Tokeah. Charles Sealsfield

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Tokeah - Charles  Sealsfield

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Kapitel

      So waren wieder zwei Tage verflossen. Der junge Mann fühlte seine Gesundheit allmählich hergestellt, des Balsams wunderbare Kraft hatte sich nun vollkommen bewährt, und er konnte bereits ohne Schmerz umherwandeln. Immer war ihm dies jedoch von der Indianerin strenge untersagt worden. Er hatte sich einigemal ins Dörfchen hinausgewagt; aber die Squaws waren ihm stets mit so unzweideutigen Beweisen feindlicher Gesinnung entgegengekommen, daß er immer umzukehren genötigt gewesen. Die Indianerin hatte ihm seine Mahle regelmäßig jeden Morgen und Abend gebracht, hatte jedoch kein Wort weiter gesprochen, und ein ruhig forschender Blick, während sie seinen Puls untersuchte, war alles gewesen, was einigermaßen nähere Teilnahme beurkundete.

      Es war in der Nacht des zehnten Tages seit seiner Anwesenheit. Er hatte sich bereits auf sein Lager hingestreckt und soeben zu schlummern angefangen, als plötzlich der Widerschein heller Flammen durch die Öffnungen der Büffelhaut drang. Er sprang mit dem Ausrufe auf: »Das Dorf ist in Feuer!« stürzte zur Türe hinaus, durch die Hecken und Gebüsche der Flamme zu. Der Widerschein der Fackeln fiel auf eine ziemlich große, dem Anscheine nach niedliche Hütte. Es war die Wohnung des Miko. Soeben trat eine weibliche Gestalt aus der Türe und blieb vor derselben stehen. Sie horchte eine Weile und schien sich dann der Gegend zuwenden zu wollen, wo er sich im Gebüsche verborgen hatte. Langsam wandte sie sich jedoch der Ecke zu, von der sie eine Aussicht auf den von mehreren hundert Pechfackeln erglänzenden Wasserspiegel des Flusses hatte. Er hatte nun Gelegenheit, sie ins Auge zu fassen. Langsam und leise, Schritt für Schritt, als fürchtete er, die liebliche Erscheinung möchte zur Luftgestalt werden, näherte er sich ihr. Bloß eine Acacia Mimosa trennte ihn noch von ihr. Es war Rosa. Eine Weile stand er in Anschauung versunken, und dann trat er näher.

      Der leise Fußtritt war von ihr gehört worden, sie wandte sich und schwebte auf ihn zu. »Fürchte dich nicht, Fremdling,« sprach sie in wohlklingendem Englisch, »unsere Weiber und Mädchen führen den Nachttanz auf.«

      »Miß! ich bitte tausendmal um Vergebung wegen meiner Zudringlichkeit. – Sie werden vergeben, aber wirklich alles, was mir begegnet ist, ist so wunderbar.«

      Das Mädchen sah ihn mit ihren klaren Augen forschend an. Ihr ängstlich werdender Blick schien beinahe fragen zu wollen, ob es auch in seinem Gehirn richtig sei, so befremdete sie die sonderbare, echt englische Anrede. Sie faßte seine Hand. »Vergeben meinem Bruder? Was soll ich dir vergeben, du hast mir nie etwas zuleide getan?«

      »So täuscht mich denn meine Phantasie nicht, und was ich Traum wähnte, hat sich verwirklicht?« erwiderte er. Sie sah ihn betroffen an. »Hat mein Bruder einen Traum gehabt?«

      Hatte des Mädchens ideale Schönheit und ihre leichte Feengestalt den jungen Mann in Verlegenheit gesetzt, die ihm in der Verwirrung die eben erwähnte Londoner Formel auf die Zunge brachte, so war ihre Antwort und nächste Frage eben nicht geeignet, diese Verwirrung zu mindern. Die melancholischen Töne eines Instrumentes, die sich nun hören ließen, brachen unterdessen die Unterhaltung ab. Er hörte befremdet den seltsamen, tiefen, grausen Tönen zu.

      »Die Nacht ist kühl und feucht. Die Dünste ziehen mehr und mehr vom Flusse über das Wigwam. Mein Bruder darf nicht im Freien bleiben, sonst kommt das Fieber wieder; aber er kann«, fügte sie nach einer Pause hinzu, »die Mädchen in unserer Stube tanzen sehen.«

      Mit diesen Worten reichte sie ihm ihre Hand, führte ihn in die Hütte und durch den Vorhang in ihr Stübchen, das ein kleines Fenster, welches auf das Ufer des Flusses sah, vollkommen erhellte. Es erfolgte nun eine Szene, die Salvator Rosas Pinsel eines der ergreifendsten Nachtstücke geliefert haben würde. – Rings um die Bucht herum, wo acht Tage zuvor das Birkenkanu gebaut worden, war eine Schar von nahe an zweihundert Mädchen, Weibern und jungen Wilden in einem weiten Ringe versammelt. Jeder und jede hielten in der einen Hand eine lange brennende Pechfackel, in der andern eine Schelle. Vier erwachsene Jungfrauen hatten ihren Platz unmittelbar auf dem erwähnten Uferkamme und spielten auf indianischen Trommeln und Flöten.

