Der Agentenjäger. Peter Schmidt
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«Wie ich hörte», fuhr er fort, «ist Ihre Angst vor den Kommunisten drüben im alten Europa kaum geringer? Nur dass Sie weniger öffentlichen Aufhebens davon machen? Alles spielt sich mehr im Verborgenen ab?»
2
Ehe Faber die Halle des Hotelrestaurants betrat, blieb er stehen und musterte durch eine Wand aus Hartblattgewächsen kurz die Gäste an den Tischen.
Er erinnerte sich, dass es in der Botschaft einige ältere Fräulein gab, die, hinter ihren Schreibmaschinen sitzend, die goldgeränderten Brillen hochgeschoben oder sich überrascht an den Hals gegriffen hatten, als er hereinkam; es brauchte nicht viel Phantasie, um zu verstehen, was diese vertrockneten Jungfern an ihm fanden.
Es war seine hochgewachsene Gestalt, die sich für ihre gelangweilten Blicke wohltuend von den kleinwüchsigen Indios abhob. Und sein hellblondes Haar. Vielleicht weckte es in ihnen unbestimmte Sehnsüchte nach dem kühlen Norden.
Erleichtert bemerkte er, dass keine von ihnen in der Halle saß. «Fräulein Menge» klang etwas zu blutleer und erinnerte ihn eher an Fencheltee und Nierenwärmer aus Katzen- oder Kaninchenfell, als dass er Neugier verspürt hätte, ihre Bekanntschaft zu machen. Zu dieser frühen Stunde – man pflegte hier erst am späten Abend zu essen – gab es überhaupt nur ein weibliches Wesen im Restaurant.
Es saß unter der Nachbildung eines Wandgemäldes aus der Mayazeit, das, in roten und tiefgrünen Farben schwelgend, zwei Priester mit hohem Kopfschmuck zeigte. Sie beugten sich über eine menschliche Gestalt – ein weibliches Wesen, den schlanken Gliedmaßen nach zu urteilen –‚ das als Opfergabe diente.
Einer der beiden hielt die Blutschale, der andere das Messer. Faber umrundete den Raumteiler aus hartblättrigen Pflanzen und setzte sich an einen Tisch, von dem er den Eingang überblicken konnte.
Marten hatte ihm gesagt, dass man den Kontakt zur Botschaft besser einschränkte: dort zwei- oder dreimal in der Woche ein und aus zu gehen, würde nur den alten Verdacht nähren, Reubens Auftrag habe mit den politischen Verhältnissen zu tun gehabt. Es hätte leicht den Geheimdienst des Landes auf den Plan rufen können.
Wenn man jetzt von sich aus mit ihm Kontakt aufnahm, gab es sicher neue Informationen über Reubens Ermordung …
Faber betrachtete das Mädchen am Nachbartisch.
Es hatte ein wenig Ähnlichkeit mit Lea, und diese Beobachtung versetzte ihm einen Stich. Die gleichen ebenmäßigen Züge, die gleiche glatte Haut. Und es besaß nicht jenen manchmal ein wenig verbissen wirkenden Zug um den schmallippigen Mund, den sich Lea in ihren langen Jahren als freie Journalistin erworben hatte.
Diese Lippen dort drüben waren von der einladenden, schon beinahe herausfordernden Röte, wie sie eher auf kitschigen Öldrucken bei dunkelhäutigen Zigeunerinnen zu finden ist. Der himmlische Maler da oben mußte trotzdem gewollt haben, dass sie es nicht zu leicht mit den Männern haben würde, denn ihre Augen standen ein wenig schief, wenn auch nur ganz unmerklich.
Oder tat er ihr Unrecht? Legte sie es gar nicht darauf an, gleich beim Abendessen die Blicke aller Kerle zwischen sechs und sechsundsechzig auf sich zu lenken?
Faber saugte unschlüssig an seinem kalten Zigarillo. Das Mädchen bemerkte seinen aufdringlichen Blick und nickte ihm lächelnd zu.
