Wenn wir 1918 ……. Walter Muller

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Wenn wir 1918 …… - Walter  Muller

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      Wir müssen ferner folgendes berücksichtigen: Der amerinische Arbeiter und Soldat ist nicht, wie man bisher geglaubt hat, immun gegen sozialistische Einflüsse. Amerikanische Soldaten haben in Archangelsk und Wladiwostok gemeutert, als sie gegen die Revolution kämpfen sollten. Wenn erst einmal die Revolution in Europa gesiegt hat und in Amerika eine gewisse Kerntruppe vorhanden ist, so sind die Aussichten für einen bewaffneten Aufstand bei uns lange nicht so ungünstig, wie allgemein angenommen wird, viel günstiger jedenfalls als für die von den Reformisten gepriesene „Machteroberung auf demokratischem Wege". Demokratisch ist dem amerikanischen Kapitalismus noch viel weniger beizukommen als dem europäischen. Dazu ist er zu stark, zu robust, zu selbstsicher. Dazu sind vor allem die beiden Parteien zu stark und finanzkräftig, die im entscheidenden Augenblick über das ganze amerikanische Kapital und über die ganze Presse verfügen. Selbst wenn der kapitalistische Terror, wenn die organisierten Überfälle auf Arbeiterhäuser und Arbeitereinrichtungen und auf unsere Zeitungen und Vereinshäuser aufhören sollten, selbst wenn der Ku Kux Klan wirklich aufgelöst werden sollte, selbst wenn die Lynchjustiz und die bürgerliche Klassenjustiz ihre Schreckensherrschaft einstellen sollten, selbst wenn alle diese Voraussetzungen, an die im Ernst natürlich gar nicht zu denken ist, einmal gegeben wären, selbst dann würden wir nicht imstande sein, dem mächtigen Apparat der Demokraten und Republikaner etwas auch nur annähernd Gleichwertiges entgegenzusetzen.

      Die Arbeiteraristokratie ist bei uns reformistisch und bürgerlich verseucht. Die anderen Proletarierschichten sind entweder vorläufig, d. h. in normalen Zeiten, noch unorganisierbar (die Bewohner der Slums), oder sie sind von dem typisch amerikanischen Glauben an die große Chance besessen, der sich noch aus der Zeit des Frühkapitalismus, des Pioniertums in Amerika, erhalten hat und durch den Krieg mit seinen vielen Verdienstmöglichkeiten, mit seiner rasend aufgeblähten und vollbeschäftigten Industrie, mit seinen hohen Löhnen wieder neue Nahrung erhalten hat. Der amerikanische Arbeiter hat bisher alle Vorzüge eines jungen, kräftig sich entwickelnden, seine Konkurrenten überflügelnden und sich auf günstigem Gebiet ausdehnenden Kapitalismus kennen gelernt. Wie aber wird es werden, wenn er jetzt einmal seine Schattenseiten richtig kennen lernt, wenn er für diesen Kapitalismus, der ihm dann auf einmal nicht mehr so liebenswert erscheinen wird, längere Zeit kämpfen, leiden und entbehren muss? Wie wird es werden, wenn sich erst einmal eine Kerntruppe der Revolution gebildet hat, wenn nicht nur Arbeiterversammlungen, sondern auch kapitalistische Klubs überfallen werden? Wie wird es werden, wenn sich den amerikanischen Parias, den Millionen Negern, Mexikanern usw. endlich die Bruderhand des weißen Proletariers entgegenstreckt? Deshalb sage ich euch, Genossen: Wenn der Präsident seine Ansicht durchsetzt und die amerikanischen Truppen aus Europa zurückzieht, dann kann ich euch für die nächsten zehn Jahre nicht viel versprechen. Wenn aber der Krieg gegen die europäische Revolution in größerem Ausmaß mit amerikanischen Truppen fortgesetzt wird und unter großen Verlusten monate- oder gar jahrelang dauert, dann, Genossen, kann ich euch versprechen, dass in Amerika Bundesgenossen erstehen, auf die ihr euch verlassen könnt."

      Wieder durchtobt stürmischer Beifall das Haus, das noch immer voll besetzt ist, obwohl bereits der Morgen naht. Rote Matrosen der deutschen und russischen Flotte und Delegierte der havarierten und in deutsche Häfen eingelaufenen Schiffe der englischen Flotte nehmen vor der Rednertribüne Platz.

      Ein Telegramm wird verlesen: „In Potsdam Offiziersaufstand ausgebrochen. Truppen treugeblieben. Post und Rathaus von den Aufständischen besetzt. Eisenbahn in unseren Händen. Sendet sofort Verstärkungen." (Inzwischen liquidiert! D. Red.) Die Sitzung des Generalrats wurde für 24 Stunden vertagt.