      Das erste dieser Instrumente glich einem mit Klappern versehenen Tamburin. Die jungen Wilden hielten dieses Instrument hoch empor und schlugen mit kurzen, dicken Stäben darauf. Das zweite war eine Flöte mit drei Löchern, die einen ungemein tiefen, melancholischen Ton von sich gab.

      Die Musik war anfangs schwach und gedämpft; obgleich kunstlos und ungeordnet, waren doch die Töne der Flöte nicht ohne Melodie und den Tönen eines Schweizer Alphorns zu vergleichen. Allmählich wurden sie in dem Maße stärker, als die Bewegungen der jüngern Squaws und Mädchen das Erwachen der Tanzleidenschaft verkündigten. Als nun die Tamburins einfielen, gab das Ganze eine zwar wilde, regellose, aber nicht unangenehme Musik. Es erhob sich jetzt eines der Mädchen, das mit den lieblichsten Gebärden sich in den Kreis wand und drehte, während aus dem gegenüberstehenden Bogen ein anderes ihr entgegenkam. Beide hatten Tamburins. Anfangs wirbelten sie im Kreise herum, sich zu den Mädchen herabbückend, und dann mit schlangenartiger Gewandtheit sich kreisend und wendend, tanzten sie in die Mitte, wandten sich einige Male im Kreise und fingen dann den eigentlichen Tanz an. Ihre Füße schienen sich nicht zu bewegen, während sie pfeilschnell nach den Schlägen des Tamburins im Kreise herumflogen, und ihre Fersen hebend sich immer und immer und immer fortbewegten, mit ihren Tamburins die graziösesten Pantomimen ausdrückend. Nichts konnte der Zartheit und dem Anmute dieser Tänzerinnen verglichen werden, die die natürlichen Leidenschaften der Wilden in so veredelter und reizender Mimik darzustellen wußten. Nachdem sie vielleicht zehn Minuten getanzt hatten, nahmen sie wieder ihre Sitze ein.

      Zwei andere Mädchen folgten und führten denselben Tanz aus, doch war ihr Gebärdenspiel bei weitem nicht so sprechend, einfach und graziös, wie das der ersten. Als sie geendet hatten, trat ein Knabe mit einer Federkrone auf seinem Haupte ein. Sein Gesicht war mit den gewöhnlichen Kriegerfarben bemalt; den Schreck, den sie einzuflößen bestimmt waren, suchte er noch durch die wildesten Verzerrungen zu steigern, deren seine jugendlichen Züge fähig waren.

      Ein zweiter, auf dieselbe wild phantastische Weise herausgeputzt, folgte ihm, und nun fingen beide den Kriegertanz an. Zu verschiedenen Malen warfen sie sich der ganzen Länge nach auf die Erde hin, daß man hätte glauben sollen, jeder ihrer Knochen sei aus dem Gelenke gerissen; dann krochen sie unglaublich schnell herum, krümmten ihre Schenkel, sprangen auf und fielen mit wütenden Gebärden aufeinander. Plötzlich wandten sie sich dem Halbkreise zu, wo ihre Gespielen saßen, rissen den beiden Trommelschlägern ihre Trommeln aus den Händen und waren kaum in die Mitte des Kreises zurückgesprungen, als dieser sich in zwei Hälften teilte, von denen die eine gegen die andere zu traben anfing. Squaw gegen Squaw, Mädchen gegen Mädchen, trabten einige Male vorwärts, dann rückwärts, schwenkten dann zuletzt ihre Fackeln, schüttelten ihre Schellen und rannten und trabten schneller und schneller, bis das Ganze zuletzt ein Knäuel der wildesten Verwirrung wurde.

      Der grelle Widerschein von mehreren hundert Fackeln, unter dem Nebelsaume des Flusses hinabflackernd, gab diesem das Ansehen eines glühenden Höllenflusses; die alten Squaws, die mit aufgelösten Haaren und welken knochigen Gesichtern in ungeschlachten Kreuz- und Quersprüngen sich umhertrieben und mit ihren Feuerbränden mehr Kobolden als menschlichen Wesen glichen; das durchdringend gellende Geheul, das die Luft zittern machte und wieder plötzlich innehielt, um die melancholischen Töne der Flöte und die dumpfen Schläge der Trommel hervorbrechen zu lassen, gaben dem Ganzen mehr den Charakter eines Hexentanzes, als den weiblicher Wesen. Plötzlich wurde noch ein wütender Schrei, wie aus tausend Kehlen, gehört; die Fackeln versammelten sich in einen Klumpen, verloschen, und tiefe Finsternis herrschte. Und nach dem langen, schweigsamen Dahinstarren zu schließen, in welches unsern Briten dieser Auftritt versetzt hatte, schien es wirklich zweifelhaft, ob er nicht etwas Höllisches im Hintergrunde sehe. Die plötzlich eintretende Finsternis mochte nicht wenig dazu beitragen, die Sinne des jungen Menschen zu verwirren.

      »Das sind ja verdammte – Bitte um Vergebung, Miß – das sind wirklich furchtbare Gestalten«, rief er aus. »Wo sind

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