Erwin Rosenberger: In indischen Liebesgassen - Prostitution in Bombay - Aus dem Tagebuch eines Schiffsarztes. Erwin Rosenberger

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Erwin Rosenberger: In indischen Liebesgassen - Prostitution in Bombay - Aus dem Tagebuch eines Schiffsarztes - Erwin Rosenberger maritime gelbe Buchreihe

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sind zwei Regungen geeint: die Verschüchtertheit des „Native“-Kindes, welches weiß: „Jedermann kann mich in jedem Augenblick von Bord wegjagen“; und zugleich ein Selbstbewusstsein, geschöpft aus der Zugehörigkeit zur Großmacht „Weib“, – das geschlechtliche Machtgefühl, das heller oder matter in jeglichem Weiblein flackert: „Ich habe ein gewisses Recht, hier auf dem Schiff zu weilen. Denn ich kann euch etwas bieten. Wie unbedeutend ich auch sonst bin, ich kann jederzeit zur Spenderin emporwachsen, kann auch die Reichsten unter euch noch mit einer allgeschätzten Gabe beschenken.“

      Die Gewandung dieser Hindu-Frauen besteht aus einem großen, rot- oder blau-farbenen, leichten, baumwollenen Stoffrechteck, das sie in geschickter Weise als Gesamtkleidungsstück verwenden; sie schlingen das eine Ende dergestalt um die Oberschenkel, dass eine Art Hose entsteht, und den Rest, das andere Endstück, schlagen sie über den Rücken, eine Schulter und den Kopf empor.

      So bleiben Füße und Unterschenkel unbekleidet, desgleichen Teile der Oberschenkel. Das einzige „Beinkleid“ ist dieses um den oberen Teil der Oberschenkel und um den Unterkörper (bis zur Taille) hosenartig gewundene Zeugstück; also eine nachlässig über die bloße Haut geschlungene Schurzhose. Sonst keine Bedeckung für Beine und Unterkörper.

      Auch der Oberleib ist nur recht notdürftig bedeckt. Ein knapp anliegendes „Leibchen“ aus einem dunkelfarbigen, sehr einfachen, leichten Stoff reicht nicht viel tiefer als über den unteren Rand der Brüste, so dass zwischen diesem Leibchen und der oberen Grenze jenes Hosenschurzes eine nackte Bauch- und Lendenzone frei bleibt, sichtbar wird. Rückwärts läuft über das Leibchen die obere Partie des früher erwähnten langen Zeugstückes zur Schulter und zum Kopf empor.

      Das sehr kurze Leibchen hat sehr kurze Ärmelchen, daher sind auch die Arme fast unbedeckt.

      An der Entstehung solch karger Tracht ist gleichermaßen die Armut dieser Hindu-Frauen, der „Kulifrauen“, beteiligt und das heiße Klima, wie auch das Streben nach Bewegungsfreiheit während des Gehens, während der Arbeit.

       Diese Tracht ist nahezu wie eine Uniform. Sie wird in der geschilderten Anordnung von den Hindu-Frauen der unteren Volksklassen getragen, von den Arbeiterinnen im Hafen, von den Arbeiterinnen, die bei Straßenarbeiten, beim Häuserbau, in industriellen Unternehmungen beschäftigt sind, und von den braunen Mädchen und Frauen, die, eine Bürde auf dem Kopf tragend, durch die Straßen von Bombay gehen.

      – – – Es scheint, dass die Hindu-Mädchen heute länger, mit mehr Ausdauer als sonst, an Bord ausharren, wartend, ob ein Mann ihre Dienstleistung wünschen werde. Heute ist Ankunftstag, der erste Tag im Hafen nach sechzehntägiger Seereise, die Geschäftsklugheit gebietet also den Mädchen, die Konjunktur auszunützen, das Eisen zu schmieden, solange es von der Seereise noch warm ist, solange es auf dem Lande noch keine Abkühlung gefunden hat.

      Denn heute Abend werden viele Schiffsangehörige nach Kamatipura,

      in das Stadtviertel der Freudenmädchen, hinausfahren, so dass morgen den Fleischträgerinnen weitaus geringere Chancen an Bord sich bieten werden.

      – Zuvörderst pflegen sich die Mädchen in der Nähe der Kabinen aufzuhalten, die den Schiffsoffizieren und anderen Besatzungsmitgliedern höheren Grades gehören. Denn die zahlen besser. Nachdem die Mädchen mit oder ohne Erfolg hier gewartet haben, wenden sie sich gegebenenfalls dem Schiffsvorderteil zu, den Räumen der Matrosen, der Heizer, der Küchenbediensteten, der Kellner. Auf dieser Etappe ihres Werbens lassen sie sich wohl noch zu einer Ermäßigung des erwähnten dürftigen Liebeslohnes herbei.

