Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf. Heinrich Mann
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»Meine Wenigkeit ist unbegrenzt auf dem Laufenden«, versicherte er, die Hand am Herzen.
»Das will ich, im Interesse des Herrn von Praß, nicht hoffen«, äußerte von Tolleben unliebenswürdig. Viehisches Subjekt, fühlte Terra, in seinem siedenden Blut. Er neigte sich noch etwas tiefer, zuerst vor dem Herrn, dann vor der Dame. »Fürstin,« redete er, schwungvoll ergeben, die Frau von drüben an, »Eurer Durchlaucht habe ich die Ehre zu melden, daß ich den heutigen geschlagenen Tag lang meine gesamte Kraft bis zum völligen Versagen für das allerhöchste Opernwerk einzusetzen den Vorzug hatte«, – schloß er wankend.
»Wie? Was ist los?« fragte die Fistelstimme Bismarcks.
»Den Vorzug hatte.«
»Allerhöchstes Opernwerk geht Sie nichts an, verstanden?« »Ihr Vertrauen, Herr Baron, verpflichtet mich«, sagte Terra und überreichte dem Herrn die Zeitung mit der literarisch-musikalischen Würdigung. »Sie sind mir unangenehm«, sagte der Bismarck mit bekannter Offenherzigkeit. Die Feinde tauschten einen Blick, in dem sie einander verstanden.
Indes von Tolleben das Lampenlicht aufsuchte, um zu lesen, trat die Frau von drüben diskret zu Terra.
»Staatsgeheimnis, mein Freund«, flüsterte sie; und mit lautlos bewegten Lippen: »Die allerhöchste Oper ist hier im Hause erfunden, sie existiert nur für den, –« mit halbem Lächeln nach dem Leser hin: »der's glaubt.« Terra verrenkte, stumm und mit großer Gelenkigkeit, den Mund und das ganze Gesicht. Hierüber lachte die Frau von drüben ihr klares, von Gefühlen ungefärbtes Lachen. Der Diplomat spähte argwöhnisch zu ihnen her, schon kam er.
»Gewandte Feder«, sagte er beinahe artig zu Terra. »Das musikalische Thema des Gottesgnadentums würde ich gern in der Partitur nachsehn, haben Sie sie zufällig da?«
»Ich muß ergebens! bedauern, sie liegt im Kabinett des Herrn von Praß.« Worauf der Herr von Terra verlangte, er solle sie holen, und Terra ihn höflichst aufforderte, es selbst zu versuchen. Der Diplomat bemühte sich wirklich, die Polstertür zu öffnen oder wenigstens hindurch zu schreien. Seine Stimme reichte nicht, die allerhöchste Oper blieb unzugänglich. Er ließ es Terra fühlen. »Herr! Sie sind ein unverschämter Intrigant«, sagte er ohne Maske. Terra erwiderte kühl und wohlerzogen:
»Ich besorge die Geschäfte meines Hauses. Hätte ich Ihnen die Partitur vorgelegt, Sie, Herr Baron, würden vielleicht auf den genialen Gedanken verfallen sein, sie mitzunehmen.«
»Frecher Bursche, Sie laufen mir schon noch in den Weg.«
»Zum Beispiel bei mir«, sagte die Fürstin vermittelnd. Sie wollte den Baron nicht begleiten, sie werde mit diesem Reklamechef ein Wörtchen reden. Noch in der Tür schickte von Tolleben über seine Augensäcke einen scharfen Blick her.
Terra hatte sich hinter den Schreibtisch zurückgezogen, er warf ein großes Papiermesser darauf umher. Die Frau von drüben setzte sich bequem vor den Tisch. »Da sind wir«, sagte sie und lächelte ruhig zu ihm hinauf. Er antwortete nicht, da entkleidete sie ihre Hand und ließ sie über den Tisch auf ihn zukommen. Er stieß hervor: »Ich konnte es auf meinen Eid nehmen damals, daß Sie am Morgen nicht mehr da sein würden. Ich schlief nicht, Sie entkamen trotzdem.«
»Noch böse?« fragte sie. Er lachte ingrimmig. »Ich wünsche einem ausgemachten Elternmörder die Lebensstimmung nicht, mit der ich Opferlamm diese ganzen Jahre Ihnen zu Ehren umherlaufen durfte.«
»Ich erhalte mir gern meine alten Freunde, – wenn sie irgend wollen.«
»Hochstaplerin«, – und er verzerrte das Gesicht.
