesetzt und in den Aul zurückgeführt.

      Abdul lachte nicht mehr und sprach auch kein Wort mit ihnen. Gegen Morgen kamen sie im Aul an. Die Gefangenen wurden auf die Straße abgesetzt. Kinder liefen herbei, schlugen mit Peitschen nach ihnen, bewarfen sie mit Steinen und erhoben ein wildes Geschrei.

      Die Dorfbewohner bildeten einen Kreis um sie, auch der Alte vom Berge war hinzugekommen. Lebhaft verhandelten sie miteinander. Schilin hörte, daß sie berieten, was mit den Gefangenen geschehen sollte: Die einen rieten, man müsse sie weiter in die Berge führen, der Alte blieb hartnäckig bei seiner Ansicht, man müsse sie töten.

      Abdul widersprach. »Ich habe Geld für sie bezahlt«, sagte er, »und muß das Lösegeld für sie bekommen.«

      Der Alte aber wiederholte: »Gar nichts werden sie bezahlen, sondern nur Unheil anrichten! Es ist eine Sünde, Russen zu füttern. Totgeschlagen müssen sie werden, und damit abgemacht!«

      Die Versammlung ging auseinander. Abdul trat zu Schilin und sagte zu ihm: »Wenn man nicht binnen zwei Wochen das Lösegeld für euch schickt, so lasse ich euch zu Tode peitschen, und wenn Du es noch einmal wagst, zu fliehen, so erschlage ich Dich wie einen Hund! Jetzt schreib noch einmal einen Brief, das rate ich Dir.«

      Man brachte ihm Papier, er schrieb einen zweiten Brief. Danach wurden ihnen wieder Fußblöcke angelegt und beide hinter die Moschee geführt. Dort befand sich eine Grube von etwa zehn Fuß Tiefe; in diese ließ man sie hinab.

       VI.

      Von diesem Tage an führten die Gefangenen ein elendes Dasein. Die Fußblöcke wurden ihnen nicht mehr abgenommen, und sie auch nicht mehr aus der Grube hinausgelassen. Wie Hunden warf man ihnen unausgebackenes Brot zu. Wasser ließ man ihnen im Eimer herab. Die Luft in der Grube war schwer und feucht. Kostylin wurde ganz krank und litt an Rheumatismus am ganzen Körper. Den ganzen Tag über stöhnte oder schlief er. Auch Schilin wurde äußerst niedergeschlagen und war nahe daran, den Mut zu verlieren, da er keinen Ausweg mehr sah. Zwar hatte er wieder angefangen zu graben; doch fehlte es ihm an einem Platze, wohin er die ausgegrabene Erde hätte schütten können; auch wurde es Abdul gewahr und drohte ihm mit dem Tode.

      So saß er eines Tages, in schwermütige Sehnsucht nach der Freiheit versunken, als plötzlich gerade vor ihm ein Fladen auf

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