Nächtliche Besuche bei Stefan Sternenstaub. Edda Blesgen
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Читать онлайн книгу Nächtliche Besuche bei Stefan Sternenstaub - Edda Blesgen страница 5
„Hole Hilfe“, schrie er dabei. „Der Drache ist in meinem Zimmer.“
„Der Drache? - Ich sehe keinen Drachen.“
„Ich weiß“, keuchte Quirin Quantler-Binder und duckte sich hinter dem umgeworfenen Tisch. „Er hat von meinem Zauberpulver genascht. Nun ist er unsichtbar und das macht ihn besonders gefährlich. - Nun rufe endlich ein paar starke Leute herbei, sonst ist es aus mit mir.“
Der Schuster wetzte davon. Er trommelte gegen Fensterläden und Türen. „Kommt zum Bastler und Erfinder. Wir müssen ihn retten. Der Drache hat ihn überfallen.“
Die Männer befahlen ihren Frauen und Kindern, in den Wohnungen zu bleiben. Dann bewaffneten sie sich mit Besenstielen, Beilen, Kohlenschaufeln und Suppenlöffeln, schlichen zum Haus von Quirin Quantler-Binder und spähten durch das offene Fenster. Der Bastler und Erfinder rang keuchend und schwitzend mit seinem unsichtbaren Gegner. Doch plötzlich ließ er die Arme sinken, wischte die Hände an den Hosenbeinen ab und wandte sich an die Zuschauer.
„Das wäre geschafft“, sagte er erleichtert. „Das Untier ist besiegt, es liegt dort auf dem Boden.“
Die Kleinmeindorfer sahen zwar nichts, doch sie jubelten und klatschten begeistert Beifall. Der Bürgermeister, der als letzter herbeigeeilt war, überlegte: „Was machen wir mit dem toten Drachen?“
„Wir werfen ihn in die Schlucht im Wald“, schlug Quirin Quantler-Binder vor. Der Gärtner Hyazinth Immergrün lief davon, um eine Schubkarre zu holen. Als er zurückkam, waren sämtliche Kleinmeindorfer zu ängstlich, den Drachen aufzuladen.
„Vielleicht lebt er doch noch ein wenig“, sagte sogar der Bäcker Bäcker.
Der Bastler und Erfinder tastete mit der flachen Hand ein Stück über dem Fußboden herum.
„Nein“, tröstete er, „das Untier ist mausetot, sein Herz schlägt nicht mehr.“
Trotzdem wollte niemand ins Zimmer kommen. Da bückte Quirin Quantler-Binder sich, er packte etwas, das niemand sah, mit beiden Händen.
„Ich habe den Drachen beim Genick und bei den Hinterbeinen“, rief er den Kleinmeindorfern zu, dann wuchtete er das unsichtbare Tier stöhnend auf seine Schultern und trat schnaufend und gebückt unter der Bürde aus dem Haus. Hier neigte er sich zur Seite, es sah aus, als ließe er etwas von seinen Schultern auf die Schubkarre gleiten. Der Bürgermeister, der Gärtner, der Bäcker, alle männlichen Kleinmeindorfer standen in respektvollem Abstand. Quirin Quantler-Binder nahm die Schubkarre und schob sie keuchend in den Wald, die anderen folgten ihm bis zur Schlucht, hier kippte der Bastler und Erfinder seine unsichtbare Fracht in den Abgrund.
„So, das wäre erledigt“, sagte er und im Triumphzug führte man ihn ins Dorf zurück.