      Insonderheit pflegen die Hindu-Mädchen, die nicht als besoldete Trägerinnen des Küchenproviants, sondern lediglich zum Zwecke des Sich-Preisgebens an Bord kommen, den Weg von der Offizierskabine zum Schiffsvorderteil zu vollführen. Die Fleischmädchen seltener oder gar nicht; weil sie weniger vom Stachel der Geldnot gespornt sind.

       Ich bemerke das Mädchen, das eine Weile vor meiner Kabinentür gesessen, noch um die Mittagstunde an Bord, in der Nähe der Küche. Jemand vom Küchenpersonal hat dem Mädchen zur Mittagszeit einen Teller mit Speise gereicht, sei's aus uneigennütziger Menschenliebe, sei's aus honorierender Vor- oder Nach-Erkenntlichkeit.

      * * *

      Vor Jahren, als ich zum ersten Mal nach Bombay kam, betrachtete ich diese Hindu-Mädchen mit minder gleichmütigen Blicken als heute. Aber es ist betrüblich, – oder erfreulich? – dass die exotische Frau, die im Anfang unserer Reisezeit eine beträchtliche Anziehungskraft auf uns ausübt, uns nach und nach weniger anreizend ist, in dem Maße, wie sie den Reiz der Neuheit verliert, wie sie aufhört, dem Orientfahrer etwas Exotisches zu sein. Exotik und Erotik, eine direkte Proportion.

      Nicht zu vergessen des Gesetzes, dass gegebenenfalls im Sexualleben die Besitzergreifung einen Wertsturz des in-Besitzgenommenen Gegenstandes herbeiführt. Man hat die andauernde Gelegenheit, jederzeit die exotische Frucht genießen zu können, man hat sie oft genug genossen, daher hat man weniger Sehnsucht nach der exotischen Frucht als vormals. Die Stabilität des Habens, die Zahl des Gehabt-habens steht in umgekehrtem Verhältnis zur Intensität des Begehrens.

      Dazu eine Reihe anderer hemmender Umstände: Bin ich's nicht, wird's der Heizer sein; werde ich nicht die braune Maid nehmen, wird sie der Heizer nehmen; einer der Heizer, die dort von der nahen Kesselfeuerstelle zu meiner Kabinentür herüberlugten, neugierig, ob ich das Hindu-Mädchen in die Kabine lassen würde. Ich und der Heizer, Kollegen an der Tafel der Liebe. Man verzichtet auf die Mahlzeit von wegen des unerwünschten Tischgenossen.

      Dann Erinnerungen an Passagierinnen der eben beendeten Seefahrt, Erinnerungen und Stimmungen, die mit der Meinung der Hindu-Mädchen, als müssten sechzehn Meerfahrt-Tage eine Zeit entsagungsvoller Askese sein, nicht ganz im Einklang sind.

       Überdies wäre es möglich, dass ich nicht mehr vollständig frei bin von der Suggestion des Wortes „Native“ Native – das ist: Der Eingeborene: etwas von der geringschätzigen Klangfarbe, womit der Engländer vom Native, vom Einheimischen, vom Inder spricht, könnte mir im Ohr haften geblieben sein. Semper aliquid haeret (irgendwas klebt immer).

      Tatsache ist, dass gar mancher Europäer, der den Orient aufsucht, anfangs die eingeborenen asiatischen Landeskinder mit sehr freundlichen Augen betrachtet, man sieht in den dunkelhäutigen, morgenländisch gekleideten Leuten sympathische Kuriosa und lässt ihnen ein ähnliches Wohlwollen zuteilwerden, wie man's in den Ausstellungsgärten europäischer Hauptstädte einem Somali-Dorf widmet, einer Aschanti-Truppe und allem, was man für kindlich und naiv hält. Die Kinder der fernen, fernen Fremde bringen die romantische Saite in uns zum Klingen und die zum Mitschwingen rasch bereite Saite sympathisierender Wohlgeneigtheit.

      Wenn dann der Europäer im Orient heimischer wird, schleicht sich in diese freundliche Zuneigung nach und nach eine Abkühlung ein, es entwickeln sich im europäischen Gemüt Gefühle, die sich mehr oder minder der nicht gar liebreichen Stimmung nähern, womit der Herr von Indien, der Engländer, das Wort „Native“ ausspricht.

      Wer die Schuld trägt? Vermutlich beide Teile; sowohl der Europäer wie der Eingeborene. Die Situation entwickelt sich wohl auf Grund des folgenden Circulus:

      – Europäer: Ich bin dir nicht übermäßig zugetan, weil ich weiß, dass du mir nicht allzu hold gesinnt bist.

      = Inder: Ich bin dir nicht allzu hold gesinnt, weil ich weiß, dass du mir nicht übermäßig zugetan bist.

      Und so weiter im Kreise, mit Steigerung der gegenseitigen Verstimmung.

      Die Besatzung unseres Dampfers bedient sich nicht der englischen, sondern der italienischen Umgangssprache, (Triest, der Heimathafen des Dampfers, liegt in einem Gebiet

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