Im heiligen Lande. Selma Lagerlöf
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Im heiligen Lande - Selma Lagerlöf страница 10
Er begann bei der ersten der vierzehn Stationen auf dem Leidenswege Christi, die die ganze Straße entlang durch kleine steinerne Tafeln bezeichnet sind. Aber er blieb nicht stehen, ehe er vor dem Kloster der Zionsschwestern in der Nähe des Ecce-Homo-Bogens stand, wo Pilatus Christus dem Volke vorführte. Hier warf er das Kreuz von seinen Schultern, wie eine Last, die er nicht mehr zu schleppen brauchte, und klopfte dann an die Klostertür mit drei starken, dröhnenden Schlägen. Noch ehe das Tor geöffnet wurde, hatte er die Dornenkrone vom Kopf genommen, ja, zuweilen war er seiner Sache so sicher, daß er sie einem der Hunde hinwarf, die ihren Schlafplatz in der Nähe des Klosters hatten.
Drinnen in dem Kloster kannte man dies Pochen. Eine von den frommen Schwestern öffnete die Türluke und steckte ihm ein kleines, rundes Brötchen hinaus.
Da geriet er außer sich vor Zorn. Er nahm das Brot nicht an, sondern ließ es zur Erde fallen; er stampfte mit den Füßen und stieß wilde Schreie der Verzweiflung aus. Lange Zeit blieb er vor dem Klostertor stehen. Endlich kehrte der gewohnte Ausdruck geduldigen Leidens in sein Gesicht zurück. Er beugte sich nieder, sammelte das Brot auf und verzehrte es mit Raubtierhunger. Er hob die Dornenkrone wieder auf, und nahm das Kreuz wieder auf seine Schultern.
Wenige Augenblicke darauf stand er in glückseliger Erwartung vor der kleinen Kapelle, die man das Haus der »heiligen Veronika« nennt, und von bitterer Enttäuschung niedergebeugt, wanderte er wieder von dannen. Er ging die ganze Straße hinauf, von Station zu Station, er erwartete mit Gewißheit seine Befreiung an der Kapelle, die die Stätte bezeichnet, wo das Tor der Gerechtigkeit stand, durch das Jesus zur Stadt hinauswanderte, sowie an der Stelle, wo der Erlöser zu den Frauen Jerusalems sprach.
Wenn er so Christi Leidensweg zurückgelegt hatte, begann er unruhig suchend die ganze Stadt zu durchwandern. In der engen, menschengefüllten Davidstraße war er ein ebenso großes Hindernis für den Verkehr, wie ein Kamel, das mit Reisigbündeln beladen ist, aber kein Mensch schalt ihn aus oder verunglimpfte ihn.
Es konnte wohl zuweilen geschehen, daß er auf seiner Wanderung in den engen Vorhof der heiligen Grabeskirche hineinkam. Aber hier legte der arme Kreuzträger seine Last nieder, hier riß er sich die Dornenkrone vom Kopf. Sobald sein Auge auf die graue, dunkle Mauer fiel, wandte er sich um und floh. Niemals sah man ihn dort bei einer der prachtvollen Prozessionen, nicht einmal bei dem großen Osterwunder. Der alte Büßer schien überzeugt zu sein, daß dies der einzige Ort sei, an dem er unmöglich das finden konnte, was er suchte.
Aber er sorgte immer dafür, daß er den Karawanen begegnete, die ihre Waren am Tor Jaffa abluden. Er saß dort und gab vor den Herbergen acht, und betrachtete alle Fremden mit forschenden Blicken. Nachdem die Eisenbahn zwischen Jaffa und Jerusalem eröffnet war, ging er fast jeden Tag auf den Bahnhof hinaus. Er suchte Patriarchen und Bischöfe in ihren Wohnungen auf, und jeden Freitag fand er sich auf den Plätzen vor der Klagemauer ein, wo die Juden sich an die kalten Steine schmiegen, und über den Palast weinen, der in Schutt versunken war, über die Propheten, die gestorben waren, über die Priester, die irre gegangen waren, über die Könige, die Jehova verachtet hatten.
