Ivanhoe. Walter Scott
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»Ihr Vater ist Cedric nicht,« erwiderte der Prior, »er ist nur ein entfernter Verwandter von ihr, sie ist von noch höherer Herkunft als er selbst. Er hat sie in Pflege genommen und hat sie lieb wie sein eigen Kind. Über ihre Schönheit werdet Ihr bald selbst urteilen, und wenn Euch ihre zarte weiße Haut und der majestätisch sanfte Ausdruck ihrer blauen Augen nicht alle schwarzhaarigen Mädchen Palästinas und alle Huris aus dem Paradiese Mahommets vergessen machen, so will ich ein Heide sein und kein echter Priester.«
»Wenn Eure berühmte Schönheit,« versetzte der Templer, »auf der Wage gewogen und zu leicht befunden wird, so wißt Ihr ja, worum wir gewettet haben.«
»Meine goldene Halskette gegen zehn Flaschen Chioswein,« war des Priors Antwort. »Gewinnt nur die Wette und tragt meine Kette! Doch hört auf meinen Rat, Bruder, und gewöhnt Eure Zunge mehr an Höflichkeit als es bisher im Herrschen über gefangene Ungläubige und morgenländische Leibeigene Eure Gepflogenheit war. Wenn sich Cedric der Sachse beleidigt fühlt, und dazu gehört nicht viel, so wird er sich wenig um Eure Ritterschaft oder um mein hohes Amt oder um die Heiligkeit von beiden scheren und kriegt es wohl fertig, uns beide an die Luft zu setzen und bei den Lerchen zur Herberge zu schicken, und wäre es auch schon Mitternacht. Auch seid vorsichtig, wenn Ihr nach Lady Rowena schaut, denn er hat mit mißtrauischer Sorge Acht auf sie. Wenn er den mindesten Verdacht schöpft, so sind wir verloren. Es geht das Gerücht, er habe seinen eigenen Sohn aus seiner Familie verbannt, weil er die Augen mit Liebesglut zu ihrer Schönheit erhoben habe. – Doch hier ist das verfallene Kreuz, von dem der Narr sprach. Die Nacht ist so finster, daß man nicht sehen kann, welcher Weg einzuschlagen ist. Ich glaube, er sagte, wir müssen uns links halten.«
»Nein, rechts, wenn ich mich recht erinnere,« sagte Brian.
Jeder verteidigte nun hartnäckig seine Meinung. Die Diener wurden gerufen, aber sie waren nicht nahe genug gewesen, als daß sie Wambas Bescheid hätten hören können.
Endlich erkannte Brian etwas, das ihm in der Dunkelheit bisher entgangen war.
»Hugo!« rief er, »am Fuße des Kreuzes liegt einer und schläft, oder es ist vielleicht ein Toter. Gib ihm einen Stoß mit der Lanze!«
Als dies geschehen war, erhob sich die Gestalt und rief auf gut französisch: »Wer du auch sein magst, es ist unhöflich, mich in meinen Gedanken zu stören.«
»Wir wollen von dir nur wissen, wo es nach Rotherwood geht, zu Cedric dem Sachsen.«
»Da will ich selber hin,« antwortete der Fremde, »und wenn ich ein Pferd hätte, so wollte ich Euch schon führen, der Weg ist schwer zu finden, aber ich kenne ihn genau.«
»Lohn und Dank harren dein, mein Freund, wenn du uns sicher zu Cedric bringst,« sagte der Prior.
Er rief seinen Diener und bestieg sein eigenes Roß, das bisher geführt worden war, während er seinen Maulesel dem Fremden überließ.
Ihr Führer schlug einen anderen Weg ein als Wamba ihnen genannt hatte, der sie ja nur hatte irre führen wollen. Der Pfad führte tiefer in den Wald hinein und über manchen Bach, der, von Sumpf umgeben, schwer zu passieren war, aber der Fremde fand stets die sichersten Stellen und hatte die anderen binnen kurzem auf eine breite Allee gebracht. Auf ein großes niedriges und unregelmäßiges Gebäude zeigend, rief er: »Dies ist Rotherwood, das Haus Cedrics des Sachsen!«
Der Prior Aymer, den dieser Ruf aus Angst und Unruhe befreite, wandte sich jetzt zum ersten Mal an den Wegweiser mit der Frage, wer und woher er sei.
»Ein Pilgrim, der eben aus dem heiligen Lande zurückgekehrt ist,« war die Antwort.
»Ihr hättet dort bleiben sollen und um das heilige Grab kämpfen,« sagte der Templer.
