Die Farben des Abends. Wolfgang Bendick
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Der Urknall liegt hinter uns. Im Moment ist erst mal nichts. Wir ruhen wie Gott am siebten Tag. Halb schlummern wir, noch miteinander verbunden, halb sind wir wach. Wie Brahma, wenn er schläft und die Welt in einem Zwischenzustand verharrt. Wir entgleiten einander für eine kurze Weile. Doch dann regt es sich wieder in unserem Innersten. Das Weltall ist groß. Vielleicht sogar unendlich! Und wir machen uns erneut ans Werk, eine weitere Galaxie zu schaffen…
Der Teppich der Nacht
deckt unsere Körper.
Die Trennung schwindet
dem umschließenden Eins
Unsere Zungen schmelzen
das Eis unserer Haut -
Die Zungen des Geistes
zerschneiden das Ego
und legen die Seele frei
du ich
wir
es
Eines Mittags verteilte ich die Post, während alle bei Essen saßen. Es war auch ein Brief für Dora dabei. Sie wurde rot, als sie die Schrift erkannte und steckte ihn weg, ohne ihn zu lesen. Später fragte ich sie, was das für ein Brief gewesen sei. „Ach nichts! Kannste vergessen!“ Doch ich merkte ihr an, dass da was faul war. Auf mein Drängen meinte sie, „er will mich besuchen!“ „Ja wer denn?“ „Der Wolfgang!“ „Aber ich bin ja da!“ meinte ich hänselnd. „Nicht du, ein anderer.“ „Brauchst du gleich mehrere, reiche ich dir nicht?“ „Was soll ich nur machen?“ „Sag ihm ab. Sag ihm, du hast schon den richtigen gefunden!“ „Das geht nicht, er ist schon unterwegs. Heute Abend wird er da sein!“ „Ja dann müssen wir ihn also hochfahren. Vielleicht könnte man die Gondel über dem ‚Tobel‘ anhalten…“ Doch er kam hochgelaufen. Zusammen begrüßten wir ihn. Denn ich wollte, dass von Anfang all alles klar war. Als er uns zusammen sah, kam ihm eine Ahnung. Doch blieb er gelassen und letztlich verstanden wir zwei uns gut. Doch war mir wohler zumute, als er nach ein paar Tagen wieder abreiste…
Die Ersatz(dienst)-Mutti
Der große Tag rückte näher. „Heute kommt deine Schwiegermutter!“ neckten mich die Anderen, die mein Verhältnis zu Dora mitbekommen hatten. Damit hatten auch die Bemerkungen und Wetten ein baldiges Ende genommen. Ich, der nicht gewettet hatte, war als ‚Gewinner‘ hervorgegangen. Doch dieses Wort war nichts im Vergleich zu dem Glück, das wir gefunden hatten. Sie kamen mit dem Auto. Sie luden das Gepäck in die Seilbahn und stiegen dazu. Dora stand neben mir im Maschinenhaus. Ich drückte auf den Knopf. Summend setzte sich der Mechanismus in Bewegung. Und da waren sie. Der kleine, mopsige blonde Lockenkopf, der mich kritisch betrachtete, war also ihr Bruder! Schaute ziemlich aufgeweckt aus! Ob der sich schon was dachte? Und die Frau, der ich aus der Gondel half, sah ihrer Tochter so ähnlich, dass man die zwei verwechseln hätte können. Da muss ich im Dunkeln aufpassen, um nicht der Falschen zu nahe zu geraten!
Wir führten sie beide zum Haus hinunter. Gleich von Anfang an hatten alle die Mutter ins Herz geschlossen. Wir nannten sie ‚unsere Ersatz(dienst)-Mutti‘, und bald schon duzten wir uns alle. Sie hatte keine Angst vor der Arbeit, und bald schon war sie Bestandteil unserer Mannschaft. Sie kümmerte sich vor allem um die gesamte Bettwäsche, die alle im Haus gewaschen wurde, und die Mangel. Reiner, der kleine Bruder, bald nannten wir ihn Obelix, weil etwas rundlich, war überall da zu finden, wo Unsinn ausgeheckt wurde, Streiche gespielt und Wassereimer über die Tür gehängt. Einmal geriet der Chef unter so einen, der für jemand anderen bestimmt war. Wir befürchteten Stunk, aber er nahm es mit einem Lachen.
