Tokeah. Charles Sealsfield

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Tokeah - Charles  Sealsfield

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war nicht ein eigentlicher Gesang, sondern vielmehr eine Improvisation; aber die reiche Melodie und die außerordentliche Biegsamkeit ihrer Stimme, die von den tiefsten Tönen zu den höchsten hinaufwirbelte und wieder das seufzende Lüftchen oder den heulenden Sturm nachahmte, und zuletzt gleich einer begeisterten Seherin Trost wie aus höheren Sphären sprach – alles dies gab ihrem Gesange eine unbeschreibliche Wirkung.

      »Meine Tochter«, sprach der alte Mann, »hat vergessest, zum Lobe des großen Häuptlings der Cumanchees zu singen.«

      »Sie will ihre Töne in sein Ohr wispern, wenn er im Wigwam ihres Vaters sein wird«, erwiderte sie. »Gut!« war die Antwort.

      »Und hat die weiße Rosa keine Zunge, den Gesang der Oconees zu singen?« fuhr er nach einer kleinen Pause fort. Canondah wandte sich und fühlte mit ihrer Hand. Keine Rosa war da. Sie stand auf, suchte herum in der dunkeln Stube, die weiße Rosa war nicht zugegen.

      »Sie ist unter dem großen Baume«, sagte sie, indem sie sich langsam, und wie es schien, mit einem schweren Herzen anschickte, sie aufzusuchen.

      Als Rosa mit Canondah ins Zimmer getreten war, zog sie sich zum Vorhange zurück, der beide Stübchen voneinander trennte. Da blieb sie ängstlich harrend eine Weile stehen, wahrscheinlich in der Hoffnung, der Häuptling würde sogleich nach seinem Mahle sich zur Ruhe begeben.

      Als Canondah jedoch sich vor ihm niederließ und in die wohlbekannten Töne des Nachtgesanges ausbrach, schien sie ihre ganze Besonnenheit zu verlieren. Sie schwankte vorwärts, rannte zurück – sie zitterte und bebte. Endlich eilte sie rasch durch die Türe in das zweite Stübchen, legte ihr Seidenkleid ab und warf sich in ein leichtes Kalikoröckchen, nahm dann eine Wolldecke, warf sie über einen Korb und stahl sich ins erste Gemach. Zitternd war sie an der Schwelle angelangt, bebend hatte sie diese überschritten. Ihre Brust schlug laut, ihre Knie schlotterten, als sie sich der Wand näherte und die mysteriöse Tasche berührte und endlich durch die Dunkelheit bis zur Türe forttappte.

      Die Bewohner des Dörfchens waren bereits in tiefen Schlaf begraben, die Gipfel der Bäume glänzten im silbernen Mondlichte gleich Riesengestalten, während die Nachtdünste von dem nahen Wasserspiegel, ähnlich den Geistern der Vorwelt, in ungeheure Leichentücher gehüllt, über die Hütten wellenförmig sich fortbewegten. Nicht eine menschliche Gestalt war zu sehen. Das Mädchen hielt eine Weile inne und eilte dann rasch, gleich einem erschrockenen Damhirsche vorwärts, dem Pfade zu, der längs der Niederlassung dem Walde zuführte. Keuchend und erschöpft war sie mit ihrer Bürde vor der Baumhöhle angekommen. Da hielt sie inne für einen Augenblick, sah sich furchtsam um, ob sie gesehen würde, näherte sich der Öffnung und zog sich wieder zurück. Der Fremde ist kalt und krank und hungrig, wisperte sie sinnend. Und mit einem Satze war sie über einen der Blöcke. Der Verwundete schlief. Sie kauerte sich zu ihm herab und streifte das Moos ab, mit dem er bedeckt war. Das Blut floß noch immer in großen Tropfen und hing in geronnenen Klümpchen am seidenen Tuche. Sie löste es behutsam ab, befühlte die Wunde und goß eine flüssige Substanz hinein. Ein Schmerzensschrei entfuhr dem Fremden.

      »Stille, ums Himmels willen stille!« bat das Mädchen. »Es ist Balsam, und Balsam aus der Medizintasche des großen Miko. Er wird deine Wunde heilen. Aber die Bäume haben Ohren und der Wind bläst von unten herauf. Ich bin es, Canondah ist es«, wisperte sie mit einer Stimme, deren Zittern sie Lügen strafte.

      »Es ist Canondah«, wiederholte sie, indem sie noch einige Tropfen Balsams in seine Wunden goß, sie dann mit Bandagen umwand und endlich verband. »Hier«, flüsterte sie, »ist der Saft von Trauben. Hier ist gebratenes Fleisch von unsern Wasservögeln und Wildbret. Und dies wird dich warm halten«, fuhr sie fort, ihn in die Wolldecke hüllend. Noch einmal wandte sie sich, als sie am Ausgange stand und dann kletterte sie wieder zurück über den Stamm und floh ihrer Wohnung zu. Je näher sie der Hütte kam, desto langsamer, schwankender wurden ihre Schritte. Als sie in die Laube trat, suchte ihr Auge die Gestalt Canondahs.

