Verborgen. Dieter Aurass
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›Und wenn du so gut wärst, wie du meinst, würdest du an deinem Schwachsinnsplan wenigstens zweifeln!‹
Die innere Stimme, die ihn in letzter Zeit mehr als nervte, musste ihn unbedingt wieder quälen. Seit etwa drei Monaten erklang sie immer wieder und meist zu Zeiten, in denen er gut auf sie hätte verzichten können. Eine Zeitlang hatte er den Verdacht gehabt, er würde verrückt. Dann hatte er Bücher über Schizophrenie, die Macht des Unterbewusstseins, Geisteskrankheiten im Allgemeinen, gespaltene Persönlichkeiten und Ähnliches gelesen. Aber dieser ganze Psychoquatsch war ihm zu hoch und hatte auch nicht geholfen, die Stimme loszuwerden. Völlig ignorieren konnte er sie allerdings nicht. Also hatte er angefangen, mit ihr zu diskutieren oder wenigstens versucht, sie in ihre Schranken zu weisen. Allerdings zweifelte er um so mehr an seinem bisschen Restverstand. Aber er wollte sich so kurz vor dem Ziel nicht von seinem Plan abbringen lassen.
»Ach halt’s Maul!«, knurrte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Für den Moment schwieg die Stimme.
Er verdrängte diese Gedanken und konzentrierte sich auf die eigentliche Aufgabe. In dem Villenviertel, unmittelbar am Rhein, war um 03:30 Uhr nachts kein Mensch mehr auf der Straße. Zu spät, um nochmal den Hund auszuführen, zu früh für Frühaufsteher und zudem wohnten in dieser Gegend nicht die jungen Leute, die kurz vor Morgengrauen erst nach Hause kamen.
Kalle Anders näherte sich der Verzweigungsstelle der Stromversorgung und holte sein Spezialwerkzeug hervor. Eigentlich war es lächerlich, wie einfach der Kasten zu öffnen war, aber die tatsächliche Schwierigkeit zeigte sich erst danach, als er das Gewirr hunderter von Kabeln und Anschlüssen vor sich sah. Es wäre kein Problem gewesen, die Stromversorgung des gesamten Viertels lahmzulegen, aber das hätte sofort den Energieversorger auf den Plan gerufen. Eine Störung solchen Ausmaßes musste selbstverständlich sofort behoben werden, dafür würden aufgebrachte Anwohner sehr schnell sorgen. Das war aber genau das, was er unter allen Umständen verhindern wollte. Sein Augenmerk lag ganz alleine auf einer Villa, deren Stromversorgung er unterbrechen wollte. Zu diesem Zweck nahm er ein Gerät aus seiner schwarzen Umhängetasche, an dem ein Drehregler und zwei Drähte mit Krokodilklemmen befestigt waren. Diese zwei Klemmen schloss er nacheinander an verschiedene Drähte an und drehte dann sehr vorsichtig an dem Regler. Dabei beobachtete er die Straßenbeleuchtung in der näheren Umgebung.
Geduld war keine seiner großen Tugenden und sehr schnell wurde er ungehalten und fluchte leise vor sich hin. Als nach vierzig Versuchen noch immer nichts passiert war, wurde er langsam sauer. Nach mehr als fünfzig Versuchen sah er erstmals das Flackern einer Laterne in etwa hundert Metern Entfernung.
Aha, langsam kommen wir der Sache näher. Der benachbarte Anschluss in dem Verteilerkasten ließ eine Laterne Flackern, die nur noch fünfundsiebzig Meter entfernt lag. Drei Anschlüsse später flackerten zwei Lampen direkt vor dem richtigen Grundstück. Beherzt kappte er die beiden Drähte in dem Verteilerkasten. Der nächste Test ließ zwei weitere Lampen vor dem Grundstück flackern und er kappte auch diese Leitungen. Eine Minute später war er sicher, dass das Gebiet der Villa nun vollständig ohne Strom sein musste - und ohne Strom funktionierte auch die beste Alarmanlage nicht mehr. Die Kosten für eine eigene Stromversorgung scheuten selbst Millionäre, zumindest in Ländern, in denen Stromausfälle nicht an der Tagesordnung waren.
Nun war er nicht mehr weit von dem größten Coup entfernt, den er jemals gelandet hatte. Er grinste zufrieden in sich hinein.
Diesmal schaffe ich es. Das wird das größte Ding, das ich je abgezogen habe.
