INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu. Thomas GAST
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Treue und Pflichterfüllung.
Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Sie verweilten bei einem alten bärtigen nach Schnaps und Tabak stinkenden Mann, dem er einst im Hafen von Marseille begegnete. So geschehen im Jahr 1935. Seine Eltern machten mit der Familie Urlaub in der Provinz, der Abstecher in den Hafen war seit langem geplant. Joachim Wegener, damals knapp dreizehn Jahre alt, gab sich höchst interessiert über Land und Leute. Als er den Mann sah, richtete er voller Neugier seinen Blick auf den Tambour, den dieser behutsam in den Händen hielt. So behutsam, als wäre er zerbrechlich. Der Fremde grinste ihn an.
»Kannst wohl kein Französisch, hm?«
»Doch, oui, bien sure«, entgegnete Joachim und trat von einem Bein aufs andere. Er hatte Französischunterricht, war darin der Beste seiner Klasse. Dem alten Soldaten - denn es war ein alter Soldat, das sah man an seinen Narben im Gesicht und an den verschlissenen Uniformteilen die er versteckt, doch nicht versteckt genug trug, entging Joachims voller Neugier erfüllte Blick nicht. Mit einem Ruck stand er auf, nahm das Musikinstrument und streckte es dem Jungen entgegen.
»Le Maroc, c'est fini«, sagte er erleichtert. »Nimm, aber halt ihn in Ehren, genauso wie ich es die ganzen Jahre über gemacht habe. Mit Ehre und Treue, mein Junge, mit Honneur et fidélité.«
Honneur et fidélité!
Dieselben Worte standen auch auf dem grün-roten Wimpel, der sich um den Tambour schlang. Détachement du 2. Bataillon, Beni-Ounif avec Honneur et Fidélité! Der Mann stand auf, warf noch einmal einen Blick über seine Schulter hinunter zum Hafen, wo eine lange Reihe von Soldaten mit weißen Képis sich anschickte, ein Frachtschiff zu verlassen. »Fini«, sagte er noch einmal erleichtert und trat auf die Straße. Augenblicklich wurde er von einem Lastwagen erfasst. Zum ersten Mal in seinem Leben erlebte Joachim den Tod aus nächster Nähe. Was blieb, waren die Erinnerungen und der Tambour des alten Legionärs. Warum Joachim Wegener gerade jetzt, zwölf Jahre später an den Tambour dachte, der wohl noch im zerbombten Berlin auf seinem Schrank im Keller lag, das wusste er ganz genau. Er sehnte sich dorthin, wo Werte wie Treue, Ehre und Pflichterfüllung eben nicht nur Worte waren. Und dann dachte er daran, dass er bei seinem nächsten Fluchtversuch die Kräfte sparen musste, denn er hatte noch einen weiten Weg vor sich.
Legionär Montag
„Du willst Legionär werden? Dann erinnere dich meiner Worte. Lass dir von niemand den Schneid abkaufen. Respektiere deine Vorgesetzten, aber zeige immer, dass du ein Mann bist.” (Weisheit eines alten Legionsveteranen in Sidi Bel-Abbès gegen 1945, an einen jungen Rekruten kurz vor dessen Versetzung nach Indochina.). Karlheinz Montag war Saarländer. Geboren im Januar 1928 in der Nähe von Saarbrücken, hatte der gelernte Schlosser in seinem Leben nur eine einzige Dummheit begangen. Diese jedoch war, so fürchtete er, schlimm genug. So schlimm, dass er entschied fernab seiner Heimat ein neues Leben zu beginnen. Im August 1948 engagierte er in der französischen Fremdenlegion. Er unterschrieb einen fünf Jahresvertrag, nicht ahnend, dass er dieser Einheit zehn Jahre lang die Treue halten sollte. Im September desselben Jahres stieg er mit einer Handvoll anderer engagé volontaires in der Hafenstadt Marseille an Bord eines Passagierschiffs. Ihr Ziel war die Stadt Oran.
