Der Horla. Guy de Maupassant

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Der Horla - Guy de Maupassant

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August. – Ich habe den ganzen Tag über nachgedacht. Ja, ich werde ihm gehorchen, ich werde seinen Eingebungen folgen, ich werde seinen Willen erfüllen, ich werde mich dienstbar machen, unterwürfig und feige. Er ist stärker, aber die Stunde wird kommen . . . .

      19. August. – Ich weiß – ich weiß – ich weiß Alles. Ich habe eben in der Revue du Monde Scientifique Folgendes gelesen:

      Aus Rio de Janeiro kommt eine wunderbare Nachricht. In diesem Augenblick wütet in der Provinz San Paolo eine Art epidemischer Verrücktheit, die man den ansteckenden Krankheiten vergleichen muß, mit denen im Mittelalter die Völker Europas heimgesucht wurden. Die Einwohner verlassen verstört ihre Häuser, geben ihre Dörfer auf, lassen ihre Äcker im Stich, weil sie sich für verfolgt halten, besessen, beherrscht, wie Tiere in Menschengestalt, durch Wesen, die unsichtbar sind, obgleich man sie berühren kann, durch Vampyr-gleiche Wesen, die sich nächtens von ihrem Leben nähren, und die außerdem Wasser und Milch trinken, ohne daß sie, wie es scheint, andere Nahrung berühren.

      Professor Don Pedro Henriquez ist in Begleitung von mehreren bekannten Ärzten nach der Provinz San Paolo gereist, um an Ort und Stelle Ursachen und Symptome dieser eigenartigen Gestörtheit zu studieren und dem Kaiser die geeignetsten Maßregeln, um die von der Krankheit ergriffene Bevölkerung wieder zur Vernunft zu bringen, vorzuschlagen.

      O, ich erinnere mich jetzt, ich erinnere mich des wunderschönen brasilianischen Dreimasters, der am letzten 8. Mai die Seine herauf unter meinen Fenstern vorüber fuhr. Ich fand ihn damals so hübsch, so hell, so freundlich. Das Wesen war darauf. Es kam von da drüben, wo es herstammt, es hat mich gesehen, hat mein weißes Haus gesehen und ist vom Schiff in den Strom gesprungen. O mein Gott! Mein Gott!

      Nun weiß ich Alles. Nun errate ich es. Die Zeit, da der Mensch herrschte, ist vorüber.

      Er ist gekommen, er, der die erste Furcht der frühesten, naiven Völkerschaften war, »Er«, den die geängstigten Priester austrieben, den die Zauberer in dunklen Nächten anriefen, ohne daß er ja erschienen wäre, dem vorahnend die flüchtigen Herren der Welt all die riesigen oder zierlichen Gestalten der Riesen, Gnomen, Geister, Feen, Kobolde liehen. Nach den groben, aus einer primitiven Furcht geborenen Vorstellungen empfanden feinsinnigere Menschen ihn deutlicher. Mesmer hat ihn geahnt und seit zehn Jahren schon haben die Ärzte genau das Wesen seiner Macht festgestellt, ehe er sie ausgeübt hat. Sie haben mit der Waffe des neuen Herrschers gespielt: der Fähigkeit, einen geheimen Willen der gefesselten menschlichen Seele aufzuzwingen, sie haben es Magnetismus, Hypnotismus, Suggestion und ich weiß nicht was alles genannt. Ich habe gesehen, wie sie sich gleich unvorsichtigen Kindern mit dieser fürchterlichen Macht unterhielten. Wir unglücklichen, unseligen Menschen! Er ist gekommen, der – der, wie heißt er – der – es ist mir, als riefe er mir seinen Namen zu und ich höre ihn doch nicht, der – ja, er ruft ihn, ich lausche, ich kann nicht, wiederhole, der – Horla, – ich habe es gehört, – der Horla, – der ists, – der Horla – ist da!

      O, der Geier hat die Taube verzehrt, der Wolf das Schaf gefressen, der Löwe den Büffel trotz seiner spitzen Hörner verschlungen. Der Mensch wieder hat den Löwen mit Pfeil, Schwert, Pulver und Blei getötet. Aber der Horla wird aus uns Menschen machen, was wir aus Pferd und Ochsen gemacht haben: seine Sache, seinen Diener, seine Speise, allein durch die Kraft seines Willens. Wir unglücklich Unseligen!

      Und doch empört sich manchmal das Tier und tötet den, der es gebändigt hat. Ich will auch . . . ich könnte . . . aber man müßte ihn kennen, ihn berühren, ihn sehen. Die Gelehrten sagen, daß das Auge des Tieres von dem unsrigen verschieden ist, nicht so sieht, wie unser Auge, . . . und mein Auge kann den neuen, Ankömmling, der mich unterdrückt, nicht erkennen!

