Die Farben des Abends. Wolfgang Bendick

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Die Farben des Abends - Wolfgang Bendick

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und versuchen, ihre Stadtbleiche loszuwerden. Und da kommt auch schon der Chef, wie Billy mich aufklärt, angewuselt, einen riesigen Schlüsselbund als Zeichen seines Amtes in der Hand (in seine Tasche passt der auf jeden Fall nicht). Doch was mir am meisten auffällt, sind seine lachenden blauen Augen und sein offenes Wesen. Und sein starker hessischer Dialekt. Ob dies DER Ort ist?

      „Ja dann mal herzlich willkommen!“, meint er, „schauen wir uns erst mal Ihren zukünftigen Arbeitsplatz an, ehe wir über den Rest reden!“ Er führt mich durch den Skiraum, den Heizraum mit seinem Ölbrenner und dem leichten Geruch von Heizöl, in die riesige Küche und von da in die Spülküche, meinen zukünftigen Wirkungsbereich, wie er meint. Alles gekachelt, eine nirosta-silberne Spülmaschine thront an einer Wand zwischen Becken und Ablagen, ihr gegenüber die Schiebetür des Geschirraufzuges. Das schaut gar nicht so schlimm aus, denke ich mir. Dann die Treppen hoch, in den ersten Stock, oder das Erdgeschoss, wenn man den Küchenbereich als Keller nimmt. Dort befindet sich die Wohnung der Cheffamilie, Büros, zwei große, durch eine Faltschiebetür abtrennbare Speisesäle, die durch ein quadratisches „Buffet“, die Essensausgabe, voneinander getrennt sind, das, wie ich später sehen werde, auch als Bar dient. Dann öffnet er eine Tür zu einem kleinen, gemütlichen Raum, „das Personalzimmer, für gemütliches Zusammensein nach der Arbeit…“ Dann wieder die Treppen hoch, wo die Gästezimmer liegen und auch unsere Räume, Zweierzimmer. Anschliessend nochmal einen Stock höher. Dort liegen, unter der leichten Dachschräge und den dicken Dachbalken, die Gruppenzimmer und die Waschräume. Und darüber noch einige Notunterkünfte, „Matratzenlager“, die aber selten benutzt würden, da in der Nähe noch andere Schutzhütten bestehen für den Durchgangsverkehr, auch näher an den Wanderwegen gelegen. Ich erfahre, dass das Haus eine Kapazität von 130 Betten hat, meist für Gruppen oder Schulklassen und ein paar Pensionsgäste. Dann noch ein Gang um das Haus, und hoch zum Maschinenhaus, der Seilbahnstation, wo noch andere Mannschaftsunterkünfte liegen. Während der ganzen Visite unterhalten wir uns, alles ist locker, echt cool.

      „Na, wie gefällt es Ihnen?“, meinte der Chef nach einer Weile und musterte mich gründlich. „Nicht schlecht!“, antworte ich, „aber worin besteht meine Arbeit?“ „Hauptsächlich die Spülküche, also Geschirr waschen. Aber auch in der Küche helfen, wenn nötig, auch bei der Vorbereitung: Kartoffeln schälen, Salat putzen…“ „Kartoffeln schälen für 130 Leute?“, entfuhr es mir. „Keine Panik! Dazu haben wir eine Maschine. Nur die Augen ausschneiden, das geht leider nur von Hand.“ Die Arbeitsstunden waren in zwei Abschnitten zu leisten, morgens bis nach dem Mittagessen, dann ein paar Stunden Pause, und wieder gegen Abend. „Da bleibt genug Zeit zum Skifahren, das wäre ja eine Sünde, es nicht zu tun…! Das Haus besitzt einen kleinen Schlepplift, doch besser sind die Lifte des neu erschlossenen Skigebietes, wovon die meisten schon in Betrieb sind, auch wenn die Gondel, die 101 Personen befördern kann, erst in der nächsten Saison in Betrieb gehen wird!“ Was blieb mir da anderes als zuzusagen? Der Platz war einfach zu schön und der Chef schien auch in Ordnung zu sein. Doch vorerst musste ich ihm reinen Wein eischenken, das war ich ihm schuldig! „Ich bin nicht sicher, ob man mich unbehelligt den Ersatzdienst zu Ende machen lassen wird, weil…“ Und ich fing an, ihm zu erklären. „Ich weiß Bescheid!“ unterbrach er mich, „aber das dürfte sich bei guter Leistung von selbst regeln! Nur wäre es gut, die Haare etwas…!“ „Verstanden!“, warf ich ein, „ich habe mir schon ein Haarnetz gekauft!“ „Also dann bis in zwei Tagen! Dann macht das Haus wieder offiziell auf. Ihr werdet insgesamt sechs Zivis sein. Ihr werdet euch schon verstehen!“

      Wir waren wieder an der Seilbahn angelangt. Inzwischen wusste ich auch, dass die markanten Berge gegenüber die „Fölagabel“ waren und der mit der Form des Hausmeisterhutes, der „Bubespitz“. Die Sonne war schon hinter der „Kampenwand“ im Westen verschwunden. Um uns herrschte plötzlich eine grau-weiße Welt. Nur die umliegenden Gebirgsketten badeten ihre Hänge noch in dem goldenen Abendlicht. Es würde eine kalte Nacht werden, der aufgeweichte Schnee begann schon wieder zu erstarren… Bald surrte die Gondel mit mir darin in das kalte, bereifte Tal.

