Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf - Heinrich Mann страница 20
Terra zeigte die Zähne. »Die denkt an mich, wie ich an sie, dagegen wächst kein Kraut. Denn hier ist Blut geflossen.«
Der Vertraute hörte zu küssen auf, er sah entsetzt darein.
»Der Tropfen am Hals des Mädchens, das wir Beide auf dem Gewissen haben. Euer Exzellenz, wiegt schwer. Schwerer als Ihr geistreicher Blick, Ihr unfaßbarer Hochmut und als sogar Ihr nicht vorhandenes Herz.«
Von dem Vertrauten sahen nur noch die Augen über die Tischplatte. Dann versank er ganz, kroch drunter durch und war aus der Tür.
Terra stellte sich kampfbereit auf, in Erwartung einer Antwort. Kein Vertrauter mehr? Da ging auch er.
Eine Stunde später fuhr der Nachtzug nach Berlin, und Terra saß darin. Kurschmied, sein Freund bis in den Tod, erwartete ihn dort am Morgen, bereit, ihn unverzüglich in die »Generalagentur für das gesamte Leben« einzuführen. Es lag in der Friedrichstraße, gegenüber dem »Cafe National«. Am Haus stand: »Generalagentur für das gesamte Leben, von Praß macht alles.« – »Und dies ist die lautere Wahrheit«, erklärte Kurschmied, indes sie hinaufgingen. »Das Leben oder was von Praß so nennt, besteht aus Gelderwerb und Vergnügen. Infolgedessen unterhält er vor allem einen Ratgeber für Börsengeschäfte oder dieser ihn. Die Papiere, für die er in seinem Blatt sich einsetzt, erleben meistens eine Blüte und immer einen Zusammenbruch, an beiden aber war er interessiert. Ist es von da ein weiter Schritt bis zur Vermittlung reicher Liaisons?«
»Abteilung Vergnügen«, bemerkte Terra.
»Abteilung B stellt unter anderem Verbindungen mit dem Hof her, wenn nicht schon Abteilung A es täte.«
»Und ich?«
»Einen Augenblick. Wir versenden Ausstellungen, leiten Gastspiele, machen berühmte Namen. Auch hier, wie auf dem anderen Börsenmarkt, arbeiten wir mit den Mitteln des kleinen Mannes, es sind die größten. Die gesamte Künstlerschaft beteiligen wir.«
»Wir?«
»Ich bin der Reklamechef«, sagte Kurschmied bescheiden. »Wollen Sie es statt meiner werden?«
»Ich bin kein Enthusiast wie Sie, und darum kaum berufen.«
»Von Praß fragt nie nach Referenzen. Dagegen verlangt er, daß Sie sich ihm durch eine sofortige Ausnahmeleistung für die ersten fünf Jahre bezahlt machen.«
»Er zahlt?«
»Höchstens genug, daß Sie ihm nicht fortlaufen.«
»Es scheint, auch das nicht; denn Sie wollen fort.«
Kurschmied zögerte. »Mich treiben persönliche Gründe,« gestand er und ward rot. »Meine Schwester Lea«, sagte Terra, »soll in Frankfurt mit einer Rolle stark aufgefallen sein, in dem Stück eines gewissen Hummel, glaube ich.«
»Sie werden ihn kennen lernen«, rief Kurschmied freudig bewegt. »Ich bleibe noch mehrere Tage, bevor ich nach Frankfurt fahre.«
Schon standen sie in dem weit offenen Vorzimmer der Generalagentur für das gesamte Leben. Es hatte zwei kreisrunde Causeusen aus rotem Plüsch, ihre gefällig drapierte Mitte trug staubgraue Papiersträuße. Zu der frühen Stunde saßen darauf nur erst ein älterer Mann ohne Bart und zwei junge seiner Art, sie murrten. Gerade trat auch eine Dame ein, schön und elegant, nun vereinigten sich alle mit ihr, um laut zu schelten. »Der Raum stellt die festliche Seite des Lebens dar«, erklärte Kurschmied und lenkte die Aufmerksamkeit seines Begleiters auf die goldenen Kranzschleifen an den Wänden, alle die schwungvoll gerahmten Bilder von Höhenmenschen beiderlei Geschlechts in Stellungen, die volles Vertrauen zum Leben ausdrückten. Im besten Licht stand eine kleine Plakatsäule, verheißend bot sie vielstellige Zahlen riesenhaften Formates dar, und die blühenden Gestalten der tanzend abgebildeten Varietenummern verhießen eher noch mehr.