Ernüchtert beugte er sich wieder über die Speisekarte.
«War es wirklich nötig, mich so lange warten zu lassen?», fragte sie.
Er hob überrascht den Kopf. «Was denn, sind Sie etwa …?»
«Corinna Menge von der Botschaft», bestätigte sie. «Ich erledige die Sonderaufgaben – seitdem ich meine journalistische Arbeit an den Nagel gehängt habe.»
«Doch nicht auch noch Journalistin?», fragte er. «Habe ich das richtig verstanden?»
«Was soll daran so ungewöhnlich sein?»
«Eine gute Freundin von mir hat den gleichen Beruf Sie wird in der DDR wegen Fluchthilfe festgehalten, aber das ist eine andere Geschichte … Darf ich mich zu Ihnen setzen?»
«Sicher, ich bitte sogar darum.»
Faber kam ein wenig zu schwungvoll um den Tisch herum und winkte zum anderen Ende des Saales. Doch der Kellner beachtete ihn nicht, obwohl er ihm kurz das Gesicht zugewandt hatte; er kniete weiter mit einem Stapel weißer Tischtücher über dem Arm vor dem hohen Kommodenschrank.
«Hier müssen Sie bei allem etwas mehr Geduld haben», sagte das Mädchen. «In Mittelamerika gehen die Uhren anders. Er hat sie gesehen, deshalb wird er es sich als eine besondere Aufmerksamkeit anrechnen, dass er sich nachher noch an Sie erinnert.»
«Um ein besseres Trinkgeld herauszuschinden?»
«Wieso nicht?»
Faber zuckte die Achseln und versuchte nachzudenken. Aus irgendeinem Grund fiel ihm nur ein schäbiger und etwas zu anrüchiger Witz über ihre langen Beine ein. Er unterdrückte ihn gerade noch rechtzeitig und fragte:
«Sie kommen wegen Reuben, habe ich recht?»
«Die Botschaft hat mich Ihnen als Begleiterin zugeteilt – als Assistentin, wenn Sie so wollen.»
«Als Assistentin? Aber ich habe niemanden angefordert!»
«Sie fahren doch nach Baril, stimmt‘s?»
«Wer sagt das?»
«Sie wollen den jungen Goldstein befragen, der dort an einem Entwicklungshilfeprojekt arbeitet. Der Mann, um dessentwillen Reuben herkam …»
«Mir ist schleierhaft, wie Sie auf diese Idee kommen?»
«Haben Sie gestern Abend etwa keinen Busfahrschein nach Baril gelöst?»
«Ja. Und es war die letzte Karte.»
«Nun, nicht ganz die letzte. Hier ist mein Fahrschein.» Sie zeigte ihm ein gelbes Billett aus hauchdünnem Papier, das den Nachbarplatz belegte. Er erinnerte sich, dass seine Sitzplatznummer 50 lautete, und ihre war 51».
Der Kellner tauchte neben ihnen auf – das Gesicht mit den schwarzen Hirschaugen treuherzig lächelnd. Faber bestellte bis auf Nachtisch und Vorsuppe die Zusammenstellung des Menüs, die aus drei weiteren Gängen bestand, ließ sich dann aber überreden, auch den Nachtisch – heißen Pfirsich mit Eis – zu nehmen. Er war im Preis inbegriffen. Nachlass für seinen Verzicht würde es nicht geben.
Es bereitete ihm Vergnügen, in ihren Augen als knauserig zu gelten.
«Ich verstehe wirklich nicht, was das alles soll?», fragte er, als der Wein eingeschenkt wurde. «Warum man mir eine Aufpasserin zuteilt, meine ich.»
«Keine Aufpasserin. Die Fahrt im Landesinnern ist ziemlich riskant. Gerade in den abgelegenen Dörfern. Guerillas, Todesschwadronen, Militär ... Es gibt Ausgangssperren für die Anwohner, und wer sie nicht beachtet, wird erschossen. Dazu eine Menge Zivilpatrouillen, einfache Leute,