Ivanhoe. Walter Scott
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Der Haushofmeister ging hinaus, um dafür Sorge zu tragen, daß seines Herrn Weisungen befolgt würden.
Oswald kam wieder und flüsterte seinem Herrn ins Ohr: »Es ist ein Jude, der sich Isaak von York nennt. Darf ich ihn hereinführen?«
»Gib dein Amt an Gurth ab,« sagte Wamba mit seiner gewohnten Keckheit. »Der Schweinehirt paßt besser zum Zeremonienmeister für Juden.«
»Heilige Maria!« rief der Abt. »Soll ein ungläubiger Jude in unsere Gemeinschaft?«
»Ein Hund von einem Juden soll einem Verteidiger des heiligen Grabes nahe kommen?« setzte der Templer hinzu.
»Meiner Treu!« meinte Wamba, »mir scheint, die Templer lieben mehr das Gold der Juden als ihren Umgang.«
»Gemach, meine werten Gäste!« rief Cedric. »Euer Unwille kann meine Gastfreiheit nicht beeinträchtigen. Der Himmel hat das ganze Volk der Ungläubigen schon viele Jahre lang geduldet, also werden wir wohl die Gegenwart eines Juden auf ein paar Stunden ertragen können. Es soll auch niemand gezwungen sein, mit ihm zu essen oder zu reden. Er soll seinen Tisch und seine Schüssel für sich allein haben. Er kann bei Wamba sitzen,« fügte er launig hinzu, »der Narr und der Gauner passen gut zusammen.«
»Der Narr,« antwortete Wamba, indem er einen Schinkenrest emporhielt, »wird sich ein Bollwerk gegen den Gauner errichten.«
»Still!« sagte Cedric, »der Jude kommt.«
Ohne irgendwelche Umstände hereingelassen, trat ein langer, hagerer Greis ein, furchtsam und zaghaft und mit mancherlei Bückling – vom gewohnheitsmäßigen Verneigen des Oberkörpers hatte er viel von seiner natürlichen Größe verloren – und schritt auf die niedrige Tafel zu. Seine scharfgeschnittenen Züge, seine Adlernase, die stechenden, schwarzen Augen, die hohe, gefurchte Stirn und das lange, graue Haupt- und Barthaar hätten schön genannt werden können, hätte nicht sein Gesicht all jene charakteristischen Kennzeichen eines Geschlechtes getragen, das in diesem unaufgeklärten Zeitalter vom vorurteilsvollen Pöbel verachtet und vom räuberischen Adel ausgebeutet wurde, und das zufolge der beständigen Unbilden, denen es ausgesetzt war, einen Nationalcharakter angenommen hatte, der, gelinde gesagt, erbärmlich und verabscheuungswürdig war. Der Anzug des Juden, den das Unwetter sehr mitgenommen hatte, bestand aus einem weiten faltigen Bauernrock, unter dem er ein dunkelrotes Untergewand trug. Er ging in hohen Pelzstiefeln und hatte einen Gürtel um den Leib, in dem ein kleines Messer und ein Schreibzeug steckte. Ein hoher, viereckiger Hut von gelber Farbe und ganz besonderer Form – wie ihn die Juden zum Unterschied von den Christen kraft Gesetzes tragen mußten – wurde von ihm in aller Demut an der Tür abgenommen.
Diesem Mann wurde in der Halle Cedrics des Sachsen ein Empfang bereitet, mit dem selbst der vorurteilsvollste Feind der Israeliten hätte zufrieden sein müssen. Cedric selbst hatte auf seine wiederholten Verneigungen nur ein flüchtiges Kopfnicken. Er winkte ihm, am unteren Tische Platz zu nehmen, dort fiel es aber niemand ein, ihm Platz zu machen, und als er mit schüchtern flehendem Blick die Reihe hinunterging, zuckten die sächsischen Diener die Achseln und aßen ruhig weiter, die Diener des Abtes bekreuzten sich und sahen mit einem Ausdruck frommen Abscheus nach ihm hin, die Sarazenen gar wühlten grimmig in ihren Knebelbärten und griffen nach den Dolchen, als seien sie entschlossen, sich vor der Verunreinigung durch seine Person bis zum äußersten zu schützen. Während Isaak hier von der Gesellschaft ebenso ausgeschlossen wurde wie sein Volk von der Nation, erbarmte sich seiner der Pilger am Kamin, bot ihm seinen Platz an und sagte zu ihm: »Alter, meine Kleider sind trocken, mein Hunger gestillt, du aber bist durchnäßt und hungrig.« Damit schürte er die zerstreuten Brände zusammen, blies das Feuer an, holte Suppe und Gemüse, stellte sie ihm auf den Tisch, an dem er selber gegessen hatte, und ging dann, ohne auf den Dank des Juden zu hören, nach dem oberen Ende der Halle. Ob er mit dem Manne weiter keine Gemeinschaft wünschte, oder ob er nur einen Vorwand suchte, in die Nähe der oberen Tafel zu kommen, sei dahingestellt.
