Charles Dickens. Charles Dickens
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Charles Dickens - Charles Dickens страница 62
Es traf sich, daß wir uns mit meinem Vormund verabredet hatten, gerade heute Miß Flite zu besuchen. Wir hatten ihm von unserm früheren Besuch bei ihr erzählt, und unsere Schilderungen schienen ihn sehr interessiert zu haben. Aber immer wieder war irgend etwas dazwischen gekommen, wenn wir hingehen wollten. Da ich mir genügend Einfluß auf Miß Jellyby zutraute, um sie von einem übereilten Schritt abhalten zu können, schlug ich ihr vor, daß sie und ich und Peepy nach der Tanzakademie gehen und dann meinen Vormund und Ada bei Miß Flite – deren Namen ich jetzt zum ersten Mal hörte – treffen wollten. Ich knüpfte daran die Bedingung, daß Miß Jellyby und Peepy nachher zum Essen mit uns nach Hause kommen sollten. Nachdem beide mit großer Freude auf diesen letzten Vertragspunkt eingegangen waren, putzten wir Peepy mit Hilfe einiger Stecknadeln, etwas Seife und Wasser und einer Haarbürste ein wenig heraus und lenkten unsere Schritte in die Newmanstreet, die ganz in der Nähe war.
Die Akademie befand sich in einem ziemlich verrußten Gebäude mit Büsten in allen Treppenfenstern an der Ecke einer Durchfahrt. In dem Hause wohnten noch, wie ich aus den Schildern an der Tür entnahm, ein Zeichenlehrer, ein Kohlenhändler und ein Lithograph. Auf dem Schilde, das durch seine Größe und seinen Platz alle andern überragte, las ich: Mr. Turveydrop.
Die Tür stand offen, und die Vorhalle war mit einem großen Piano, einer Harfe und verschiednen andern Musikinstrumenten verbarrikadiert, die alle fortgeschafft werden sollten und jetzt bei Tag einen etwas liederlichen Eindruck machten. Miß Jellyby sagte mir, daß die Akademie am Abend vorher zu einem Konzert gedient habe.
Wir gingen die Treppe hinauf – es mußte früher ein recht schönes Haus gewesen sein, als es noch jemand obgelegen, es rein und sauber zu halten, und niemand, den ganzen Tag darin zu rauchen – und traten in Mr. Turveydrops großen Saal, der hinten an einen Pferdestall stieß und von Oberlicht erhellt wurde. Es war ein kahler, widerhallender Saal, der nach Stall roch, mit Rohrbänken an der Wand, die Wände in regelmäßigen Abständen mit gemalten Lyras und drei gläsernen Armleuchtern mit altmodischen Tropfen gleich Herbstblättern verziert. Mehrere junge Schülerinnen von dreizehn oder vierzehn Jahren bis zu zwei- oder dreiundzwanzig waren bereits versammelt, und ich sah mich unter ihnen nach ihrem Lehrer um, als Caddy mich in den Arm kniff und mich vorstellte: »Miß Summerson – Mr. Prince Turveydrop.«
Ich verneigte mich vor einem kleinen, blauäugigen, hübschen Mann von jünglingshaftem Aussehen mit in der Mitte gescheiteltem Flachshaar, das sich rings um seinen Kopf lockte. Er hielt eine Violine unter dem linken Arm und den Bogen in der Hand. Seine Tanzschuhe waren auffallend klein, und er legte ein unschuldiges, frauenhaftes Benehmen in einer gewissen liebenswürdigen Weise mir gegenüber an den Tag, das die eigentümliche Vorstellung in mir erweckte, er müsse seiner Mutter sehr ähnlich sehen und sie selbst sei nicht sehr hochgehalten oder gut behandelt worden.
»Ich schätze mich unendlich glücklich, Miß Jellybys Freundin kennen zu lernen«, sagte er und verbeugte sich tief vor mir. »Ich begann bereits zu fürchten«, fuhr er mit schüchterner Zärtlichkeit fort, »daß Miß Jellyby nicht mehr kommen werde, da der Unterricht schon begonnen hat.«
»Ich muß Sie bitten, mir das zugute zu halten und mich zu entschuldigen, da ich es war, die sie abgehalten hat, Sir.«
»O Gott«, sagte er.
