Bambi. Felix Salten

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Bambi - Felix Salten

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      »Weil wir niemanden töten«, sagte die Mutter einfach.

      Bambi wurde wieder heiter.

      Von einer jungen Esche, die nahe an ihrem Wege stand, drang ein lautes Kreischen nieder. Die Mutter ging weiter, ohne darauf zu achten. Bambi aber blieb neugierig stehen. Zwei Häher zankten sich da oben in den Zweigen um ein Nest, das sie geplündert hatten.

      »Machen Sie, daß Sie weiterkommen, Sie Halunke!« rief der eine.

      »Regen Sie sich doch nicht auf, Sie Narr«, antwortete der andere, »ich habe keine Angst vor Ihnen.«

      Der erste tobte: »Suchen Sie sich Ihre Nester selber, Sie Dieb! Ich schlage Ihnen den Schädel ein.« Er war außer sich. »So eine Gemeinheit!« keifte er, »so eine Gemeinheit!«

      Der andere hatte Bambi bemerkt, flatterte ein paar Zweige herunter und schnarrte ihn an: »Was hast du hier zu gaffen, du Fratz! Pack dich!«

      Eingeschüchtert sprang Bambi davon, erreichte dann seine Mutter, ging wieder hinter ihr drein, sittsam und verschreckt, und glaubte, daß sie sein Zurückbleiben gar nicht bemerkt habe.

      Nach einer Weile fragte er: »Mutter … was ist das, eine Gemeinheit?«

      Die Mutter sagte: »Ich weiß es nicht.«

      Bambi überlegte. Dann fing er wieder an: »Mutter, warum sind die beiden so böse zueinander gewesen?«

      Die Mutter antwortete: »Sie haben sich wegen des Essens gezankt.«

      Bambi fragte: »Werden wir uns auch einmal wegen des Essens zanken?«

      »Nein«, sagte die Mutter.

      Bambi fragte: »Warum nicht?«

      Die Mutter entgegnete: »Es ist genug da für uns alle.«

      Bambi wollte noch etwas wissen: »Muttern …?«

      »Was denn?«

      »Werden wir auch einmal böse zueinander sein?«

      »Nein, mein Kind«, sagte die Mutter, »bei uns gibt es das nicht.«

      Sie gingen weiter. Mit einem Male wurde es ganz hell vor ihnen, strahlend hell. Das grüne Gewirr von Büschen und Sträuchern war zu Ende, die Straße war zu Ende. Nur ein paar Schritte noch, und sie kamen hinaus in die lichte Freiheit, die sich vor ihnen öffnete. Bambi wollte vorwärtsspringen, doch die Mutter blieb stehen.

      »Was ist das?« rief er ungeduldig und schon ganz bezaubert.

      »Die Wiese«, antwortete die Mutter.

      »Was ist das, die Wiese?« drängte Bambi.

      Die Mutter schnitt ihm das Wort ab. »Das wirst du schon selber sehen.« Sie war ernst geworden und aufmerksam. Regungslos stand sie, hielt das Haupt hoch, lauschte angespannt, prüfte mit tiefen Atemzügen den Wind und sah ganz streng aus.

      »Es ist gut«, sagte sie endlich, »wir können hinaus.« Bambi sprang los, aber sie sperrte ihm den Weg. »Du wartest, bis ich dich rufe.« Im Augenblick stand Bambi gehorsam still. »So ist es recht«, lobte die Mutter. »Und nun merke genau, was ich dir sage.« Bambi hörte, wie erregt die Mutter sprach, und geriet in große Spannung. »Es ist nicht so einfach, auf die Wiese zu gehen«, fuhr die Mutter fort, »es ist eine schwere und gefährliche Sache. Frag' nicht, warum. Du wirst das schon später noch lernen. Für jetzt befolge genau, was ich dir sage. Willst du?«

      »Ja«, versprach Bambi.

      »Nun gut. Ich gehe also vorerst allein hinaus. Bleibe hier stehen und warte. Und schau' immer auf mich. Behalte mich unaufhörlich im Auge. Wenn du siehst, daß ich wieder zurücklaufe, hier herein, dann machst du kehrt und rennst davon, so schnell du kannst. Ich hole dich schon ein.« Sie schwieg, schien zu überlegen und fuhr dann eindringlich fort: »Jedenfalls laufe, laufe, was du kannst. Laufe … auch wenn etwas geschehen sollte … auch wenn du siehst, daß ich … daß ich zu Boden stürze … achte nicht auf mich, verstehst du? … Was immer du siehst oder hörst … nur fort, augenblicklich und so schnell wie möglich …! Versprichst du mir das?«

      »Ja«, sagte Bambi leise.