»Freilich, hochwürdiger Herr,« entgegnete der Pilger, dem der Anblick eines Tempelherrn nichts Neues zu sein schien, »wenn aber Männer, die durch Eid verpflichtet sind, die heilige Stadt zu erobern, so fern vom Schauplatz ihrer Pflichten herumreisen, wie kann es Euch da Wunder nehmen, daß ein so friedlicher Landmann wie ich nicht seinem Vorsatz treu geblieben ist?«
Der Templer wollte eine zornige Antwort geben, der Prior aber unterbrach ihn, indem er sein Erstaunen äußerte, daß sich der Führer nach so langer Abwesenheit noch so gut im Walde zurecht fände.
»Ich bin in dieser Gegend geboren,« antwortete der Pilger.
Jetzt standen sie vor Cedrics Hause, einem niedrigen, unregelmäßigen Bau, der, mehrere Umzäunungen und Abteilungen eingerechnet, einen ziemlich großen Raum bedeckte. Obwohl man an der Form erkennen konnte, daß es einem reichen Manne gehörte, so war es doch grundverschieden von jenen hohen, vieltürmigen, schloßartigen Gebäuden, deren Stil in ganz England der herrschende geworden ist. Rotherwood war nicht ohne Befestigung, die in dieser unruhigen Zeit kein Gebäude entbehren konnte, wenn es nicht Gefahr laufen wollte, über Nacht in Brand gesetzt oder geplündert zu werden. Das ganze Haus umschloß ein tiefer Graben, der sein Wasser aus dem nächsten Strome erhielt. Er war durch doppelte Pallisaden verstärkt, deren Pfahlwerk der angrenzende Wald geliefert hatte. Vom Westen her führte eine Zugbrücke herein, deren Zugang noch besonders durch vorspringende Wälle gesichert war. Vor diesem Eingang stieß jetzt der Templer laut ins Horn, denn der Regen, der längst loszubrechen gedroht hatte, fiel nun endlich in Strömen.
3
In einer Halle, deren geringe Höhe mit ihrer Länge und Breite gar kein rechtes Verhältnis hatte, stand ein langer, eichener Tisch, der aus roh behauenen Planken des nahen Waldes gefertigt und kaum ein wenig abgehobelt worden war. Auf dieser Tafel wurde bei Cedric dem Sachsen das Abendessen aufgetragen. Das Dach der Halle bestand aus Bohlen und Strohbelag. An jedem Ende war eine große Feuerstätte, da die Kamine aber sehr primitiv waren, so ging fast ebenso viel Rauch in das Gemach wie zum Schornstein hinaus. Von dem fortwährenden Qualm waren die Balken der Decke mit einem schwarzen Firnis von Ruß bedeckt. Die Wände waren mit Waffen und Jagdgerät behängt, und an jeder Ecke führten Flügeltüren in andere Teile dieses umfangreichen Gebäudes. Was sonst im Hause zu sehen war, entsprach gleichfalls der rohen Einfachheit der Sachsenzeit, an der Cedric festzuhalten entschlossen war. Der Vorsaal war aus Erde und Lehm, die miteinander vermengt und festgestampft waren nach Art von Scheunentennen. Etwa ein Viertel des Gemaches lag um eine Stufe höher, und dieser Teil, der sogenannte Baldachin, war für die Mitglieder der Familie und für vornehme Gäste bestimmt.
Quer über diesen Raum hinweg stand ein Tisch mit einer scharlachenen Decke; von seiner Mitte ging der längere und niedrigere Tisch aus, an dem in der Tiefe der Halle die Dienerschaft und die anderen geringeren Leute speisten. Auf der erhöhten Fläche standen massige Stühle von geschnitztem Eichenholz, und über Stühle und Tafel hin war ein Thronhimmel von Linnen gespannt, der die Plätze der Vornehmen ein wenig vor Wetter und Regen schützte, die oft durch das schadhafte Dach drangen. Und soweit der Thronhimmel reichte, waren die Wände dieses höher gelegenen Teiles der Halle mit Tapeten und Vorhängen bekleidet, und die Diele bedeckte ein Teppich. Plumpe Versuche der Web- und Stickkunst, in grellen, fast schreienden Farben ausgeführt, bildeten ihren Zierrat. Über der niederen Tafel lag die kahle Decke, die mit Gips beworfenen Wände waren nackt, und der raue Boden hatte keinen Teppich. Auch war keine Decke über den Tisch gebreitet, und an Stelle der Stühle standen lange Bänke. Die beiden Mittelsitze der oberen Tafel waren ein wenig höher als die übrigen. Das waren die Plätze des Herrn und der Frau vom Hause, und neben beiden Sesseln stand auch zum äußeren Zeichen ihrer höheren Würde eine Fußbank von seltsamer, mit Elfenbein ausgelegter Schnitzerei.