Flarrow, der Chief – Teil 3. Lothar Rüdiger
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Außerdem gab es im Kühlmaschinenraum noch ein Dieselaggregat, das auf einem Podest montiert war. Der Dieselmotor stand direkt am Schott zum Maschinenraum, seine Abgasleitung wurde aber noch über zwei Meter im Kühlmaschinenraum geführt und das nicht schwingungsfreie Podest sorgte dafür, dass die Abgasleitung stark vibrierte. Das Ganze war konstruktiv eine Zumutung, ganz zu schweigen von der Brandgefahr, die von der vibrierenden Abgasleitung ausging. Ändern konnte man das jedoch nicht mehr.
Unter den misstrauischen Augen des Zweiten wurden nun die einzelnen Kompressoren gestartet. Das ging auch bei Kompressor I ganz gut. Nachdem alle Kompressoren gelaufen hatten, blieb ein Kompressor in Betrieb, um die Laderäume vorzukühlen. Die Lufttemperaturen im Laderaum begannen sofort zu sinken, was ein gutes Zeichen war. Am Abend erreichten sie null Grad Celsius, und Flarrow widmete sich beruhigt seinem Bürokram. Zum Wachwechsel um Mitternacht zeigten die Fernthermometer minus fünf Grad. Alle anderen Temperatur- und Druckanzeigen lagen im normalen Bereich. Nach einem kurzen Schwätzchen mit dem zweiten Offizier, der die Null-Vier-Wache auf der Brücke ging, machte Flarrow seine Kojenlampe aus. Gegen sechs Uhr tauchte er unerwartet im Maschinenraum auf. Der Zweite stand in der Werkstatt an der Drehmaschine. Flarrow warf zunächst einen Blick auf die Laderaumtemperaturen. Die Fernthermometer zeigten nur minus fünf Grad!
Nun ging er zum Zweiten in die Werkstatt und sah, dass der die Sitze von neuen Auslassventikegeln abdrehte. Der Zweite erklärte ihm, dass er die neuen Kegel überdrehen würde, damit die Sitze dann auch passen würden, viel einzuschleifen wäre da dann nicht mehr. Das hätte Flarrows Vorgänger herausgefunden. Flarrow fragte zurück, ob er denn die Lieferscheine nicht lesen würde, denn dann wüsste er, dass die Sitze mit Stellit beschichtet wären, wie das für Schweröl erforderlich sei. Die dürfte man natürlich nicht überdrehen, höchstens schleifen. Der Zweite schwieg dazu. Flarrow wurde nun einiges klar. Durch das Abdrehen der Stellitsitze war die Oberfläche beschädigt worden, und das führte schon nach kurzer Standzeit zu diesen merkwürdigen Auskohlungen, die er in Dakar gesehen hatte. Der Zweite hatte mit seiner Abdreherei genau das Gegenteil von dem erreicht, was durch die Beschichtung vermieden werden sollte!
Die Geschichte mit den stellitisierten Ventilkegeln konnte man ja noch verzeihen. Es war nicht üblich, dass von der Reederei solches Wissen mitgeteilt wurde; ein ganz schlechtes Zeugnis lieferte der Zweite aber damit, dass er das Abdrehen auf einer völlig „ausgeleierten“ Drehmaschine vornahm, mit der die erforderliche Präzision gar nicht mehr erreicht werden konnte. Es ging also offenbar darum, das mühevolle Einschleifen von Kegel und Sitz zu umgehen, und das roch, wie vieles seiner Aktivitäten auch, nach Faulheit. „Was ist mit den Laderäumen?“, fragte Flarrow. „Die habe ich schon weiter aufgedreht, damit die Temperaturen sinken.“ – „Sie haben was?“ Der Zweite antwortete nicht, und Flarrow überprüfte die Expansionsventile, die alle völlig falsch eingestellt waren. Was er herausfand war, dass der Zweite den Kälteprozess überhaupt nicht verstanden hatte. Da platzte ihm der Kragen, aber ehe er anfing, den Zweiten anzuschreien, stürzte er an Deck, fraß das Erlebte in sich hinein und lief zwei Tage mit Magenschmerzen herum.
Flarrow hatte die Expansionsventile eingestellt und drohte jedem mit fristloser Entlassung, der sich an diesen Ventilen noch einmal vergreifen sollte. Auf der Nachmittagswache sprach er mit dem Dritten, der ihm erzählte, wie das mit dem Kühlbetrieb bisher gelaufen war. Vorkühlung maximal minus zehn Grad, schon um Treibstoff zu sparen. Die Spanier hätten das nie überprüft. Der Fisch kam mit minus dreißig Grad Celsius in die Räume, und auf der Reise bis zum Äquator hatte er dann die Laderäume auf minus vierzehn oder fünfzehn Grad herunter gekühlt. In Vigo wurde die Ladung mit sechzehn bis achtzehn Minusgraden gelöscht. Da aber die Lukenabdeckung entweder nicht dicht oder schlecht isoliert war, hatten die Kartons der obersten Lage selten mehr als minus fünfzehn Grad. Das war natürlich nicht kalt genug, Fisch musste kälter als minus achtzehn Grad gefahren werden, damit die Qualität erhalten blieb. Ein Logbuch für die Kälteanlage wurde hier auch nicht geführt. Das stünde ja alles im Maschinentagebuch, und die Spanier nahmen das so hin. Das waren weiß Gott unhaltbare Zustände, und die Inspektion in Hamburg „wusste (angeblich) nicht genau“ was hier an Bord los war?
