Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf - Heinrich Mann страница 25
Mohrchen blickte witziger darein als je. Im Vorübergehen deutete er nach der Seite der Fürstin eine Verbeugung an, drohte Terra leicht mit dem Finger und steckte schon den Schnepper in die Polstertür. »Herr Mohrchen!« rief wohllautend die Fürstin. »Solchen Tönen widersteht man nicht«, sagte er tatsächlich und kehrte zurück. Sie wies ihm den von Terra verlassenen Stuhl an. »Der Direktor hat Geschäfte«, äußerte sie; und den Kopf im Nacken, ihr weißes Gesicht hinbreitend wie ein Paradies: »Sie dürfen mir alles sagen.«
Mohrchen wieherte auf, nicht anders, als lachte er sie aus. »Hier kommen komische Sachen vor«, brachte er heraus. »Sie glauben es nicht, die Kasse ist leer!«
Sie rümpfte die Nase. »Bester, wem wollen Sie das weismachen.« Aber er zeigte die Anweisung des Direktors vor und behauptete, die siebzigtausend Mark würden nicht ausbezahlt. Sie sagte, ohne sich zu besinnen: »Auch ich will mein Vermögen nicht verlieren. Es steckt bis auf den letzten Pfennig in der Generalagentur. Sie sollen mein Vertrauen sehen. Hier –« Sie zog die Perlen, die ihr am Hals schimmerten, unter ihrem Pelzmantel hervor, die Schnur ward immer länger. Sie warf sie in die schon hingehaltenen Hände Mohrchens. »Leisten Sie damit Zahlung!«
Mohrchen stand sofort auf, er war ernst geworden. Einen Diener, und er wollte fort. Sie ließ ihn bis zur Tür kommen. »Wieviel Uhr?« sagte sie hell in die Stille, und sah auf ihrem Armband nach. »Sechs ein Viertel. Sind Sie bis sieben nicht zurück, muß ich wohl annehmen, daß ich Sie in meinem ganzen Leben nicht wiedersehen werde.« – »Es würde Sie schmerzen«, sagte Mohrchen witzig. »Aber was kann ich tun«, schloß sie. »Meinen künftigen Gatten darf ich nicht in Ungelegenheiten bringen.« Glucksend verschwand Mohrchen.
»Ich habe es ihm nahe genug gelegt, endlich durchzugehen«, sagte sie zu Terra. »Das Übrige ist an Ihnen.«
Er gab zu bedenken: »Wenn aber der Direktor es nicht aushalten sollte?« – »Kein Gedanke daran«, sagte sie, und auch Terra schwankte schon nicht mehr. Sie hatte ihn verlassen, er durchmaß das Zimmer mit seinem entschlossensten Schritt, stieß Rauch aus und sah das triumphale Ende des Tages nahen, die Erlösung des Direktors der Generalagentur für das gesamte Leben von seinem bösen Dämon, Terra Mitdirektor, die Macht erobert an einem Tage ... Es ging auf sieben, er betrat das Vorzimmer, das summte und scharrte. Seifert sprang wie aufgezogen durch seinen Käfig. Beim Anblick Terras wisperte er: »Sie sind nicht zu halten, die siebzigtausend werden bald ausgezahlt sein, sie reißen sie mir aus der Hand.« – »Geduld«, mahnte Terra, voll Zuversicht. In der Menge stieß er auf Kurschmied, der die allgemeine Unruhe teilte. Gerüchte gingen um, und sie kamen aus dem Hause selbst. »Sind etwa Sie es, der die Dinge hier aufführt?« fragte er Terra, aber Terra begriff nicht. Ein noch junger, sehr bärtiger Mann, den Kurschmied bei sich hatte, zeigte gleichfalls tiefe Bewegung. »Herr Hummel und seine Freunde haben das Kapital der ›Weltwende‹ hier angelegt«, erklärte Kurschmied. »Die Weltwende mag kommen! Hier ist man bereit«, sagte Terra laut und sah sich um. Da bemerkte er Elias.
Elias stand in der Tür des Kassenzimmers, er folgte mit bescheiden zweifelnden Blicken den Schritten Terras. Sobald er sich bemerkt sah, kam er ihm entgegen. »Nun?« forschte Terra. »Wo ist er?«
»Ist er durchgegangen?« fragte Elias seinerseits. »Das hätte ich nicht von ihm gedacht«, – und er sah ehrlich erstaunt aus.
»Sie sind also nicht auf seiner Spur geblieben«, sagte Terra drohend. Elias aber gelassen:
»Hab' ich es nötig, Herr Polizeirat? Ich weiß auch so, was Mohrchen treibt. Er spielt.«
Es dauerte eine Weile, bis Terra dies erfaßt hatte. Mohrchen spielte, im Auftrag des Direktors, mit den Geldern der Generalagentur. Vom Gewinn hatte er Prozente, Verluste berührten ihn nicht. So einfach erklärte sich das Geheimnis. »Ich bin ihm daraufgekommen«, sagte Elias. »Da hat er mir manchmal zehn Mark geschenkt. Auch gut, ich hab' den Mund gehalten.« – »Die Bank, wo Ihre Ersparnisse liegen, soll auffliegen«, schnarrte Terra. Elias machte einen Sprung.