Mit Herbert, meinem Zimmerkollegen, verstand ich mich gut. Wir trafen uns oft alle im Zimmer von einem von uns, und es wurde gefeiert. Billy rauchte kein Gras, trank dafür aber gerne mal einen. Er hatte es zu einem seiner Erziehungsziele gemacht, uns davon abzubringen. Manchmal fragten wir uns, ob er überhaupt mitbekam, was da meistens geraucht wurde! In unseren Zimmern standen Blumentöpfe mit Hanfstauden. Da wir unsere Buden selber putzten, bekam niemand mit, was da wuchs. Auch wusste kaum jemand, wie eine Hanfpflanze aussah. Und wenn mal jemand nach dem Namen fragte, dann war das eine südafrikanische Dattelfeige, sehr schwierig zu halten! Bei Berührung oder dem kleinsten Stress werfen sie die Blätter ab. Somit war auch die nächste Frage im Voraus beantwortet, warum bisweilen wenig Blätter an den Zweigen hingen. Der Stress!
Dafür waren wir umso entstresster, wir waren eine immer fröhliche Bande, die alles für das Haus hergab. Wir hörten Rock, Pink Floyd, Cat Stevens, Ravi Shankar, brannten Weihrauch (auch um den herben Grasgeruch zu verdecken), meditierten. Wir lasen den Herrn der Ringe, schrieben Gedichte, wanderten, fuhren Ski. Trotz der Arbeit machten wir uns eine gute Zeit. Manchmal war die Arbeit sogar eine angenehme Freizeitunterbrechung. Bisweilen besuchte Dora mich in unserem Zimmer. Aber das glich oft eher einem Saustall. Wir alle hatten die Betten und Möbel weitgehend auf den Dachboden geschafft und lebten auf Matratzen, die auf dem Fußboden lagen. An den Wänden stapelten sich Südtiroler Apfelkisten als Regale, zum Brechen voll mit Büchern, mit Wäsche und unseren Habseligkeiten. Dann lagen da die alten Klamotten rum, die Socken, die Bergschuhe. Kurz: Das Zimmer glich eher einer Räuberhöhle als einem Platz für ein Mädchen aus der Stadt. Deshalb besuchte ich sie lieber in ihrem Zimmer im Maschinenhaus. So konnten wir in Ruhe diskutieren und uns unseren Umarmungen hingeben. Und da wir danach immer einschliefen, ging ich jeden Morgen von da oben zu meiner Arbeit nach unten ins Hauptgebäude. Und da wir eh zusammenbleiben wollten, warum also nicht gleich?
Es hatte wieder mal frisch geschneit. Ich stapfte durch die unberührte Schicht Pulverschnee nach unten und ergötzte mich an der morgendlichen Bergwelt. Es war wie ein neuer Schöpfungsmorgen. Die Welt lag noch in Unschuld. Im Speisesaal stand jemand vom Personal am offenen Fenster und rauchte scheint’s eine Zigarette. „Au scho in der Höh?“, rief er mir zu. „Logo!“ antwortete ich. „Schau mal hinter dich!“ Ich drehte mich um. „Ja, was soll da sein?“ „Sigschte nix?“ „Klar, meine Spuren!“ „Und wenn die ‚Schwiegermutter‘ die sigt?“ „Ich denk, die weiß eh mehr als wir denken!“ Für mich war klar, dass wir zusammenbleiben wollten. Außerdem würde sie bald 19 und ich fühlte, dass wir füreinander bestimmt waren. Die Schwesterseele sozusagen. Ich sah die Zukunft doppelt…
Bernd hatte eine neue Meditationsmethode erfunden. Anstatt nur bei Kerzenschein zu sitzen, stellte er sich die Kerze auf den Kopf, nur gehalten von seinen wuseligen Haaren. Zum Glück kamen wir in sein Zimmer, bevor sie ganz runtergebrannt war. Wie sah der aus! Die Haare verklebt von Wachssträhnen, bis auf die Schultern war es gelaufen! Wären wir nicht gekommen, wäre er wohl zu einer Fackel geworden. Durch ihn hörten wir von Milarepa, einem tibetischen Heiligen. Der hatte jahrelang nur Brennnesseln gegessen, bis er selber ganz grün war. Dann hatte dieser gar nichts mehr gegessen und sich in einer Höhle einmauern lassen. Da zogen wir zwei die Yab-Yum Meditation vor, wo die zwei Gottheiten in Lotusposition miteinander kopulieren. Die Lotusstellung schafften wir nicht, dafür aber gab es unzählige andere, die wir versuchten. Wichtig ist dabei, den Orgasmus so weit wie möglich hinauszuschieben, oder zu absorbieren, ihn nicht stattfinden lassen. So