      Zwei Tage später stand ich mit einem Freund in seinem Auto vor der Schranke, die das Tal abriegelte. Ein wichtigtuerischer Wachmann stand davor. Er ließ uns nicht durch, trotz der vielen anderen Fahrzeuge und LKW die einfach durchfuhren. Wir hätten keine Genehmigung, auch, wenn ich da arbeiten wolle, bräuchte ich eine… Und diese gab es nur bei der Polizei! Also nichts wie dorthin, für mich eine echte Mutprobe… Diese wollten erst mal meinen „Einberufungsbescheid“ sehen, den ich natürlich nicht hatte. Ich suchte eine Weile in meinem Rucksack. „Muss ich wohl vergessen haben!“ Sie riefen den Chef am Kampenwandhaus an, der zum Glück gerade neben dem Telefon saß und alles bestätigte. Also begnügten sie sich mit meinem Ausweis, um das Formular auszufüllen. Mir war schon etwas komisch zu Mute, so in der Höhle des Löwen! Doch schauten diese nicht in ihrem Fahndungsregister nach. Nochmal Schwein gehabt! Als uns der „Parkwächter“ wieder mit unserem alten Auto ankommen sah, stellte er sich mitten vor die Schranke und winkte uns zu, zu verschwinden. Grinsend zeigten wir ihm das Papier, worauf er widerwillig das Tor öffnete.

      So war ich jetzt in 1500 Metern Höhe daheim. Mein neuer Wohnort lag an einem Südhang, umgeben von der Bergkulisse der Oberthaler Alpen. Und je höher man stieg, umso mehr für mich noch namenlose Gebirgszüge reihten sich hinter die schon sichtbaren. Es waren schon vier andere Zivildienstler oben am Einsatzort, alle in grauen „Spülerhosen“ und grau-weiß gestreiften Jacken, unserer „Uniform“, bereit, die Tellerberge so hoch wie die „Bubespitz“ zu bewältigen und den tausenden zukünftigen Kartoffeln die Augen auszustechen. Der Chef begrüßte mich und meinte, die Haare seien ja nicht gerade kürzer geworden. Ich entgegnete, dass sie zu schnell wieder nachgewachsen waren. Denn eine Freundin hatte sich vor zwei Tagen wirklich darüber hergemacht. Also zog ich das widerspenstige Haarnetz über meine ausladende Mähne, halt so, wie die Anderen, und alles war in Butter.

      Ich bekam ein Bett in Herberts Zimmer. Dieser war etwas jünger als ich, stammte aber aus meinem Nachbarort. Wir verstanden uns auf Anhieb, vor allem, als er am Abend einen Joint baute. Das nennt man Empfang! Der blauäugige Billy („ich heiße Willi, von Wilhelm!“) ließ es sich nicht nehmen, mich in die Arbeit einzuweisen. „Wir müssen voneinander lernen!“, klärte er mich auf, „vor allem uns gegenseitig erziehen! Das hat schon mein Leutnant bei der Bundeswehr immer gesagt!“ Ich war aber nicht hierhergekommen, um eine Erziehungskur mitzumachen, sondern um Teller zu waschen! Und in diesem Bereich hatte er mir schon eine vierzehntägige Erfahrung voraus. Wir weichten alles ein und wuschen nur das Schmutzigste von Hand ab, den Rest reihten wir in die entsprechenden Haltegitter und fütterten die Spülmaschine damit. So schafften wir es, in rund zwei Stunden den Abwasch von 130 Personen zu erledigen. Nun gut, nachher ging es noch an die angebrannten Töpfe aus der Küche. Da wir alle aber einen frühen Feierabend wollten, teilten wir unter uns die Arbeiten so ein, dass die Einen die Küche, die Herde und den Boden putzten, während sich andere über die Töpfe und die Spülküche hermachten.

      Zum Glück waren zwei Zimmermädchen angestellt, die sich hauptsächlich um das Putzen des Hauses und Beziehen der Betten bei Gästewechsel kümmerten. Auch wurde der Speisesaal von ihnen instandgehalten. Wir Verweigerer packten da nur im Notfall mit an. Eine hieß Anna, war klein an Größe, aber groß an Klappe und kam aus Niederbayern. Sie meinte, sie sei mit Dubcek verwandt, der den ‚Prager Frühling‘ inszeniert hatte. Das dürfe aber niemand wissen, denn sonst käme der tschechische Geheimdienst sie abholen. Also nannten wir sie Anna Meier, vormals Dubcek. Die andere kam aus Spanien und hieß Esperanza. Wir nannten sie Espe. Sie war dort anscheinend verlobt und gab sich so unnahbar, dass sogar hartnäckige Verehrer mit der Zeit verzweifelt von ihr abließen. Dann war da noch eine Frau an der Essensausgabe, Dorit, die auch bei den häufigen Feten die Getränke verkaufte. Ein Hausmeister kümmerte sich um den Unterhalt der Gebäude und der Seilbahn, ein Koch (Hans) und ein Hilfskoch (Ede, von Espe ‚Don Krawallo‘ benannt) trieben in der Küche ihr Unwesen, wenn sie nicht gerade im Dorf die Sau rausließen. Über dem Ganzen stand Karl, der Chef, unterstützt von Frieda, seiner Frau, die sich vor allem um die Belegungsplanung, Großeinkäufe und die Abrechnung kümmerten. Ihre Tochter Siggi, so an sie zwölf, fuhr jeden Morgen mit der Materialbahn ins Tal in die

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