Nach insgesamt dreißig Stunden Vorkühlbetrieb waren die Laderäume der „HILDEGARD“ auf minus zwanzig Grad, weshalb der Betrieb gestoppt wurde.
Flarrow änderte die Zuständigkeiten und gab dem Zweiten die Hauptmaschine, der Dritte behielt den Hilfsbetrieb, und er selbst kümmerte sich allein um die Kälteanlage. Für die verbleibende Zeit bis Kapstadt, sah er sich die Kompressoren genau an, beseitigte eine Reihe von Mängeln. Kurbellager, Ventile und Kolbenringe waren in einem sehr schlechten Zustand, obwohl es an Ersatzteilen nicht mangelte. Die Arbeit wurde sehr schnell mühevoll, weil das Wetter nun nicht mehr mitspielte.
Der Südost-Passat trat sehr früh, also noch in Äquatornähe, auf. Der Alte war so lange als möglich unter Land geblieben, um den mitlaufenden Guinea-Strom zu nutzen. Aber spätestens ab der Höhe von Freetown, wo das Land immer mehr zurück wich, hatten sie den Äquatorialstrom gegenan, und das würde bis Kapstadt so weiter gehen.
Der kräftige Passat hatte Zeit und Raum genug, eine See aufzubauen, die „HILDEGARD“ nur schwer meistern konnte. Obwohl alle Ballasttanks geflutet waren, ragte das Vorschiff wegen der achtern liegenden Maschinenanlage und den Aufbauten hoch heraus. Durch den geringen Tiefgang tauchte auch der Propeller nicht tief genug ein und war deshalb nicht so wirksam, wie es erforderlich war. „HILDEGARD“ quälte sich in Berg- und Talfahrt nach Südosten, und in der Maschine fluchte Flarrow, der mit dem Kopf im Kurbelraum eines Kältekompressors hing, während sein Werkzeug durch die Schaukelei, rasselnd über die Flurplatten rutschend, in der Bilge verschwand. Dem Dritten, der einen Hilfsdiesel überholte, ging es nicht viel anders.
Um das Schiff zu entlasten, steuerte der Alte Zick-Zack-Kurse, wie ein Segelschiff, das aufkreuzte. Trotzdem konnte die Dienstgeschwindigkeit von zwölf Knoten nicht annähernd gehalten werden.
An einem grauen Sonntagmorgen, an dem nicht gearbeitet wurde, ging Flarrow auf die Brücke, wo der wachhabende Kapitän angewidert in die graue See blickte.
Eigentlich war es ein eher majestätisches Bild, das Flarrow immer wieder begeisterte. Mit Blick auf den Alten behielt er aber seine Gefühlsausbrüche lieber für sich.
Zwischen beiden hatte sich ein recht freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Einmal hatte der Kapitän ihn auf der Abendwache im Maschinenraum besucht. Da er die „Hörnchen“ kannte, kam er sich hier in dieser „Zeche Elend“ ziemlich verloren vor, und als Flarrow ölverschmiert und dreckig aus der Bilge auftauchte, schüttelte er nur noch den Kopf und verschwand nach oben. Das wäre ja kein Maschinenraum mehr sondern ein Dreckstall und alles wäre so furchtbar durcheinander. Flarrow gab ihm Recht. Für groß angelegte Reinigungsarbeiten war eben noch keine Zeit gewesen, abgesehen davon, dass auf „HILDEGARD“ kein Reiniger gefahren wurde. Damit musste man leben, wenigsten im Moment noch. Der Kapitän fragte, warum der seegrüne Anstrich der Hauptmaschine entfernt worden war. Flarrow fragte den Zweiten danach und erfuhr, dass sie während der Liegezeit vor Walvis Bay die Farbe „mechanisch“ entfernt hätten. Der Chief hätte gemeint, dass das den Wirkungsgrad der Maschine verbessern würde. Während dieser Liegezeit hatte aber der Zweite auch die beiden Brennstoffpumpenblöcke aufgenommen und „generalüberholt“. Er hatte damit dafür gesorgt, dass Farbsplitter in die Brennstoffpumpenblöcke gekommen waren, die schon mehrmals zu Störungen geführt hatten. In der Regel bedeutete das