Inzwischen unterhielten sich der Abt und Cedric weiter über die Jagd, und Rowena besprach sich mit einer ihrer Zofen, und der Templer, dessen Blicke von dem Juden zu der sächsischen Schönheit wanderten, schien in tiefes Sinnen versunken.
»Ich denke, würdiger Cedric,« sagte der Abt, »bei aller Vorliebe für Eure männliche Sprache werdet Ihr doch auch ein wenig übrig haben für das Normännisch-Französisch, wenigstens was das edle Weidwerk anbetrifft.«
»Guter Vater Aymer,« versetzte der Sachse, »daß Ihrs nur wißt, ich frage nichts nach diesen überseeischen Verfeinerungen, ich komme ohne sie aus.«
Der Templer fiel ihm in hochfahrendem Ton ins Wort.
»Französisch,« sagte er, »ist nicht allein die natürliche Sprache der Jagd, es ist auch die Sprache der Liebe und des Krieges. Damen müssen erobert werden in ihr und Feinde geschlagen werden in ihr.«
»Herr Templer,« versetzte Cedric, »tut mir Bescheid auf diesen Becher Weins und schenkt auch den des Herrn Abtes voll! Dann will ich um dreißig Jahre zurückgehen und Euch ein ander Stück erzählen. Als damals Cedric der Sachse in echtem Englisch seiner Schönsten anvertraute, wie ihm ums Herz war, da brauchte es keines französischen Troubadours, und das Schlachtfeld von Northallerton kann Zeugnis dafür ablegen, daß das sächsische Kriegsgeschrei ebenso vernichtend in die Reihen des schottischen Heeres gedrungen ist, wie des kühnsten normannischen Barons cri de guerre. Tut mir Bescheid, werte Gäste, die Manen derer, die dort gefallen sind, zu ehren!« Er trank und fuhr in steigender Wärme fort: »Das war ein Tag, das war ein Schildespalten! Hundert Banner flatterten zu Häupten der Tapferen, in Strömen floß das Blut, und der Tod war willkommener als schmachvolle Flucht. Ein sächsischer Barde nannte diesen Tag das Fest der Schwerter, er pries das Klirren der Schilde und Helme höher als das Jauchzen auf einer Hochzeit. Aber diese Barden sind nicht mehr, unsere Taten versinken in einem fremden Strome, unsere Sprache, unser Name selber verschwinden, und niemand trauert darum als ein einsamer alter Mann. Mundschenk gieß ein! Herr Templer, aufs Wohl der Tapferen – welches auch ihr Stamm und ihre Sprache sei – die jetzt am eifrigsten in Palästina für das heilige Kreuz streiten!«
»Für einen Ritter,« antwortete Brian de Bois-Guilbert, »der das Zeichen des Ordens trägt, geziemt es nicht, hierauf zu erwidern. Doch sagt mir, welche haltet Ihr neben den Streitern des heiligen Grabes für die besten Kämpfer dort unten?«
»Die Hospitalritter,« sagte der Abt, »ich habe unter ihnen einen Bruder.«
»Ihren Ruhm will ich nicht schmälern,« antwortete der Templer. »Indessen …«
»Waren in der englischen Armee,« unterbrach ihn Lady Rowena, »keine, deren Name neben denen der Templer und Johanniter genannt zu werden verdient?«
»Verzeiht, Mylady,« erwiderte Brian, »der englische Fürst hat in der Tat eine Schar von Helden nach Palästina gebracht, und sie haben nur denen nachgestanden, deren Brust von jeher ein Bollwerk des heiligen Landes war.«
»Keinem standen sie nach,« fiel ihm hier der Pilger ins Wort, der nahe genug stand, daß er dieses Gespräch hatte mit anhören können. Alle wandten sich nach der Seite, von wo diese unerwarteten Worte fielen. »Ich sage es nochmals,« wiederholte der Pilger festen Tones, »die englische Ritterschaft hat keinem nachgestanden, der je mit dem Schwert das heilige Land verteidigte. Ich sage ferner – denn ich habe es selber mitangesehen – König Richard und sechs seiner Ritter haben nach der Einnahme von St. Jean d'Acre ein Turnier abgehalten und sich mit jedem, der da wollte, gemessen. An diesem Tage hat jeder Ritter drei Gänge gemacht und in jedem einen Ritter zu Boden geworfen. Und sieben von diesen waren Tempelritter, und Sir Brian de Bois-Guilbert weiß recht gut, daß ich die Wahrheit rede.«
Mit