Ivanhoe. Walter Scott
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Als der Prinz und die Marschälle einstimmig erklärten, daß dem Enterbten die Palme des Tages gebühre, brach allseitiger, vielstimmiger Jubel aus. William de Wywil und Stephan de Martival waren die ersten, die dem Sieger ihre Glückwünsche darbrachten. Gleichzeitig ersuchten sie ihn, den Helm zu lösen oder doch wenigstens das Visier hochzuschlagen, um aus den Händen des Prinzen Johann den Preis des Turniers zu empfangen. Mit ritterlichem Anstand schlug der Enterbte dieses Ansuchen ab, er könne jetzt sein Gesicht noch nicht zeigen, aus welchen Gründen, habe er bei seinem Eintritt in die Schranken den Herolden mitgeteilt. Die Marschälle erkannten ohne weiteres seine Weigerung an, denn es war damals ein sehr häufiges Vorkommnis, daß ein Ritter sich selbst wunderliche Gelübde leistete, und in der Regel lautete ein solches Gelübde dahin, eine Zeitlang unbekannt zu bleiben. Die Marschälle drangen daher nicht weiter in den fremden Ritter, sein Geheimnis preiszugeben, sondern zeigten dem Prinzen Johann an, daß sich der Sieger nicht zu erkennen geben wolle und baten seine Hoheit, ihn vortreten zu lassen und ihm den Lohn seiner Tapferkeit zu erteilen.
Der enterbte Ritter trat also an die Treppe heran, die zu dem Throne des Prinzen hinaufführte, und Johann spendete ihm das übliche Lob für seinen Sieg, und der Ritter, ohne ein Wort zu erwidern, verneigte sich tief. Dann wurde das Pferd, das ihm als Preis zufiel, in die Schranken geführt. Es war mit dem kostbarsten Zaumzeug bedeckt, aber der Kenner hätte auch ohnedies den Wert des Tieres richtig geschätzt. Der Enterbte legte die Hand auf den Sattelknauf und schwang sich ohne Bügel auf den Rücken des Arabers. Die Lanze schwingend, führte er es dann zweimal durch die Schranken, alle Vorzüge seines Pferdes und alle seine eigenen Künste als Meister der Reitkunst zeigend. Eine solche Parade mochte als Eitelkeit erscheinen, dies wurde aber dadurch wieder ausgeglichen, daß der Ritter den vollen Wert des Geschenkes zeigte, das ihm vom Prinzen zuteil geworden war, und so lohnte lauter Beifall seinen zierlichen Rundritt. Inzwischen hatte der Prior von Jorlvaux den Prinzen leise daran erinnert, daß der Sieger nun auch seinen guten Geschmack zu beweisen habe und unter den versammelten Schönheiten die Königin des Liebreizes und der Minne erwählen müsse, die im Turnier des folgenden Tages den Preis austeilen solle.
Als der Ritter zum zweiten Mal um die Schranken herumgeritten war, winkte ihm daher der Prinz mit dem Stabe, und sofort drehte der Ritter sein Pferd dem Throne zu, die Lanze zur Erde senkend, bis sie nur einen Fuß hoch vom Boden abstand. So hielt er regungslos, der Befehle des Prinzen harrend. Aller Augen staunten über die Gewandtheit, mit der er das Pferd, das eben noch im vollen Galopp begriffen war, mit einem Ruck zur Bewegungslosigkeit einer Statue brachte.
»Herr Enterbter!« sagte Prinz Johann, »denn das ist der einzige Titel, den wir Euch geben können, Ihr habt nun die Pflicht, die schöne Lady zu ernennen, die dem Feste des kommenden Tages als Königin des Liebreizes und der Minne präsidieren soll. Wenn Ihr ein Fremder in unserem Lande seid und des Urteils eines anderen bedürft, so können wir Euch nur sagen, daß Lady Alicia, die Tochter des tapferen Ritters Waldemar Fitzurse, an unserem Hofe seit langem als die erste dem Range und der Schönheit nach gilt. Freilich ist es Euer unbestrittenes Recht, die Krone nach eigenem Belieben auszuteilen. Die Lady, der Ihr sie überreicht, ist nach Form und Recht die Königin des morgenden Tages. Hebt Eure Lanze hoch!«
Der Ritter gehorchte und der Prinz heftete an die Spitze der Lanze eine Krone von grünem Atlas mit einem Goldreifen, dessen oberer Rand von Pfeilspitzen und Herzen besetzt war, die miteinander wechselten wie die Stachelbeerblätter und Kugeln an einer Herzogskrone.