Sorgfältig verschloss er den Verteilerkasten wieder, packte seine Gerätschaften in die Umhängetasche und schlenderte langsam und ohne Hast in Richtung der Villa Helmholtz, dem Ziel seiner Träume. Er pfiff ganz leise vor sich hin. Überrascht stellte er fest, dass er, ohne es geplant zu haben, die Melodie von »die Männer sind alle Verbrecher« pfiff. Seltsam, was einem das Unterbewusstsein manchmal für Streiche spielte. Er schüttelte den Kopf, konnte aber nicht aufhören zu grinsen.
Er hatte sich bereits vor der Ausführung seines Plans dafür entschieden, das Haus ganz frech durch die Vordertür zu betreten, zumal dieser Bereich nun in absoluter Dunkelheit lag. Die schwarzen Klamotten, ein grob gestrickter schwarzer Pullover, eine schwarze Lederhose, schwarze Turnschuhe und sehr dünne Lederhandschuhe, ließen ihn mit der Dunkelheit verschmelzen. Über die mittelbraunen halblangen Haare hatte er zur Komplettierung noch eine schwarze Pudelmütze gezogen.
Die Morgendämmerung war derzeit - Mitte Juli - nicht mehr weit entfernt und durch den wolkenverhangenen Himmel beleuchtete der aktuell abnehmende Halbmond die Wolken nur insoweit, dass keine wirklich absolute Dunkelheit vorherrschte. Die Beleuchtung der Stadt wiederum erhellte die Wolken von unten, so dass er sich ohne Taschenlampe bewegen konnte und keine Angst haben musste, nicht zu sehen, wohin er trat.
Das Schloss der Haustür stellte keine wirkliche Herausforderung dar. Er hatte das erforderliche Werkzeug und die Kenntnisse, die zum Öffnen fast jedes Schlosses notwendig waren. Als die gut geölte Tür aufschwang, ohne dass das Licht eines Bewegungsmelders anging oder ein nervtötender Alarm losplärrte, konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Er lachte halblaut auf und knurrte: »So du altes Arschloch, jetzt mach ich dich so arm wie eine Kirchenmaus!«
›Wer’s glaubt, wird selig, du einfältiger Depp!‹
Er ignorierte die Stimme, weil ihm im Moment nicht danach war zu argumentieren oder etwas abzustreiten.
Obwohl er sich sicher war, dass sich keiner der Bewohner im Haus befand, schlich er auf leisen Sohlen durch den Flur hinter der Eingangstür. Seine extrem starke Taschenlampe, bestehend aus zweiunddreißig in Stufen schaltbarer, stromsparender LEDs hatte er auf die allerniedrigste Stufe geschaltet, die nur ein mattes Glimmen erzeugte, was aber in absoluter Dunkelheit für eine Orientierung völlig ausreichend war.
Obwohl er gemeint hatte, auf alle Eventualitäten vorbereitet gewesen zu sein, schrak er zusammen, als er ein schabendes Geräusch hörte. Sofort schaltete er die Taschenlampe aus, verharrte auf der Stelle und lauschte angestrengt in die Dunkelheit.
Kapitel 2 - der Psychologe
Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass es so einfach sein würde, in das Haus einzudringen.
Dr. Benjamin Bennedikt hatte weder Erfahrungen mit Einbrüchen noch mit Alarmanlagen. Aber er war schon von Berufswegen ein sehr bedachtsamer Mensch, der sorgfältig nachdachte, bevor er etwas tat und sich in die voraussichtliche Verhaltensweise seiner Mitmenschen hineindenken konnte wie kaum ein Zweiter. Als psychologischer Psychotherapeut hatte er schon mehrere Bereiche des beruflichen Spektrums abgedeckt. Direkt nach dem Studium der Psychologie hatte sich sein Interesse auf das kriminelle Verhalten von Menschen konzentriert und er hatte mehrere Jahre für die Polizei als Profiler gearbeitet. Dabei war er allerdings mit einigen sehr unschönen und grausamen Dingen in Kontakt geraten, was ihn dazu bewogen hatte, das Feld zu wechseln. Krasser hätte ein Berufswechsel kaum ausfallen können, denn er war in die freie Wirtschaft gegangen und hatte dort Werbefirmen dahingehend beraten, welchen Einfluss Werbung auf bestimmte Kundengruppen hatte. Es war faszinierend vorherzusagen, wie ein bestimmtes Plakat auf ledige Frauen unter dreißig und ein anderes auf verheiratete Männer über fünfzig wirken würde. Aber wiederum wenige Jahre später waren die Skrupel aufgetaucht. Er manipulierte Menschen und verleitete sie dazu, etwas zu tun - respektive zu kaufen - was sie eigentlich weder wollten noch brauchten. Das hatte ihn dazu veranlasst, nebenher eine Zusatzausbildung in der Psychotherapie zu machen und danach eine Praxis zu eröffnen. Sehr schnell hatte er festgestellt, wie