»Was ihr euch darunter denkt, das gibt es gar nicht«, – sie krümmte nur die Lippen. »Das bringt das Leben mit anderem mit, als Beruf hat man es nicht.«
Dabei stand sie auf. Sie war groß, sehr weiß mit dunklen Brauen, hatte den schaukelnden Gang wie je, und die Stimme, die er jetzt leer nannte. Aber sein Herz krampfte sich, wenn er sie hörte. »Sie machen wahrhaftig den allerberuhigendsten Eindruck«, sagte er höhnisch. »Als hätten Sie seit meiner Zeit kein Wässerchen getrübt.«
»Sie können unmöglich noch glauben, unsereins gehe umher und werde Gymnasiasten gefährlich.«
»Allerdings nicht, meine Gnädigste. Ihr Haar ist gelber geworden. Sie führen eine andere Nummer vor, Fürstin Lili auf dem ungesattelten Drahtseil. Die Dame, die ich kannte, existiert nicht mehr; daher geben Sie sich um Gotteswillen keiner Sorge wegen meiner Verschwiegenheit hin!«
»Was geht mich der Bismarck an, er weiß vor Schulden nicht ein noch aus.«
»Also geht Sie der Direktor an.« Da fiel sie ein. »Der weiß alles, was er braucht. Meinen Sie, er würde mich zum Varieté zurückbringen und zur großen Attraktion machen, wenn ich nicht wäre, was ich bin? Der hängt keinen Sentiments nach, ihn muß ich nicht beschwindeln.« Über die Schulter leichthin: »Sonst würde ich ihn ganz gewiß nicht heiraten.«
Terra stand reglos. Plötzlich ging er, die Hand ausstreckend, auf sie zu. »Das hätte Ihr erstes Wort sein sollen.«
»Wir verstehen uns noch rechtzeitig.«
»Was wollen wir hier«, sagte er schneidend. »Erfolg. Durchlaucht werden Ihre guten Gründe haben, sich dieser Generalagentur für das gesamte Leben mit Haut und Haaren zu verschreiben.«
»Sie trägt uns beide«, sagte sie, und beide schoben sie die Brauen hinauf. Terra stellte ihr den Sessel zurecht, seinen Stuhl zog er vor sie hin. Die Hände auf den Knien, sagte er halblaut:
»Zuerst kam der Mann mir wie ein schlechter Zauberer vor, dann wie ein besserer. Es endete aber, Gott weiß warum, mit einer Art von Begeisterung. Wieviel ist er wirklich wert?«
»Er hat unabsehbare Mittel«, sagte sie, auch halblaut. »Erstens, er will mich heiraten. Dazu versteht sich entweder ein grüner Junge –« »Danke«, sagte Terra. »Oder,« schloß sie, »ein Mann an den nichts mehr hinanreicht.«
»Zweitens,« stellte Terra fest, »beschwingt er dermaßen die Seelen, die ihm zu nahe kommen, daß es ihm unmöglich jemals an größeren Geldmitteln fehlen kann. Für seine nicht vorhandene Oper habe ich mir die Nägel zerrissen, als hätte ich einen Fahrweg zur Seligkeit eigenhändig anlegen wollen.« – »Ich aber,« sie schlug ihn auf das Knie, »bringe es fertig, daß der Bismarck von der Wirklichkeit der allerhöchsten Oper überzeugter ist, als von der ihres behaupteten Urhebers.« – »Daraufhin kann die Generalagentur für das gesamte Leben beruhigt das gesamte Leben als ihr ausschließliches Monopol ansehen, sollte selbst die Oper niemals geschrieben werden. Anzunehmen ist aber«, setzte er hinzu, »daß unsere Reklame sie aus ihrem Urheber herauslockt. Niemand läßt sich gern Genie nachsagen, ohne prompt damit aufzuwarten.«
Sie lachten tief beglückt einander an. »So froh zumut war es uns beileibe nicht in unserer einzigen Liebesnacht«, bemerkte Terra, und sie wandte nichts ein. Er brach sein Lachen ab. »Ein Schatten fällt auf diese unvergleichliche Welt: Mohrchen.« – »Ja,« sagte sie, »auch mir macht er Sorge.« Terra raunte: »Was hat von Praß mit Mohrchen?«
»Nicht einmal ich bekomme es aus ihm heraus«, raunte sie. »Ich weiß nur, angewiesen zu sein auf den Menschen, das zehrt an ihm mehr, als das Geld, das es kostet.«
Terra: »Da komme ich weiter.«