Die schönsten Gedichte. Rainer Maria Rilke

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Die schönsten Gedichte - Rainer Maria Rilke

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      Abisag

      I

       Sie lag. Und ihre Kinderarme waren

       von Dienern um den Welkenden gebunden,

       auf dem sie lag die süßen langen Stunden,

       ein wenig bang vor seinen vielen Jahren.

       Und manchmal wandte sie in seinem Barte

       ihr Angesicht, wenn eine Eule schrie;

       und alles, was die Nacht war, kam und scharte

       mit Bangen und Verlangen sich um sie.

       Die Sterne zitterten wie ihresgleichen,

       der Duft ging suchend durch das Schlafgemach,

       der Vorhang rührte sich und gab ein Zeichen,

       und leise ging ihr Blick dem Zeichen nach.

       Aber sie hielt sich an dem dunkeln Alten,

       und von der Nacht der Nächte nicht erreicht,

       lag sie auf seinem fürstlichen Erkalten

       jungfräulich und wie eine Seele leicht.

      II

       Der König saß und sann den leeren Tag

       getaner Taten, ungefühlter Lüste

       und seiner Lieblingshündin, der er pflag-,

       Aber am Abend wölbte Abisag

       sich über ihm. Sein wirres Leben lag

       verlassen wie verrufne Meeresküste

       unter dem Sternbild ihrer stillen Brüste.

       Und manchmal, als ein Kundiger der Frauen,

       erkannte er durch seine Augenbrauen

       den unbewegten, küsselosen Mund;

       und sah: ihres Gefühles grüne Rute

       neigte sich nicht herab zu seinem Grund.

       Ihn fröstelte. Er horchte wie ein Hund

       und suchte sich in seinem letzten Blute.

      Advent

      Es treibt der Wind im Winterwalde

       Die Flockenherde wie ein Hirt,

       Und manche Tanne ahnt, wie balde

       Sie fromm und lichterheilig wird,

       Und lauscht hinaus. Den weißen Wegen

       Streckt sie die Zweige hin - bereit,

       Und wehrt dem Wind und wächst entgegen

       Der einen Nacht der Herrlichkeit.

      Alkestis

      Da plötzlich war der Bote unter ihnen,

       hineingeworfen in das Überkochen

       des Hochzeitsmahles wie ein neuer Zusatz.

       Sie fühlten nicht, die Trinkenden, des Gottes

       heimlichen Eintritt, welcher seine Gottheit

       so an sich hielt wie einen nassen Mantel

       und ihrer einer schien, der oder jener,

       wie er so durchging. Aber plötzlich sah

       mitten im Sprechen einer von den Gästen

       den jungen Hausherrn oben an dem Tische

       wie in die Höh gerissen, nicht mehr liegend,

       und überall und mit dem ganzen Wesen

       ein Fremdes spiegelnd, das ihn furchtbar ansprach.

       Und gleich darauf, als klärte sich die Mischung,

       war Stille; nur mit einem Satz am Boden

       von trübem Lärm und einem Niederschlag

       fallenden Lallens, schon verdorben riechend

       nach dumpfem umgestandenen Gelächter.

       Und da erkannten sie den schlanken Gott,

       und wie er dastand, innerlich voll Sendung

       und unerbittlich, – wußten sie es beinah.

       Und doch, als es gesagt war, war es mehr

       als alles Wissen, gar nicht zu begreifen.

       Admet muß sterben. Wann? In dieser Stunde.

       Der aber brach die Schale seines Schreckens

       in Stücken ab und streckte seine Hände

       heraus aus ihr, um mit dem Gott zu handeln.

       Um Jahre, um ein einzig Jahr noch Jugend,

       um Monate, um Wochen, um paar Tage,

       ach, Tage nicht, um Nächte, nur um Eine,

       um Eine Nacht, um diese nur: um die.

       Der Gott verneinte, und da schrie er auf

       und schrie's hinaus und hielt es nicht und schrie

       wie seine Mutter aufschrie beim Gebären.

       Und die trat zu ihm, eine alte Frau,

       und auch der Vater kam, der alte Vater,

       und beide standen, alt, veraltet, ratlos,

       beim Schreienden, der plötzlich, wie noch nie

       so nah, sie ansah, abbrach, schluckte, sagte:

       Vater,

       liegt dir denn viel daran an diesem Rest,

       an diesem Satz, der dich beim Schlingen hindert?

       Geh, gieß ihn weg. Und du, du alte Frau,

       Matrone,

       was tust du denn noch hier: du hast geboren.

       Und beide hielt er sie wie Opfertiere

       in Einem Griff. Auf einmal ließ er los

       und stieß die Alten fort, voll Einfall, strahlend

       und atemholend, rufend: Kreon, Kreon!

      

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