Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf - Heinrich Mann страница 18
»Was glücklich macht, ist gewöhnlich.« Worauf er sich erhob. Er stand achtungsvoll beiseite, als Graf Lannas wieder eintrat.
Der Botschafter trocknete die Stirn und sank erleichtert in seinen Sessel. Zu Mangolf, der ihm folgte: »Ist drinnen abgeschlossen? ... Übrigens, lieber Doktor, begraben Sie alles in Ihrem Herzen!«
Mangolf legte die Hand auf das Herz. Der Botschafter entspannte sich vollends, er ließ Likör einschenken und reichte Zigarren. Terra sah sich den beflissenen Mangolf an, der ihm auswich; dann nahm er Platz, dem Botschafter gegenüber, die Knie auseinander und die Hände darauf. So sagte er nasal und klangvoll:
»Wollen Eure Exzellenz einem niedrig Geborenen und durchaus Uneingeweihten, den aus der misera plebs vielleicht nichts anderes heraushebt, als nur seine besonders verehrungsvolle Bewunderung für die Person Eurer Exzellenz, – wollen Sie mir eine kurze Frage gestatten, so wäre es diese: »Wozu gibt es Diplomaten?«
Da der Botschafter nur mit dem Kopf zuckte:
»Ich fühle meine überwältigende Unwürdigkeit, mich irgend weiter zu erklären.«
Er sah tief zerknirscht aus. Graf Lannas ließ Nachsicht walten. »Sie gehören wahrscheinlich zu den jungen Leuten, die sogar die internationalen Geschäfte öffentlich in den Parlamenten verhandelt sehen möchten.«
Trotz der entrüsteten Verwahrung Terras behielt er seine milde Überlegenheit. »Das junge Geschlecht ist ungewöhnlich selbstbewußt, – was ich persönlich zu schätzen weiß. Wir haben das Glück in einem Staate zu leben, der kein Talent, ich sage kein irgend verwendbares Talent, unverwendet läßt.«
Mangolf, der nun wußte, woher der Sohn seine Redensarten bezog, drückte mitten im Ordnen verstreuter Papiere, durch eine seitliche Verbeugung seine Überzeugtheit aus. Graf Lannas ließ sich dennoch auf eine ausführliche Darlegung ein, eigens für den tief ergriffenen Terra, der solcher hohen Belehrung rückhaltlos offen, den Mund aufhielt und bei der Anstrengung des Lernens die Zunge darin bewegte.
Die Öffentlichkeit der internationalen Geschäfte, so lehrte Graf Lannas, sei eine Forderung der Demokratie. Es sei ihre letzte Forderung, es würde sie restlos vollenden. Nun bedenke man ihren Charakter. »Ich schätze die Demokratie.« Wer sehe aber nicht ein, daß sie rücksichtsloser, begehrlicher, brutaler sei als die mehr oder weniger gesättigten Vertreter der zum Glück noch unerschütterten Kaisermacht.
Der Botschafter stand auf, er trat hinter den Tisch, seine rechte Hand warf beim Sprechen die daliegenden Gegenstände durcheinander, seine Stimme verlor ihre Gelassenheit, sie ward mißtönig. »Meine Herren! Sie werden es vielleicht erleben, wie die losgelassenen Instinkte der Völker vernichtend gegeneinander platzen. Von uns werden sie noch gezähmt. Das Kaiserreich ist der Friede.«
Terra fand es angezeigt, auf seinem Stuhl sich ganz still zu verhalten. Mangolf fragte geschäftsmäßig: »Die Besetzung von – gehört doch zu dem Akt F H/6235?«
»Ganz recht. Wir schicken Truppen hin.«
»Das Kaiserreich ist der Friede«, wiederholte Terra mit Überzeugung.
»Wir haben das Spiel in der Hand«, sagte der leitende Staatsmann von morgen und schien in der Luft seine Karten auszubreiten, mit Händen wie ein Taschenspieler. Vor Freude über seine Gewandtheit bekam er sogar sein Grübchen.
Plötzlich erinnerte er sich einer Verabredung. Es war klar, er ward sich bewußt, an wie geringes Publikum er die Proben seiner Kunst hier verschwendete. Er gab laue, flüchtige Händedrücke und war schon draußen. »Alice, ich erwarte Dich.« Mangolf ihm nach, er fühlte: ihm nach, durch Dick und Dünn, jetzt oder nie! Terra sah sich um, die Gräfin hatte den Rücken gekehrt. Er ging hin und flüsterte ihr dringend über die Schulter. Sie antwortete nicht, er fühlte sie beben. Aber die Tür stand offen. Er wagte sie nicht zu schließen und ging.