„Im Hafen kehren die Legionäre, bei der schwarzen Rose ein, sie pfeifen auf Geld und Ruhm und Ehre, denn schon bald kann alles anders sein.“
(Lied der Fremdenlegion: „Schwarze Rose von Oran“)
Von dort aus ging es auf Lastwägen weiter nach Sidi bel Abbès, dem Fiéf, der Hochburg der Fremdenlegion. Wie die meisten französischen Kasernen und Unterkünfte lag auch das Quartier Viénot entlang des Boulevards Général Rollet. Sidi bel Abbès - diese Stadt im Wadi Mékerra, die Napoleon auch sein ´Petit Paris` (kleines Paris) nannte und deren Devise Pax et Labor, Friede und Arbeit war, hatten die Legionäre im Jahr 1844 mit ihren eigenen Händen aus dem Nichts erschaffen. Aus Biscuitville, wie der trostlose Ort damals genannt wurde, entstand binnen kurzer Zeit eine florierende Handelsstadt, Wiege, Dreh und Angelpunkt der Fremdenlegion. Es war eine Perle die, mitten in der Wüste, eine Heimat für diese fremden Söhne Frankreichs darstellte. Sidi bel Abbès war weder Berlin noch Paris, es war weder New York noch London. Sidi bel Abbès war weit mehr. Die Stadt mit ihren breiten Straßen, in denen das Parfüm der Leichtigkeit wie ein ewiges Versprechen in der Luft schwebte, war Zuversicht. Für ihre Bauherren und zugleich Beschützer verkörperte Sidi bel Abbès Hoffnung und Karlheinz Montag klammerte sich an diese Hoffnung wie ein Ertrinkender an einem Strohhalm. Wie die meisten Bleus (neue Rekruten), so wurde auch Montag in die CP-3 versetzt. Die CP-3 war eine Übergangskompanie. Wer dort landete wurde rasch weitergeschleust nach Marokko, nach Agadir und Marrakesch oder eben in ein Regiment im Extrême-Orient. Der Mann in Khakiuniform und den drei goldenen Streifen auf der Schulter, die ihn als capitaine auszeichneten, musterte Montag abschätzend.
»Du warst Soldat?«
»Nein, Herr Hauptmann.«
Der sonst so wortkarge Offizier räusperte sich. Als Montag, der stramm und zackig wie ein Offizierskadett vor ihm stand, nichts weiter darauf sagte, erhob er sich und kam um seinen Schreibtisch hervor. Er überragte den Saarländer um einiges.
»Ich werde dir was sagen, Montag. Egal was du vorher getan oder verbrochen hast, mir ist es Wurst. Deine Vergangenheit geht nur dich was an. Das heißt aber nicht, dass du hier mit Samthandschuhen angefasst wirst oder dass ich dir jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen werde, compris?«
»Jawohl, Herr Hauptmann.«
»Falls du bei der Wehrmacht warst, umso besser, aber fang nicht an, damit zu prahlen, denn Prahlhans Küchenmeister sehen wir nicht gerne. »Außerdem«, fügte der capitaine nach einigen Sekunden des Schweigens hinzu, »weht hier ein anderer Wind als bei den Boches. Sieh es als Warnung, verstanden?«
»Boches?«
Der Hauptmann runzelte die Stirn. »Sag mal, Junge. Was hat man dir denn beigebracht? Boches ist der gebräuchliche Ausdruck für Deutsche.«
»Ich habe verstanden, mon capitaine.«
Der Hauptmann nickte zufrieden.
»Aber zuallererst werden wir einen Soldaten aus dir machen. Einen Fallschirmjäger. Das neuaufgestellte 2. BEP beginnt demnächst mit der Sprungausbildung in Philippeville. Die meisten Legionäre die auf der Liste des 2. BEP stehen, haben schon in Indochina gedient. Sie stammen aus den Reihen der Infanterie der Legion oder waren anderswo Soldat. Es sind keine Chorknaben. Viele Legionäre möchten gerne zu den Paras, können aber nicht weil sie schon für andere Regimenter vorgesehen sind. Was machen sie deiner Meinung nach?«
Obwohl er Montag ansah, gab er sich die Antwort selbst. »Richtig. Um hierbleiben zu können, drehen sie irgendwelche krummen Dinger. Vor allem die schon länger Gedienten reißen sich förmlich