      »Rosa«, murmelte die Indianerin. »Was hast du getan? Der Miko hat nach dir gefragt?«

      »Hier«, erwiderte das Mädchen, ihr atemlos die Phiole reichend.

      »Komm!« sagte die erstere, und sie bei der Hand fassend, traten beide in die Stube.

      »Die weiße Rosa hat das Blut von ihren Wangen verloren; seit den letzten zwei Monden sind ihre Augen mit Wasser gefüllt. Der Häuptling der Salzsee wird sie trocknen«, sprach der alte Mann.

      Ein tiefer Seufzer entstieg der Brust des Mädchens. Sie begann zu schluchzen und laut zu weinen.

      »Die weiße Rosa«, fuhr der Miko kalt und ruhig fort, »wird das Weib eines großen Kriegers sein, der ihr Wigwam mit der Beute seiner Feinde füllen wird. Ihre Hände werden nie arbeiten dürfen, und sie wird von allen Squaws beneidet sein.« Und mit diesen Worten streckte er seine Schenkel auf die Bank, hüllte sich in seine Wolldecke und legte sich zur Ruhe. Canondah ergriff Rosas Hand, und sie sanft mit sich in das zweite Gemach ziehend, führte sie sie gleichfalls ihrem ländlichen Diwan zu und drückte sie sanft auf diesen nieder.

      Rosa legte sich schweigend, aber vergeblich bemühte sie sich, ihre Augen zu schließen. Die blasse, sterbende Gestalt des Fremden stand vor ihrem Blicke und raubte ihr Ruhe und Rast. Eine Stunde verging nach der andern, und sie war noch immer wach. Endlich ließ sich ein Geräusch in der Vorderstube hören, das andeutete, daß der Miko bereits aufgestanden war.

      Canondah sprang vom Lager, näherte sich Rosen, bog sich über das Mädchen, legte ihren Zeigefinger auf ihre Lippen und eilte in ihres Vaters Stube. Der Häuptling war mit Anstalten zu einem weiten Ausfluge beschäftigt, der großen Herbstjagd nämlich, die bei diesen Stämmen mehrere Wochen und selbst Monate dauert und sich über Landstrecken von Hunderten von Meilen ausdehnt. Seine Vorbereitungen waren bald getroffen. Er nahm einen großen Beutel, mit Tabak gefüllt, einen andern mit Blei, legte beide sorgfältig in seine Jagdtasche und hing diese über seine Schulter. Hierauf steckte er sein Schlachtmesser in seinen Gürtel und nahm den doppelläufigen Stutzen. Ein junger Indianer trat herein, dem er Bogen, Pfeile und einen Sack, mit Lebensmitteln gefüllt, übergeben ließ. Seine Tochter hatte dies schweigend getan. Sie stand nun mit gefalteten Händen und erwartete die Befehle ihres Vaters. Dieser legte seine flache Rechte auf ihre Stirne, blickte ihr eine Weile teilnehmend ruhig ins Gesicht – dann schienen seine Züge sich zu mildern, die Augen von Vater und Tochter begegneten sich, und gleichsam als ob sie sich verständigt hätten, wandte sich ersterer der Türe zu.

      An fünfzig Männer waren bereits vor der Hütte versammelt, vollkommen gerüstet und bewaffnet. Still und schweigend waren sie gekommen; kein Laut, kein Fußtritt war zu vernehmen gewesen. Kaum war ihr Häuptling in ihrer Mitte, als sie eben so still sich ihm anschlossen und mit einer Heimlichkeit der Uferbank zueilten, die im Zwielichte beinahe Grauen erregte.

      Die Tochter hatte ihren Vater nicht weiter als bis zur Türe begleitet, wo der Wink des letztern sie stillstehen hieß. Horchend stand sie eine Weile, bis der leise Wasserschlag der Ruderer gehört wurde; dann schloß sie die Türe und eilte ins innere Gemach.

      »Sie sind gegangen«, sagte sie.

      »Dann laß uns zum Fremden eilen«, erwiderte Rosa.

      »Die weiße Rosa«, sprach die Indianerin im milden, aber ernsten Tone, »muß schlafen, sonst wird ihr blasses Gesicht verraten, was in ihrem Busen begraben ist. Meine roten Schwestern sind fein und verschlagen, ihre Augen weit offen. Sie würden die Spuren leicht finden, die wir gestern im Rohrfelde gelassen haben. Ein Mädchen könnte nun den Miko einholen. Canondah will nach dem Fremden sehen; aber ihre Schwester muß ausruhen.« Sie preßte ihre Freundin sanft auf das Lager und verschwand hinter dem Vorhange.

      War es die ruhige, milde Sprache der Indianerin,

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