Seifert, der nicht Hände genug hatte, winkte verzweifelt. Terra trat statt seiner an das Schallrohr. Die Stimme des Direktors erscholl darin: ob denn Mohrchen noch immer nicht zurück sei. »Herr Mohrchen war nicht da«, sagte Terra mit der nachgeahmten Stimme des Kassierers. »Und die Kasse ist leer.« Der Direktor, klar und sicher: »Dann kommt er sogleich. Gerade heute wird ein Riesengeschäft perfekt.« Terra, aufgeregt wie Seifert: »Herr Direktor, Herr Mohrchen ist da. Einen Augenblick.«
Dann schickte er ein fettes Kichern voran und sagte mit der nachgeahmten Stimme Mohrchens: »Herr Direktor, kein Glück.« – »Alles fort?« – »Fassen Sie sich, Herr Direktor. Für mich habe ich gewonnen.« – »Schurke, Du hast mich ausgebeutet!« – »Das mir?« sagte die gekränkte Stimme Mohrchens. »Aber so sind Sie, Herr Direktor. Siebzigtausend verschmerzen Sie, aber meine fünfhundert sind Ihr Ende. Ich ziehe mich in das Privatleben zurück, Ihr Diener, Herr Direktor.«
Und Terra antwortete nicht mehr, so sehr der Direktor nach seinem Mohrchen schrie. »Was wünschen der Herr Direktor?« fragte er endlich mit seiner eigenen Stimme. »Ich kenne Sie«, rief der Direktor sogleich. »Sie haben sich bei mir eingeschlichen, um zu spionieren. Auch ich habe Sie beobachten lassen. Wo ist Mohrchen?« Er habe gute Gründe, sich nicht mehr blicken zu lassen, meinte Terra. Er setzte hinzu, es sei nicht schade um Mohrchen. Jetzt werde die Generalagentur für das gesamte Leben auf eine gesunde Grundlage gestellt werden können. Der Direktor aber blieb taub. »Sie wollen mir Mohrchen nicht wiedergeben?« schrie er nur immer. »Ohne Mohrchen geht es nicht. Sie wollen mir Mohrchen –« Die Stimme erstarb. Dann aber: ein Krachen. Terra fuhr zurück, er sah sich um.
Es stand bedenklich. Die Schranke, die den Kassenschrank schützte, hing gebrochen zu Boden, und in dem anwachsenden Lärm überwog der Ruf »Polizei!« Terra, umringt und um Auskünfte bestürmt, wollte alles auf die Untreue eines Angestellten beschränken, das Unternehmen laufe nicht die entfernteste Gefahr. Dabei sah er sich mit klopfendem Herzen nach einem Ausweg um. Wie stand es mit dem Direktor? .. »Das Volk« befreite ihn aus seiner Lage, denn es schrie dermaßen, daß es Alle an sich zog. »Die verfluchte Judenbande!« schrie es. »Das Volk hat wieder mal das Nachsehen!« Was alle ihm bestätigten, Sparer wie Spekulanten, Schauspieler, Zuschauer und herverschlagene Träumer. Der Dichter Hummel sah, schwer erschüttert, eine Weltwende in Frage gestellt durch das Versagen der Generalagentur für das gesamte Leben. Einzig Elias bildete eine Insel der Sorglosigkeit. »Was will der Bocher«, äußerte er und wies mit dem Daumen hinter sich auf das strampelnde »Volk«. »Muß er alles glauben?«
Terra drang heftig in das Zimmer vor. Er selbst hatte an den Direktor geglaubt, und gerade seine Zuversicht, die auf jede Vorsichtsmaßregel verzichtet hatte, zeitigte jetzt die Katastrophe! .. Die Dunkelkammer füllten wildbewegte Eindringlinge, indes dort hinten Vater Lange unter dumpfem Schmerzgeheul über die verlorenen, so sauer verdienten Groschen seiner Tochter Alma, eine ›Axt‹ schwang. Der Rahmen der Polstertür splitterte, endlich drehte sie sich, der Haufe quoll ein. Aber er fand das gesprengte Geheimnis anders als erwartet, das Zimmer mit seiner Bücheratrappe, seiner Versenkung und den leeren Wänden statt aller Stahlkassen und gehäuften Raubes, brachte Viele zum Lachen. Nach einem Blick hinter die falsche Bücherwand freilich lachten sie nicht mehr. Man sammelte sich schweigend, tauschte halblaut höchstens nur noch einige knappe Feststellungen aus und wich geschlossen zurück.
Terra zog die Tür an und sicherte sie mit den schwersten der Möbel. Dann erst trat er hinter die Wand. Der Direktor saß in seinem Schreibsessel, hergewendet über die Seitenlehne, die ihn aufrecht erhielt. Die rechte Hand hing mit der Waffe herab, es war, als wollte sie den Revolver dezenter Weise unter den Teppich schieben.