Mord in ... Appenzell. Peter Baumgartner
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Der Kriminaltechniker sicherte in der Zwischenzeit den Fundort und er schaute sich nach auswertbaren Spuren um; er fand aber keine. Das Einzige, was er fand, war eine leere Schachtel Zigaretten mit irgendeinem weissen Pulver drin. Diese wollte der Forensiker – wie man die Kriminaltechniker heute nennt – asservieren.
Die Todesursache war unklar.
Aufgrund dieser Ausgangslage entschied der Kriminalbeamte den zuständigen Untersuchungsbeamten der Staatsanwaltschaft zu informieren, um diesen zu ersuchen, erstens seinen Chef zu orientieren und zweitens die Erlaubnis zu erhalten, die Rechtsmedizin aufzubieten. Die Gerichtsmediziner des Kantons St. Gallen unterstützen seit jeher die Kollegen in Appenzell-Innerrhoden, wenn spezifisches Fachwissen gefragt war. So eben auch hier.
Wiederum gingen Stunden ins Land und die Mär verbreitete sich im ganzen Dorf. Jeder wusste etwas, aber keiner etwas richtig und so verbreite sich die Geschichte wie im Lauffeuer: Hast du gehört? Der Pater Rektor ist ums Leben gekommen.
Nein. … Doch. Also, ich habe gehört, dass eine Schwester ums Leben gekommen sei, aber auf ganz natürliche Art und Weise. Und warum dann die Polizei? Keine Ahnung. Glaub mir, da steckt ein Verbrechen dahinter, wie wir es in Appenzell noch nie erlebt haben. Ich habe Angst, dass Gleiches mir auch passieren könnte. … Und so weiter.
So gegen Mittag traf der Rechtsmediziner aus St. Gallen ein. Er war in Begleitung einer jungen Assistentin, die von ihrem Aussehen her die Blicke der Polizisten auf sich zog. Die junge Dame war nicht nur ausserordentlich hübsch, sondern auch gut gekleidet, was bei den Polizisten Fragen aufwarf, wie sich so «eine» mit Leichen befassen konnte. … Und schon war ihr Interesse an ihr ein wenig gedämpft.
Nichtsdestotrotz hatte die junge Ärztin etwas auf der Platte. Sie betrachtete den Leichnam und stellte schon bald einmal fest, dass die Todesursache mit grosser Wahrscheinlichkeit Genickbruch sei und zwar durch Sturz aus grosser Höhe. Was zum Sturz geführt habe, könne sie natürlich nicht sagen, zumindest nicht im Moment. Äussere Spuren an der Leiche erkenne sie so auf die Schnelle nicht, sie werde aber noch genauer hinschauen.
Den Todeszeitpunkt betreffend wollte sich die Ärztin nicht allzu stark festlegen, immerhin erwähnte sie den Zeitraum zwischen 0330 und 0500 Uhr. Auch hierzu könne sie später vielleicht mehr sagen.
Eine Fremdeinwirkung sei für sie zurzeit nicht erkennbar und trotzdem wolle sie, dass der Leichnam ins Institut für Rechtsmedizin nach St. Gallen überführt werde, damit sie sich die Leiche noch genauer anschauen könne. – Ihr Chef war damit einverstanden.
Der Kriminaltechniker war nach wie vor mit der Spurensicherung beschäftigt und er musste den Anwesenden mitteilen, dass er keinen Hinweis auf die Identität des Verstorbenen gefunden habe: Weder Ausweispapiere noch sonst irgendetwas, was auf seine Personalien oder seinen normalen Aufenthaltsort hinweisen würden. Er habe nichts gefunden, einfach nichts. – Somit habe er momentan auch nichts in der Hand, was den Ermittlungen dienlich sein könnte.
Egon Lehner, der ermittelnde Kriminalbeamte, runzelte die Stirn. Das gibt’s doch nicht, dachte er. Jeder Mensch trägt etwas auf sich, dass einem weiterhilft oder ihn sogar identifiziert. Dies waren auf jeden Fall bis anhin seine Erfahrungen – vielleicht musste er dazulernen.
Egon war ein gewiefter Fahnder, dem man so schnell nichts vormachen konnte. Er war so um die Mitte vierzig, eher von kleiner Statur, aber drahtig. Man sah ihm an, dass er gerne Sport betrieb und sich wahrscheinlich auch in den Bergen ganz gut zurechtfand. Für die Kantonspolizei in Appenzell arbeitete er bereits seit über 20 Jahren.