      Vorwärts - 30. November 1918

      Der Kampf um die Ostsee

      Vordringen der englischen Flotte im Nordostseekanal

      Brunsbüttelkoog wieder zurückerobert Eutentetruppenlandungen in Jütland und Nordseeland

      Ultimatum an Norwegen Erfolge der Revolution in Schweden

      Die Lage in Schleswig-Holstein

      Die englische Flotte kämpfte sich, allerdings mit großen Verlusten, durch den Minengürtel der Nordsee durch. Der Angriff auf Wilhelmshaven wurde abgeschlagen, obwohl wir außer den Küstenabwehrgeschützen nur noch über Kanonen, Torpedo- und Unterseeboote in der Nordsee verfügten. Cuxhaven ist gefallen. Landungstruppen in Stärke von ungefähr 50000 Mann marschierten auf dem linken Eibufer vorwärts bis vor Brunsbüttelkoog. Darauf wurde Brunsbüttelkoog vom Wasser her eingenommen. Starke Landungstruppen begannen sofort an beiden Seiten des Kanals vorzumarschieren. Die Engländer trafen zuerst nur auf Widerstand von Partisanengruppen, den sie leicht überwanden. Erst in der Linie Albersdorf—Hademarschen wurden sie aufgehalten. Den rechten Flügel bedrängten starke rote Truppen, die aus dem Lockstedter Lager, Hamburg, Neumünster und Lübeck kamen. Ein Teil der auf dem rechten Ufer marschierenden englischen Truppen wurde gefangen genommen oder lief über. Der größte Teil aber konnte sich auf das linke Ufer retten. Inzwischen war das englische Geschwader im Kanal herangekommen, das zehn Stunden durch die Beschädigung der Schleusen in Brunsbüttelkoog aufgehalten worden war. Jetzt änderte sich die Situation vollständig zugunsten der Engländer. Die dritte englische Landungsarmee hatte die ersten Angriffe der roten Hamburger Arbeiterwehr abgewehrt und den Vormarsch über Glückstadt—Elmshorn angetreten. Die Eisenbahnverbindung nach dem Norden war unterbrochen. Gleichzeitig landete die vierte englische Armee in Eiderstedt und fesselte die Kräfte der Rendsburger Garnison durch den Vormarsch auf dem rechten Eiderufer. Unter dem Schutz ihrer Schiffskanonen gelang es den Engländern, ungefähr 10 km beinahe kampflos vorzudringen. Gestern nahmen sie nach hartem Kampf Rendsburg ein. Dadurch erhielt die englische Kriegsflotte wieder Bewegungsfreiheit und konnte 10 km weit östlich von Rendsburg vorstoßen. Gegenwärtig wird um die starke und günstig gelegene Verteidigungsstellung am Flemhuder See heftig gekämpft. Aber auch wenn diese Stellung durchbrochen werden sollte, kann die englische Flotte nicht mehr vordringen. Zwei Kilometer westlich der Levensauer Hochbrücke ist der ganze Kanal zugeschüttet. Über 40000 Mann mit Tausenden von Fahrzeugen arbeiten fieberhaft Tag und Nacht daran, zwei je 30 m breite Erd- und Betonbarrieren durch den Kanal zu bauen. Selbst wenn Kiel eingenommen werden sollte, wird es wochenlang dauern, bis dieses Hindernis beseitigt ist.

      Die roten Verteidiger der Kieler Festung sind zuversichtlich.

      Die Landung einer großen englisch-amerikanischen Armee in Westjütland und das Vordringen der vierten englischamerikanischen Armee rechts der Eider hat nun aber doch eine starke Bedrohung unserer Stellung in Schleswig-Holstein hervorgerufen.

      Wir waren auf diesen Angriff zuerst überhaupt nicht vorbereitet und haben ihm dann zu wenig Bedeutung beigemessen. Wir haben nicht im entferntesten damit gerechnet, dass so gewaltige Truppenmassen in Schleswig-Holstein eingesetzt würden. Nach den ersten Berichten über die starken englischen Verluste im Minengürtel der Nordsee haben wir angenommen, dass die Gefahr vorüber sei. Nördlich des Kanals kämpft eine einzige, kaum friedensstarke rote Division gegen einen zwanzigfach überlegenen Gegner. Sie hat eine erstklassige Verteidigungsstellung in den holsteinischen Knicks (mehrere Meter breite baum- und buschbewachsene Erdwälle, von denen alle höhergelegenen Koppeln umrahmt sind) und verstärkt diese vorzügliche Deckung dauernd durch Erdarbeiten. Der Gegner versucht unter ungeheuren Opfern, bisher vergeblich, das vor dieser natürlichen Verteidigungsstellung liegende 3 km breite Sumpf- und Moor - und Wiesengebiet zu durchqueren. In den Sümpfen und Mooren vor Tetenhusen versackten die ersten Angriffe. Der weiter ostwärts immer wieder vorgetriebene Angriff brach unter dem Feuer unsrer Maschinengewehre in dem kilometerweiten gräbendurchzogenen und überschwemmten Wiesengürtel zusammen. Jetzt aber ist Rendsburg in der Hand der Gegenrevolution. Wird es unsern von Süden heranrückenden Truppen rechtzeitig gelingen, Rendsburg wieder einzunehmen? Alle im nördlichen Deutschland von der Westfront zurückflutenden Truppen mit Verstärkungen aus Berlin und Hannover werden nach dem Norden geworfen. Die ersten roten Regimenter aus Russland haben Neumünster erreicht. Hoffentlich kommen sie rechtzeitig!

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