Franz Kafka: Gesammelte Werke. Franz Kafka
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Читать онлайн книгу Franz Kafka: Gesammelte Werke - Franz Kafka страница 39
»Warum spricht sie nicht weiter?«
»Sie ist nachschauen gegangen, was mit dem Mädel los ist«, antwortete der Oberkellner schon mit der Muschel am Ohr, denn es läutete wieder.
»Sie wird sich schon finden«, redete er weiter ins Telephon hinein. »Sie dürfen sich nicht von allem so erschrecken lassen. Sie brauchen wirklich eine gründliche Erholung. Ja also, meine kleine Anfrage. Es ist da ein Liftjunge namens« – er drehte sich fragend nach Karl um, der, da er genau aufpaßte, gleich mit seinem Namen aushelfen konnte – »also namens Karl Roßmann. Wenn ich mich recht erinnere, so haben Sie sich für ihn ein wenig interessiert; leider hat er Ihre Freundlichkeit schlecht belohnt, er hat ohne Erlaubnis seinen Posten verlassen, hat mir dadurch schwere, jetzt noch gar nicht übersehbare Unannehmlichkeiten verursacht, und ich habe ihn daher soeben entlassen. Ich hoffe, Sie nehmen die Sache nicht tragisch. Wie meinen Sie? Entlassen, ja, entlassen. Aber ich sagte Ihnen doch, daß er seinen Posten verlassen hat. Nein, da kann ich Ihnen wirklich nicht nachgeben, liebe Frau Oberköchin. Es handelt sich um meine Autorität, da steht viel auf dem Spiel, so ein Junge verdirbt mir die ganze Bande. Gerade bei den Liftjungen muß man teuflisch aufpassen. Nein, nein, in diesem Falle kann ich Ihnen den Gefallen nicht tun, so sehr ich es mir immer angelegen sein lasse, Ihnen gefällig zu sein. Und wenn ich ihn schon trotz allem hier ließe, zu keinem anderen Zweck, als um meine Galle in Tätigkeit zu erhalten, Ihretwegen, ja, Ihretwegen, Frau Oberköchin, kann er nicht hierbleiben. Sie nehmen einen Anteil an ihm, den er durchaus nicht verdient, und da ich nicht nur ihn kenne, sondern auch Sie, weiß ich, daß das zu den schwersten Enttäuschungen für Sie führen müßte, die ich Ihnen um jeden Preis ersparen will. Ich sage das ganz offen, obwohl der verstockte Junge ein paar Schritte vor mir steht. Er wird entlassen, nein, nein, Frau Oberköchin, er wird vollständig entlassen, nein, nein, er wird zu keiner anderen Arbeit versetzt, er ist vollständig unbrauchbar. Übrigens laufen ja auch sonst Beschwerden gegen ihn ein. Der Oberportier zum Beispiel, ja also, was denn, Feodor, ja, Feodor beklagt sich über die Unhöflichkeit und Frechheit dieses Jungen. Wie, das soll nicht genügen? Ja, liebe Frau Oberköchin, Sie verleugnen wegen dieses Jungen Ihren Charakter. Nein, so dürfen Sie mir nicht zusetzen.«
In diesem Augenblick beugte sich der Portier zum Ohr des Oberkellners und flüsterte etwas. Der Oberkellner sah ihn zuerst erstaunt an und redete dann so rasch in das Telephon, daß Karl ihn anfangs nicht ganz genau verstand und auf den Fußspitzen zwei Schritte näher trat.
»Liebe Frau Oberköchin«, hieß es, »aufrichtig gesagt, ich hätte nicht geglaubt, daß Sie eine so schlechte Menschenkennerin sind. Eben erfahre ich etwas über Ihren Engelsjungen, was Ihre Meinung über ihn gründlich ändern wird, und es tut mir fast leid, daß gerade ich es Ihnen sagen muß. Dieser feine Junge also, den Sie ein Muster von Anstand nennen, läßt keine dienstfreie Nacht vergehen, ohne in die Stadt zu laufen, aus der er erst am Morgen wiederkommt. Ja, ja, Frau Oberköchin, das ist durch Zeugen bewiesen, durch einwandfreie Zeugen, ja. Können Sie mir nun vielleicht sagen, wo er das Geld zu diesen Lustbarkeiten hernimmt? Wie er die Aufmerksamkeit für seinen Dienst behalten soll? Und wollen Sie vielleicht auch noch, daß ich Ihnen beschreiben soll, was er in der Stadt treibt? Diesen Jungen loszuwerden will ich mich aber ganz besonders beeilen. Und Sie, bitte, nehmen das als Mahnung, wie vorsichtig man gegen hergelaufene Burschen sein soll.«
»Aber, Herr Oberkellner«, rief nun Karl, förmlich erleichtert durch den großen Irrtum, der hier unterlaufen schien und der vielleicht am ehesten dazu führen konnte, daß sich alles noch unerwartet besserte, »da liegt bestimmt eine Verwechslung vor. Ich glaube, der Herr Oberportier hat Ihnen gesagt, daß ich jede Nacht weggehe. Das ist aber durchaus nicht richtig, ich bin vielmehr jede Nacht im Schlafsaal, das können alle Jungens bestätigen. Wenn ich nicht schlafe, lerne ich kaufmännische Korrespondenz, aber aus dem Schlafsaal rühre ich mich keine Nacht. Das ist ja leicht zu beweisen. Der Herr Oberportier verwechselt mich offenbar mit jemand anderem, und jetzt verstehe ich auch, warum er glaubt, daß ich ihn nicht grüße.«