Links eine verhängte Glastür, aber drüben sah man in das nächste Gemach. Hinter einer hölzernen Schranke, die einen Kassenschrank schützte, bewegte jemand sich sprungweise hin und her, wie ein Tier des Waldes. »Herr Seifert?« fragte Kurschmied dort hinein. »Kommt der Herr Direktor?« – »Kommt nur, wenn Sie es nicht ahnen«, erscholl es zurück. Seifert fuhr sich mit der Hand wie der Blitz zwischen die Haarsträhnen, setzte über ein Papierbündel, blätterte auf dem Tisch, flink, flink wie ein Tier dürres Laub durchwühlt, in vielen kleinen Zetteln und war schon wieder bei der Kasse. Daneben stand aus der Wand die Öffnung eines Schallrohres. Kurschmied näherte sich ihm vorsichtig, – da riß er den Hut vom Kopf, eine unförmliche Stimme drang aus dem Loch. »Sehr wohl, Herr Direktor, sofort bitte«, sagte Kurschmied mit Verbeugung. Dann zog er, leise und eilig, Terra mit fort – in das Innere. Die Bewohner des Vorzimmers sahen verstummt hinterdrein.
Seifert öffnete ihnen selbst die Schranke, er wollte dem Gast sogar mit einem Schoß seines Gehrockes seinen Stuhl abwischen; aus seinem gehetzten, schwitzenden Gesicht sprangen ohne Pause Nachrichten über den Herrn Direktor und Höflichkeitsfloskeln; aber Kurschmied strebte weiter. Hinter der Kasse trafen sie in einem großen kahlen Gelaß zwei lebende Wesen an. Beim Fenster stand von seinem Pult ein blonder, stulpnäsiger Mann in grüner Jacke auf. »Das Volk steht auf,« sagte er dabei. In der Mitte grüßte vor dem geräumigen Küchentisch, woran er Adressen schrieb, ein bescheidener Jude. »Elias,« fragte Kurschmied ihn, »ist jemand drinnen?« Aber Elias bekam nur ein noch müderes Gesicht, indes er die Schultern hinaufzog. Statt seiner gab »das Volk« frischweg die Auskunft. »Wenn nicht jemand aus der Versenkung gestiegen ist.« – »Los«, sagte Kurschmied.
Nun ging es in eine Dunkelkammer, dort regte sich bei ewigem Gaslicht, hinter einem Brettergestell, das einen Kleistertopf und eine »Weiße« trug, ein alter Mann mit Brille und blauer Schürze. »Vater Lange, Alma wird schon wieder gut tun«, warf Kurschmied im Vorübereilen hin. Der Vater rief ihm, tiefdurchdrungen, nach: »Das sagen Sie nur immerzu, Herr, dann wird es am Ende!«
Die Tür, vor der sie anlangten, ließ sich widerstandslos öffnen. Dahinter zwei Schritte leeren Raumes, Terra dachte vorzudringen; da stieß er im Dunkeln an eine gepolsterte Matratze. »Zum Teufel, öffnen Sie!« – »Sie werden auf dieser Seite keinen Griff finden«, erwiderte Kurschmied. Terra knurrte: »Der Mann verspricht zu viel. Nach allem Bisherigen müßte er eine eiserne Maske tragen.« – »Sie können laut sprechen«, sagte Kurschmied. »Abgesehen von der Polstertür, ist er auch taub.« Da drehte die Matratze sich geräuschlos.
Gegenüber ein dreigeteiltes Büchergestell, halb aufgeklappt wie ein Wandschirm. Links noch eine Polstertür, rechts eine Treppe nach unten: die Versenkung, sah Terra, aus der sie steigen. Kurschmied schloß die Tür. Abgewandt sagte er: »Jetzt reden Sie nicht, er sieht Sie.« Dann Husten aus tiefer Brust, und hinter den Bücherwänden wuchs der Direktor herauf. Er näherte sich lautlos auf dem Teppich, grau gekleidet, den breiten Kopf spähend vorgeschoben in den knochigen Schultern, und der Blick hing an den Händen des Eintretenden: was er brächte. Einmal hielt er an und sah auf, da erschrak Terra vor der Glut seiner schwarzen Augen: sie sagten Irrsinn vorher, – und glichen sie nicht seinen eigenen? Der Direktor aber verzog den rasierten Mund und streckte die Hand hin, eine starke, langfingerige Hand. »Nun also«, sagte er, als sei die Ankunft Terras vom Schicksal längst beschlossen gewesen. Sein Händedruck war klammernd aber kalt, sein Gesicht braun mit gelben Furchen, wie rissiges Leder, ein für alle Male gegerbt auf wer weiß welchen Fahrten. Er setzte sich in einen tiefen Sessel, streckte die hageren Beine unglaublich weit aus und zeigte, eingesunken und auf sein Knochengerüst zurückgeführt, das breite Elfenbein