      »Wenn ich dich aber rufe«, sprach die Mutter weiter, »kannst du kommen. Draußen auf der Wiese darfst du spielen. Es ist schön draußen, und es wird dir gefallen. Nur … du mußt mir auch das versprechen … beim ersten Ruf von mir mußt du an meiner Seite sein. Unbedingt! Hörst du?«

      »Ja«, sagte Bambi noch leiser. Die Mutter sprach so ernst.

      Sie redete weiter: »Da draußen … wenn ich rufe … da darf es kein Umhergaffen geben und kein Fragen, sondern wie der Wind hinter mir drein! Merk' dir das. Ohne Besinnen, ohne Zögern … sofort, wenn ich zu laufen anfange, heißt es auf und davon und nicht stillstehen, bis wir wieder hier drinnen sind. Wirst du das nicht vergessen?«

      »Nein«, sagte Bambi beklommen.

      »So will ich jetzt gehen«, meinte die Mutter und schien nun etwas ruhiger.

      Sie trat hinaus. Bambi, der kein Auge von ihr ließ, sah, wie sie mit langsam hohen Schritten vorwärts ging. Voll Erwartung, voll Furcht und Neugier stand er da. Er sah, wie die Mutter nach allen Seiten lauschte, er sah sie zusammenfahren und fuhr selbst zusammen, bereit, ins Dickicht zurück zu springen. Da wurde die Mutter wieder ruhig, und als eine Minute verging, wurde sie fröhlich. Sie duckte den Hals, streckte ihn lange vor, schaute vergnügt herüber und rief: »Komm!«

      Bambi sprang hinaus. Eine ungeheure Freude ergriff ihn so zauberhaft stark, daß er sein Bangen im Nu vergaß. Er hatte im Dickicht nur die grünen Baumwipfel über sich gesehen, und darüber nur manchmal, nur in kleinen Durchblicken, verstreute blaue Sprenkel. Jetzt sah er das ganze Himmelsblau hoch und weit, und das beglückte ihn, ohne daß er wußte, weshalb. Von der Sonne hatte er im Walde nur einzelne, breite Strahlen gekannt oder das zarte Gerinnsel von Licht, das golden durch die Zweige spielt. Jetzt stand er plötzlich in der heißen blendenden Macht, deren unbedingtes Herrschen auf ihn eindrang, stand mitten in dem Glutsegen, der ihm die Augen schloß und das Herz öffnete. Bambi war berauscht; er war vollständig außer sich, er war einfach toll. Unbeholfen sprang er in die Höhe, dreimal, viermal, fünfmal auf dem Fleck, auf dem er stand. Er konnte nicht anders; er mußte. Es riß ihn, in die Höhe zu springen. Seine jungen Glieder spannten sich so kräftig, sein Atem ging so tief und leicht, und er trank mit dem Atem, trank mit allem Duft der Wiese so viel übermütige Heiterkeit, daß er eben springen mußte. Bambi war ein Kind. Wäre er ein Menschenkind gewesen, so hätte er gejauchzt. Aber er war ein junges Reh, und Rehe können nicht jauchzen, wenigstens nicht auf jene Art, in der die Menschenkinder es tun. Er jauchzte also auf seine Weise. Mit den Beinen, mit dem ganzen Körper, der sich in die Luft schleuderte. Seine Mutter stand dabei und freute sich. Sie sah, daß Bambi toll war. Sie sah, daß er sich in die Höhe warf, unbeholfen wieder auf demselben Fleck niederfiel, verdutzt und berauscht vor sich hin starrte und sich im nächsten Augenblick wieder in die Höhe warf, wieder und wieder. Sie begriff, daß Bambi nur die schmalen Rehstraßen des Waldes kannte, in den kurzen Tagen seines Daseins nur an die Beengtheit des Dickichts gewöhnt war, und daß er sich deshalb nicht vom Fleck rührte, weil er es noch nicht verstand, auf der offenen Wiese frei umher zu laufen. Sie duckte sich in die ausgestreckten Vorderläufe, lachte Bambi eine Sekunde an, war mit einem Schneller weg und sauste im Kreise umher, daß die hohen Grashalme nur so rauschten. Bambi erschrak und blieb regungslos. War das nun

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