»Und bitte, lassen Sie mich nicht die Ursache einer weiteren Verzögerung sein.«
Mit diesen entschuldigenden Worten zog ich mich auf einen Sitz zwischen Peepy, der, schon an die Situation gewöhnt, bereits einen Stuhl in der Ecke erklommen hatte, und einer alten Dame mit einem kritischen Blick zurück, deren zwei Nichten an den Tanzstunden teilnahmen und die sich sehr über Peepys Stiefel ärgerte. Prince Turveydrop klimperte sodann mit den Fingern in den Saiten seiner Fiedel, und die jungen Damen traten zum Tanze an. In diesem Augenblick erschien in einer Seitentür der alte Mr. Turveydrop, strahlend wie ein Gott.
Er war ein fetter alter Herr mit geschminktem Teint, falschen Zähnen, gefärbtem Backenbart und einer Perücke. Er trug einen Pelzkragen, und die Brust seines Fracks, dem nur ein Stern oder ein breites blaues Band fehlte, um vollständig zu sein, war auswattiert. Er war geschnürt, ausgestopft, hergerichtet und zusammengeschnallt, wie er es nur irgend aushalten konnte. Sein Halstuch drosselte ihn so, daß es ihm die Augen förmlich aus den Höhlen drängte, und sein Kinn und selbst seine Ohren waren so tief hineinversunken, daß es aussah, als müßte er aus dem Leim gehen, wenn er es ablegte. Unter dem Arm trug er einen großen, schweren Hut, der vom Kopf zum Rande zu sich abschrägte, und in der Hand ein Paar weiße Handschuhe, mit denen er ihn von Zeit zu Zeit abstaubte, wie er auf einem Beine ruhend in unübertrefflicher, hochschulteriger, ellbogengerundeter Eleganz dastand. Er hatte einen Stock, ein Augenglas, eine Schnupftabaksdose, er hatte Ringe, er hatte Manschetten, er hatte alles, nur keine Spur von Natur; er war nicht Jugend, er war nicht Alter, er war nichts als ein Modell unübertrefflichen Anstandes.
»Vater! Ein Besuch! Eine Freundin Miß Jellybys – Miß Summerson!«
»Ich fühle mich hochgeehrt durch Miß Summersons Anwesenheit«, begrüßte mich Mr. Turveydrop. Wie er mir eingeschnürt eine Verbeugung machte, schien fast das Weiße seiner Augen Falten zu bekommen.
»Mein Vater ist eine gefeierte Größe«, sagte der Sohn zu mir halblaut mit einem wahrhaft rührenden Glauben im Ton. »Man bewundert meinen Vater allgemein.«
»Fahre fort, Prince! Fahre fort!« sagte Mr. Turveydrop, mit dem Rücken gegen den Kamin und herablassend mit den Handschuhen winkend. »Fahre fort, mein Sohn!«
Auf diesen Befehl oder, besser gesagt, auf diese gnädige Erlaubnis nahm der Unterricht seinen Anfang. Prince Turveydrop spielte manchmal tanzend die Violine, manchmal stehend das Piano, manchmal summte er die Melodie mit dem bißchen Atem, das er noch übrig hatte, wenn er einer Schülerin Anweisungen gab, machte stets mit der Ungeschicktesten jeden Schritt und jeden Teil einer Tanzfigur gewissenhaft durch und war keinen Augenblick unbeschäftigt. Sein berühmter Vater tat gar nichts, sondern stand nur am Kamin, ein Bild vornehmen Anstandes.
»Er tut nämlich nie etwas anderes«, bemerkte die alte Dame mit dem kritischen Blick zu mir. »Und möchten Sie glauben, daß sein Name an der Türe steht?«
»Der Name seines Sohnes ist doch ganz derselbe«, sagte ich.
»Am liebsten ließe er seinem Sohn gar keinen Namen! Sehen Sie sich nur den Rock des jungen Turveydrop an!« – Der war allerdings recht gewöhnlich und fadenscheinig, fast schäbig. – »Aber der Herr Vater muß natürlich herausgeputzt und gestriegelt sein«, sagte die alte Dame, »wegen seines – Anstandes. Ich möchte ihn schon Anstand lehren. Ich möchte ihn schon zur Schau stellen – aber anderswo.«
Ich war begierig, mehr zu erfahren, und fragte daher: »Gibt er jetzt Unterricht in Anstand?«
»Jetzt!!« gab die alte Dame kurz zur Antwort. »Hat es nie getan.«
Nach einer kurzen Pause des Nachdenkens fragte ich, ob er vielleicht Fechtstunden gebe.
»Ich glaube nicht, daß er überhaupt fechten kann, Miß.«