»Wirst du sofort schweigen«, schrie der Oberportier und schüttelte die Faust, wo andere einen Finger bewegt hätten. »Ich soll dich mit jemand anderem verwechseln! Ja, dann kann ich nicht mehr Oberportier sein, wenn ich die Leute verwechsle. Hören Sie nur, Herr Isbary, dann kann ich nicht mehr Oberportier sein, nun ja, wenn ich die Leute verwechsle. In meinen dreißig Dienstjahren ist mir allerdings noch keine Verwechslung passiert, wie mir hunderte von Herren Oberkellnern, die wir seit jener Zeit hatten, bestätigen müssen, aber bei dir, miserabler Junge, soll ich mit den Verwechslungen angefangen haben. Bei dir, mit deiner auffallenden, glatten Fratze. Was gibt es da zu verwechseln! Du könntest jede Nacht hinter meinem Rücken in die Stadt gelaufen sein, und ich bestätige bloß nach deinem Gesicht, daß du ein ausgegorener Lump bist.«
»Laß, Feodor!« sagte der Oberkellner, dessen telephonisches Gespräch mit der Oberköchin plötzlich abgebrochen worden zu sein schien. »Die Sache ist ja ganz einfach. Auf seine Unterhaltungen in der Nacht kommt es in erster Reihe gar nicht an. Er möchte ja vielleicht vor seinem Abschied noch irgendeine große Untersuchung über seine Nachtbeschäftigung verursachen wollen. Ich kann mir schon vorstellen, daß ihm das gefallen würde. Es würden womöglich alle vierzig Liftjungen heraufzitiert und als Zeugen einvernommen, die würden ihn natürlich auch alle verwechselt haben, es müßte also zur Zeugenschaft allmählich das ganze Personal heran, der Hotelbetrieb würde natürlich auf ein Weilchen eingestellt, und wenn er dann schließlich doch hinausgeworfen würde, so hätte er doch wenigstens seinen Spaß gehabt. Also das machen wir lieber nicht. Die Oberköchin, diese gute Frau, hat er schon zum Narren gehalten, und damit soll es genug sein. Ich will nichts weiter hören; du bist wegen Dienstversäumnis auf der Stelle aus dem Dienst entlassen. Da gebe ich dir eine Anweisung an die Kasse, daß dir dein Lohn bis zum heutigen Tage ausgezahlt werde. Das ist übrigens bei deinem Verhalten – unter uns gesagt – einfach ein Geschenk, das ich dir nur aus Rücksicht auf die Frau Oberköchin mache.«
Ein telephonischer Anruf hielt den Oberkellner ab, die Anweisung sofort zu unterschreiben.
»Die Liftjungen geben mir aber heute zu schaffen!« rief er schon nach Anhören der ersten Worte.
»Das ist ja unerhört!« rief er nach einem Weilchen. Und vom Telephon weg wandte er sich zum Hotelportier und sagte: »Bitte, Feodor, halt mal diesen Burschen ein wenig, wir werden noch mit ihm zu reden haben.« Und ins Telephon gab er den Befehl: »Komm sofort herauf!«
Nun konnte sich der Oberportier wenigstens austoben, was ihm beim Reden nicht hatte gelingen wollen. Er hielt Karl oben am Arm fest, aber nicht etwa mit ruhigem Griff, der schließlich auszuhalten gewesen wäre, sondern er lockerte hie und da den Griff und machte ihn dann mit Steigerung fester und fester, was bei seinen großen Körperkräften gar nicht aufzuhören schien und ein Dunkel vor Karls Augen verursachte. Aber er hielt Karl nicht nur, sondern als hätte er auch den Befehl bekommen, ihn gleichzeitig zu strecken, zog er ihn auch hie und da in die Höhe und schüttelte ihn, wobei er immer wieder halb fragend zum Oberkellner sagte: »Ob ich ihn jetzt nur nicht verwechsle, ob ich ihn jetzt nur nicht verwechsle.«
Es war eine Erlösung für Karl, als der oberste der Liftjungen, ein gewisser Beß, ein ewig fauchender, dicker Junge eintrat, und die Aufmerksamkeit des Oberportiers ein wenig auf sich lenkte. Karl war so ermattet, daß er kaum grüßte, als er zu seinem Erstaunen hinter dem Jungen Therese, leichenblaß, unordentlich angezogen, mit lose aufgesteckten Haaren, hereinschlüpfen sah. Im Augenblick war sie bei ihm und flüsterte: »Weiß es schon die Oberköchin?«
»Der Oberkellner hat es ihr telephoniert«, antwortete Karl.
»Dann ist es schon gut, dann ist es schon gut«, sagte sie rasch, mit lebhaften Augen.
»Nein«, sagte Karl. »Du weißt ja nicht, was sie gegen mich haben. Ich muß weg, die Oberköchin ist davon auch schon überzeugt. Bitte, bleib nicht hier, geh hinauf, ich werde mich dann von dir verabschieden kommen.«
»Aber,