Waldemar Fitzurse war der erste und einflußreichste unter den Ratgebern des Prinzen, sozusagen sein Premierminister, obwohl er noch nicht Monarch war. Sein Wink auf die die Tochter dieses Mannes entsprang dem Wunsche, ihn, den er fürchtete, sich zu Dank zu verpflichten. Außerdem hatte er es selber auf die Gunst der Lady abgesehen, denn Prinz Johann, der kein verworfenes Mittel scheute, seine Ehrsucht zu befriedigen, scheute ebenso kein Mittel, seiner Wollust Genüge zu tun. Im stillen hegte er auch den Zweck, dem enterbten Ritter, dessen geheimnisvolle Person ihm verdächtig erschien und der ihm mehr und mehr zu mißfallen begann, in Waldemar Fitzurse einen mächtigen Feind zu erwecken, denn er war der Meinung, daß dieser Edelmann nie die Kränkung verzeihen würde, wenn der Sieger in der Wahl der Königin des Turniers seine Tochter überginge. Und in der Tat traf der Enterbte eine andere Wahl. An der Tribüne neben dem königlichen Sitz, wo Lady Alicia im vollen Bewußtsein ihrer obsiegenden Schönheit saß, ritt er ohne Zaudern vorüber. Er ließ sein Pferd jetzt ebenso langsam durch die Schranken reiten, wie er es vorher rasch herumgetrieben hatte und schien sein Recht, die vielen schönen Gesichter, die den bunten Glanz des Kreises erhöhten, eingehend zu mustern, mit voller Muße ausüben zu wollen.
Recht spaßhaft war es zu schauen, mit wie verschiedenem Benehmen die Mädchen diese Prüfung über sich ergehen ließen. Die einen erröteten, die andern setzten eine stolze Miene auf, einige sahen still vor sich hin, als wüßten sie nicht, was eigentlich vor sich ginge, andere wieder verhielten sich mühsam das Lachen, und ein paar platzten gar laut lachend heraus. Andere auch hüllten sich in ihre Schleier, aber das waren solche, die schon zehn Jahre lang verschmäht waren und nun von den Eitelkeiten genug gekostet hatten, um den Jüngeren den Vorrang zu gönnen.
Endlich hielt der Held des Tages an dem Balkone, auf dem Lady Rowena saß, und die Spannung aller Anwesenden stieg aufs höchste. Wenn sich der Enterbte bei seinem Urteil davon beeinflussen ließ, welche Zuschauer eine lebhaftere Teilnahme an seinem Glücke bekundeten, so verdiente allerdings der jetzt vor ihm liegende Teil der Tribünen den Vorzug. Cedric der Sachse lehnte vor Freude über den Fall des Templers und über die Niederlage seiner boshaften Nachbarn Front-de-Boeuf und Malvoisin mit halbem Leibe über der Brüstung und war dem Sieger nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen und der ganzen Seele gefolgt. Lady Rowena hatte dem Erfolge des Tages wohl mit gleicher Aufmerksamkeit, doch nicht mit gleich herzlichem Anteil zugeschaut. Selbst der apathische Athelstane bekundete den besten Willen, sich aus seiner Gleichgültigkeit aufzuraffen, indem er sich einen großen Humpen Wein bringen ließ, den er auf das Wohl des Enterbten leerte. Nicht weniger Anteil an dem Verlauf des Turniers bekundete eine andere Gruppe von Zuschauern, die unter den Plätzen der Sachsen saßen.
»Vater Abraham!« rief Isaak von York, als der erste Gang zwischen dem Ritter und dem Templer ausgefochten war. »Wie reitet der Heide so kühn! Das wackere Pferd hat den weiten Weg von der Berberei her gemacht, und er geht mit ihm um, als wäre es das Füllen eines wilden Esels! Die edle Rüstung ist manche Zechine wert – siebzig Prozent sind bei dem mailändischen Waffenschmied Joseph Pareira noch heruntergeschunden worden – und er sieht sich so wenig damit vor, als wäre sie auf der Landstraße aufgelesen worden!«
»Setzt er doch Leben und Glieder aufs Spiel, Vater!« sagte Rebekka. »Wie sollte er in so furchtbarem Kampfe noch des Pferdes und der Waffen schonen!«
»Kind!« versetzte Isaak ein wenig ungestüm. »Du weißt nicht, was du schwätzest! Wohl, der Hals und die Glieder sind sein eigen, aber Pferd und Rüstung – heiliger Jakob! was sage ich da – nun, trotz allem bleibt er ein braver junger Mann! – Doch schau, Rebekka! schon wieder fängt er einen Kampf mit dem Philister an. Bete, mein Kind, bete, daß der gute junge Mann nicht Schaden leide an seiner Gesundheit! Und auch, daß das Pferd und die feine Rüstung ja nicht ruiniert werden! – Gott meiner Väter!« rief er wieder. »Sein ist der Sieg! Vor seiner Lanze ist gefallen der unbeschnittene Philister wie der König der Ammoniter vor dem Schwerte unserer Väter – gewiß werden ihm zufallen ihr Gold und ihr Silber und ihre Streitrosse und ihre Rüstungen von Erz und Stahl – als Beute und als Preis!« Mit der gleichen ängstlichen Teilnahme verfolgte der würdige Jude jeden Gang, und immer berechnete er flüchtig, was wohl das erbeutete Pferd samt der Rüstung wert sein mochten.
Der Sieger des Tages blieb – ob aus Unentschiedenheit oder einem anderen Grunde eine Weile regungslos an derselben Stelle, dann endlich senkte er langsam und voller Grazie die