      Warum? O, jetzt erinnere ich mich an die Worte des Mönchs vom Mont-Saint-Michel: »Sehen wir den hunderttausendsten Teil von dem, was es giebt. Der Wind zum Beispiel, die größte Kraft der Natur, der Menschen umwirft, Gebäude niederlegt, Bäume entwurzelt, der das Meer in Wogenbergen aufwühlt, der Klippen und Felsen zerschmettert und der die größten Schiffe hinaus in die Brandung wirft, der Wind, der tötet, pfeift, seufzt und stöhnt – haben Sie ihn gesehen und können Sie ihn sehen? Und er existiert trotzdem.

      Und ich überlegte mir noch weiter. Mein Auge ist so schwach, so unvollkommen, daß es selbst nicht einmal feste Gegenstände unterscheiden kann, wenn sie nur durchsichtig sind wie Glas. Wenn eine große Spiegelscheibe ohne Belag in meinem Wege steht, so ist mein unvollkommenes Auge daran schuld, daß ich dagegen renne, wie ein im Zimmer verflogener Vogel sich an den Fensterscheiben den Kopf einstößt. Tausend Dinge täuschen das Auge. Was ist also Erstaunliches daran, wenn es einen neuen Körper, den das Licht durchstrahlt, nicht erkennen kann?

      Ein neues Wesen. Warum nicht? Es mußte ja kommen. Warum sollten wir die Letzten sein? Wir unterscheiden das neue Wesen nicht, wir erkennen es nicht, wie alle anderen, die vor uns geschaffen sind, einfach, weil es vollkommener ist, weil sein Körper feiner und vollendeter ist, als der unsrige, als unser schwacher Leib, der dahinvegetiert wie eine Pflanze, ein Tier, unser Leib der sich mühsam von der Luft nährt, von Gras und Fleisch, eine animalische Maschine, den Krankheiten zur Beute, Verstümmelungen, der Verwesung anheimgegeben, schlecht in's Gleichgewicht gesetzt, lächerlich, verrückt, erstaunlich schlecht gemacht, ein grobes, zerbrechliches Werk, nur die Skizze zu dem Wesen, das wirklich intelligent und schön werden könnte.

      Wir sind so wenige Lebewesen auf der Erde, von der Auster bis zum Menschen. Warum sollte nicht ein neues entstehen, nachdem einmal die Periode vollendet, für die die »Entstehung der Arten in langsamer Folge« charakteristisch ist? Warum nicht eine Art mehr? Warum soll es nicht auch Bäume geben mit Riesenblumen, leuchtend und duftend über weite Landstrecken? Warum soll es keine anderen Elemente geben als Feuer, Luft, Erde und Wasser. Es sind ihrer vier, nur vier, diese Nährväter aller Wesen. Wie armselig! Warum sind es nicht vierzig, vierhundert, viertausend. Wie ist alles elend, dürftig, jammervoll auf dieser Erde, wie sparsam zugemessen, armselig erfunden, plump gemacht. Dieser Liebreiz am Elefanten, am Flußpferd, diese Eleganz am Kamel!

      Aber ihr werdet sagen: der Schmetterling ist doch wie eine Blume, die da fliegt. Ich aber träume von einem, der groß sein müßte gleich wie hundert Welten, mit Flügeln, deren Gestalt, Schönheit, und Farbe ich nicht erklären kann, aber vor mir sehe. Er eilt von Stern zu Stern, erquickt sie und erfüllt sie mit Duft durch den leichten Schlag seiner Flügel. Und die Völker dort oben sehen ihm entzückt begeistert nach, wenn er vorüberfliegt . . . .

      Wen meine ich denn? Er ist es, er, der Horla, der mich quält, der mich auf diese wahnsinnigen Gedanken bringt, er sitzt in mir, er wird meine Seele; ich muß ihn töten.

      19. August. – Ich werde ihn töten. Ich habe ihn gesehen. Ich habe mich gestern abend an meinen Tisch gesetzt und so gethan, als ob ich aufmerksam schriebe. Ich wußte wohl, daß er um mich irren würde, ganz nahe bei mir, so nahe, daß ich ihn vielleicht berühren könnte, ihn packen, und dann wäre vielleicht die Kraft der Verzweiflung über mich gekommen, ich hätte Hände, Kniee, Brust, Stirn, Zähne gebraucht, ihn zu erwürgen, zu erdrücken, tot zu beißen und zu zerreißen.

      Und ich lauerte ihm mit allen meinen überreizten Sinnen auf.

      Ich hatte beide Lampen und die acht Lichter auf dem Kamin angesteckt, als ob ich ihn in dieser Helle besser sehen könnte.

      Vor mir steht mein Bett, ein altes Eichenbett mit Säulen. Rechts ist der Kamin, links die Thür, sorgfältig geschlossen, nachdem ich sie lange Zeit offen gelassen hatte, um ihn herein zu locken. Hinter mir steht ein hoher Spiegelschrank, der mir täglich dazu gedient hat, mich zu rasieren, mich anzuziehen und in dem ich mich jedesmal, wenn ich vorüberging, von Kopf bis zu Fuß betrachtete.

      Ich that also, als schriebe ich, um ihn zu täuschen, denn auch er spähte nach mir. Und plötzlich fühlte ich, ich war meiner Sache

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