Nun sah sich Egon mit einer Leiche konfrontiert, die ihm im Moment nichts sagte. Normalerweise bekam er auf seine Fragen Antworten, aber in diesem Fall einfach nichts. Auch der Mitarbeiter von der Kriminaltechnik konnte ihm nicht weiterhelfen. Er könne weder Schuhspuren, noch Abriebspuren, noch andere Spuren ausmachen. Auf dem Kiesboden sei dies sowieso fast unmöglich, da der Untergrund naturgemäss in der Regel keine Spuren zurücklasse. Auch stelle er an der Mauer nichts fest, welches darauf hindeuten würde, dass sich das Opfer an ihr zu schaffen gemacht hätte. Er werde allerdings noch eine Leiter holen und auf die Mauer steigen, um auch dort Nachschau zu halten. Der Guardian habe ihm versichert, dass ihm Bruder Klaus dabei behilflich sein werde.
Egon betrachtete die Leiche und er liess sich hierfür Zeit. Er schaute sie von oben nach unten an und umkehrt. Auch umkreiste er sie, damit ihm wirklich nichts entging. – Genickbruch, verursacht durch Sturz aus grosser Höhe, so die vorläufige Befundaufnahme des Leichnams.
Aber der Leichnam kann ja nicht einfach vom Himmel gefallen sein, so der erste Gedanke von Egon. Und trotzdem: wer weiss, vielleicht doch. Es soll ja schon Fälle gegeben haben, wo Personen aus irgendwelchen Gründen aus einem Flugzeug gestürzt sind.
Gut, diese Variante schien ihm doch recht weit hergeholt; er wollte sie aber trotzdem noch nicht ganz ausser Acht lassen. Dann hätte vielleicht jemand etwas gehört. Er wollte sich danach erkundigen.
Vorderhand wollte er sich allerdings der Mauer widmen und diese selber inspizieren. Die Mauer umschloss den ganzen Garten und war durchwegs etwa gleich hoch. Er schätzte die Höhe auf rund 3 Meter. In der Breite war die Mauer äusserst massiv und mass sicherlich fast einen Meter. Der Zugang zum Garten war durch das Kloster selber oder durch ein Portal auf der Ostseite des Gartens möglich. Das Portal machte einen sehr stabilen Eindruck und war verschlossen. – Egon bat Bruder Klaus, das Tor für ihn zu öffnen.
Dieser eilte schnellen Schrittes ins Kloster und kam mit einem grossen, schweren Bartschlüssel zurück. Er setzte ihn an, musste allerdings feststellen, dass das Schloss ganz schön verrostet war. Er konnte den Schlüssel auf jeden Fall im Schloss nicht drehen.
Aber auch das war ein Zeichen für Egon, das ihm nicht ungelegen kam. Das Tor war offensichtlich schon lange nicht mehr benützt worden, womit sich die Zugangsmöglichkeiten zum Garten eingrenzen liessen. Übrig blieb also das Übersteigen der Mauer mit oder ohne Hilfsmittel, der Zugang via Kloster oder eben «der freie Fall» vom Himmel.
Egon bemerkte, dass er beobachtet wurde. Fast hinter jedem Fenster des Klosters äugte ein Pater oder Bruder hervor, und sie verfolgten sein Handeln und Tun ganz offensichtlich mit grossem Interesse. Die Schwestern bewohnten einen anderen Trakt des Hauses und der Garten stand eigentlich nur den Ordensbrüdern offen.
In der Zwischenzeit wurde die Leiche ins IRM – ins Institut für Rechtsmedizin – in St. Gallen überführt. Egon äusserte den Wunsch – nein, es war mehr ein Befehl an den Kriminaltechniker, ihm so schnell wie möglich Fotos des Verstorbenen zukommen zu lassen.
Er brauche etwelche Portraitaufnahmen des Verstorbenen, die er herumzeigen könne. Man solle ihm doch zumindest 20 Abzüge zukommen lassen und dies am besten noch vor dem Mittagessen.
Egon verliess den Garten und er wollte sich das Ganze von aussen anschauen. Er wies Bruder Klaus an, die Leiter noch stehen zu lassen. Er wolle selber einen Augenschein nehmen.
Von aussen sah die Mauer praktisch gleich aus wie von innen. Sie zu übersteigen war für ihn nicht unmöglich, würde aber doch einiges an Geschick und Kraft brauchen, um dies bewerkstelligen zu können. Selber hätte er sich dies früher zugetraut, heute kaum mehr.
Er suchte auf der Aussenseite der Mauer nach Abriebspuren, fand aber nichts Auffälliges, womit er das Unterfangen beendete.