Mangolf trat gleichzeitig aus einem Zimmer gegenüber, argwöhnisch musterte er Terra, der ihn ironisch musterte.
»Die Karriere beginnt«, sagte Terra.
Die Gräfin dachte, als sie sich am Abend allein davonmachte: »Was wage ich viel. Das ist keiner, den man aus der Hand verliert. Viel gefährlicher war es damals mit –«. Sie ging Erinnerungen durch, mit ihren achtzehn Jahren. »Aber dieser ist sonderbarer ... Er ist, wie ich es will. Mit ihm werde ich gewiß etwas erleben, die Saison war so schlecht, – und es wird im Grunde nichts kosten.« Da hielt der Einspänner vor der Wiese.
Die Gräfin drang sicheren, leichten Schrittes in die ausgestorbene Budenstadt. Einmal stieß sie im Dunkeln an einen Schlafenden oder Betrunkenen, sprang um eine Ecke und rührte sich minutenlang nicht. Unkenntliche Gerüste standen auf allen Seiten im Himmel: – wo nur der Turm, von dem man in zwei Sekunden abfuhr? »Ach! ich befinde mich gerade unter ihm, und dort –«. Sie machte sich steif, aus einem Schatten, der wohl das Karussell barg, löste sich eine Gestalt.
»Gräfin sind pünktlich« – Terra verbeugte sich, wie in einem Salon. »Somit werde ich die Ehre haben. Ihnen die Wiese bei Nacht zu zeigen.«
»Ich kenne sie schon, es hat sich nicht gelohnt.«
»Was unternehmen wir statt dessen. Eine Freifahrt?«
»Verbraucht.«
Ein Pfiff, dann Laufen irgendwo in der Nacht, – und eine Frau, die langsam dahinten vom Erdboden aufstand, glitt bläulich durch einen Lichtkreis, den Laufenden nach. Die Gräfin drängte rückwärts, da traf sie auf den ausgestreckten Arm des Mannes. »Komm' mit, mein Kind«, sagte Terra und schlug seinen Mantel auch um sie.
Unter einer Lampe hielten sie. »Nicht«, sagte sie – und streckte sich dennoch an ihm hinan, wie er an ihr. Auf der Zeltwand neben ihnen wuchs schlank ihr vereinigter Schatten. Gespannt blickten sie einander in die durch Lampenschein entblößten Gesichter. Er löste den Arm von ihrer Hüfte und faßte ihre hellen, schmalen Wangen in seine beiden Hände. Unter dem schwermütigen Feuer seines Blickes schmolzen ihre jungen, festen Züge, die geistreichen Strahlen in ihren Augen erloschen und auseinander glitten die Lippen. Er neigte sich tiefer auf diese schimmernden und noch zusammengehaltenen Zähnchen – neigte sich so langsam, daß er endlich fast anhielt. In diesem irrsüßen und verklärten Gesicht berührte ihn grauenvoll die tiefe Ähnlichkeit mit seiner Schwester. Noch gestern, ihr verstörtes Warten hinter dem Haustor ... Dann senkte er sich umso stärker, umso schwärmerischer auf diesen Mund.
Ein Keuchen, – das nicht seines, nicht ihres war. Es kam näher, ward Schnauben, und schon rollte ein wilder Körper ihnen vor die Füße. Eine Frau dann – sie sah sie nicht, sie breitete schützend die Arme vor den Zusammengebrochenen. Und jetzt der Verfolger, ein halbnacktes Ungeheuer, daherstampfend und eine dicke Eisenstange schwingend. Das Mädchen duckte sich, da stürzte das blinde Ungeheuer, die Stange flog klirrend dahin.
Die Gräfin hatte geschrieen, das Mädchen sah auf, es streckte die Hände vor, als bäte es: nicht dies! Nun wankte es her. Es mußte von Angesicht zu Angesicht sehen, was viel schrecklicher war, als daß Männer einander töteten. Erstarrtes Entsetzen; reglos auch jene Beiden samt ihren vereinigten Schatten. Da schien das Mädchen aufzuflattern, drehte sich um sich selbst und lief, in die Flucht geschlagen.
Die beiden Herkulesse krochen am Erdboden auf einander zu. Unerwartet schnellten sie auf und standen, die Fäuste in Bereitschaft, vor einander. »Das gibt ein Schauspiel!« sagte die Gräfin, leise jubelnd, sprang davon und war im Turm. Terra folgte, verlor sie in den Windungen, fand sie auch auf der Plattform nicht, – aber