Drei Monate nach diesem Ereignis fand im Gemeindehaus von Kleinmeindorf eine Feier statt. Der Bürgermeister Rex König hielt eine Rede. „Wer weiß, was alles geschehen wäre, hätte Quirin Quantler-Binder sich nicht mutig auf das Ungeheuer gestürzt und es, ungeachtet der Gefahr, zur Strecke gebracht. Er rettete das Leben unserer Kinder, bewahrte uns vor Unheil und Leid. Ihm verdanken wir, heute noch heil und unversehrt zu sein. Ich habe dem Ministerpräsidenten geschrieben und von der mutigen Tat berichtet. In seinem Namen überreiche ich unserem allseits geschätzen Quirin Quantler-Binder als Anerkennung für seine Tapferkeit diesen Orden.“
Die Kleinmeindorfer klatschten begeistert Beifall. Der Bürgermeister steckte dem Bastler und Erfinder das glänzende Verdienstabzeichen an die Brust. Quirin Quantler-Binder strahlte vor Freude über die Auszeichnung, seine beiden Töchter, zwei Schwiegersöhne und die vier Enkel waren mächtig stolz auf ihren heldenhaften Vater und Opa. Der Bürgermeister beglückwünschte sich insgeheim selbst zu der schönen Ansprache, die er gehalten hatte, seine Frau Regina seufzte entzückt: „Mein Mann, der Herr Bürgermeister, wie vorzüglich er doch zu reden weiß“. Ohle Sohlenmuster gratulierte seinem klugen und tapferen Nachbarn. „Ich rechne es mir als Ehre an, neben dir zu wohnen“, sagte er. „Zum Glück habe ich meine Schubkarre zweimal verliehen, sonst hätte Quirin Quantler-Binder niemals die Zutaten für seine Erfindung transportieren und den Drachen wegschaffen können“, prahlte Hyazinth Immergrün, um ein wenig von dem Ansehen für sich selbst zu beanspruchen.
Alle Kleinmeindorfer waren stolz auf ihren Mitbürger. Zwei Vertreter der Großkloßmooser Morgenpresse machten eifrig Notizen und Fotos.
Nun meldete sich der Ordensträger zu Wort. „Ich möchte noch einmal auf das Wunderpulver Machunsichtbar zurückkommen“, sagte er. Wie leicht kann es mir gestohlen werden und in unpassende Hände geraten. Wenn zum Beispiel Schnappweg es verschlucken würde, könnte er uns am helllichten Tag ungestraft bestehlen. Oder nehmen wir einmal an, ein Kind atmet es ein, seine unglücklichen Eltern würden es nicht wieder erblicken, bis es mir gelingt, ein Gegenmittel zu erfinden - und wer weiß, ob das je der Fall sein wird. Ich schlage also folgendes vor: Heute gehen wir noch einmal zur Schlucht im Wald. Ich werde das Pulver dort hinunterschütten und nie mehr kann es Schaden anrichten.“
Da klatschten wiederum alle begeistert Beifall, selbst der Bäcker Bäcker, denn sie staunten über den Edelmut von Quirin Quantler-Binder. Zum ersten Mal war es ihm gelungen, wirklich etwas noch nie Dagewesenes zu erfinden, und jetzt bot er freiwillig an, es zu vernichten, um Gefahr von seinen Mitbürgern abzuwenden.
Am Nachmittag versammelten sich alle vor dem Haus des Bastlers und Erfinders. Er trat heraus, der Orden glänzte an seiner Brust, in der Hand hielt er einen verbeulten Kessel. Die Kleinmeindorfer reckten die Hälse und schubsten einander, um einen Blick auf den Inhalt zu werfen. Doch sie murmelten enttäuscht, der Topf war - leer.
„Natürlich ist das Pulver Machunsichtbar selbst auch unsichtbar“, belehrte sie Quirin Quantler-Binder. „Ich habe es aus Tapetenkleister, Wäscheweichspüler, Nagellackentferner, Rheumasalbe und einem fast vertrockneten Rest königsblauer Tinte angerührt. Als ich dann noch zwei oder drei Geheimnisse hinzufügte, verschwand es vor meinen Augen.“
Die Kleinmeindorfer nickten mit den Köpfen und folgten ihm in den Wald. Hier warf der Bastler und Erfinder den Kessel in die Schlucht.
„So, das wäre erledigt“, sagte er wieder und alle gingen zufrieden nach Hause.
Am nächsten Tag stand alles in der Großkloßmooser Morgenpresse. Seitdem lebt Quirin Quantler-Binder als geachteter Mann in Kleinmeindorf. Ab und zu kommt er, die Leine hinter sich herschleifend, über die Dorfstraße. Moritz, der Hund, ist immer noch unsichtbar, seltsamerweise hat ihn auch noch nie jemand bellen hören. Alle, selbst der Bäcker Bäcker, grüßen den Bastler und Erfinder mit