An einem schönen, warmen Sommertag im August ging der Kreuzträger aus dem Damaskustor hinaus und wanderte auf den kahlen, einsamen Feldern, die die Gordonkolonie umgaben. Während er sich so mühselig dahinschleppte, erblickte er eine lange Reihe von Wagen, die vom Bahnhof kamen und nach der Kolonie hinauffuhren. Es waren Menschen mit barschen, ernsten Gesichtern, die in diesen Wagen saßen; viele von ihnen waren häßlich, hatten blondes Haar mit einem Stich ins Rötliche, schwere Augenlider und eine vorstehende Unterlippe.
Als diese Menschen an dem Kreuzträger vorübergekommen waren, tat er, was er immer zu tun pflegte, wenn er neue Pilgerscharen nach Jerusalem ziehen sah: Er lehnte das Kreuz gegen seine Schulter, sein Gesicht klärte sich auf, und er erhob die Arme gen Himmel.
Als die Vorüberfahrenden ihn sahen, wie er so mit seinem Kreuz dastand, zuckten sie zusammen, aber nicht vor Überraschung. Es war weit eher, als hätten sie erwartet, daß gerade das das erste sein müsse, was ihren Augen in Jerusalem begegnete.
Mehrere von ihnen erhoben sich in innigem Mitleid. Sie streckten die Arme aus; man konnte sehen, daß sie gerne vom Wagen gestiegen wären, um dem Alten seine Last tragen zu helfen.
Einige von den Kolonisten, die schon mit den Verhältnissen in Jerusalem bekannt waren, sagten zu den Neuangekommenen: »Das ist ein armer verrückter Mann, so geht er hier jeden Tag. Er glaubt, daß es Christi Kreuz ist, das er trägt, und daß er es tragen muß, bis er jemand findet, der das Kreuz für ihn tragen will.«
Die Vorüberfahrenden wandten sich um, und sahen dem armen Kreuzträger nach. Solange sie ihn sehen konnten, stand er am selben Fleck, die Arme gen Himmel erhoben, und mit einem Ausdruck der unbeschreiblichsten Verzückung.
Aber dies war das letztemal, daß man den armen Kreuzträger in Jerusalem sah. Die Aussätzigen, die vor den Toren gelagert liegen, warteten am nächsten Tag vergebens auf sein Kommen. Er störte nicht die Trauernden auf den Begräbnisplätzen, er bemühte die Wächter in Kaiphas' Hause nicht, die frommen Damen in Zion hatten keine Gelegenheit, das Brötchen darzureichen, das er sonst jeden Tag holte. Der türkische Türwächter wartete unwillkürlich darauf, ihn kommen und wieder entfliehen zu sehen. Die guten Wasserträger sahen vergeblich in den menschenwimmelnden Straßen nach ihm aus.
Der arme Alte ließ sich nie wieder in der heiligen Stadt blicken. Man wußte nicht, ob er tot in seiner Grotte auf dem Ölberge lag, oder ob er nach seinem Heim in dem fernen Lande zurückgekehrt war.
Das einzige, was man sicher von ihm wußte, war, daß er die schwere Last nicht mehr schleppte. Denn am Morgen nach der Ankunft der Bauern aus Dalarne fanden die Gordonisten das mächtige Kreuz: es lag auf der hohen Treppe vor dem Eingang zu ihrem Hause.
»Mauern aus lautrem Gold und Tore von reinem Kristall.«
Unter den Jerusalemfahrern war auch ein Schmied, der Birger Larsson hieß. Er war während der ganzen Zeit sehr froh über diese Reise gewesen. Niemand war es so leicht geworden, sich von der Heimat zu trennen, und niemand hatte sich so von Herzen darauf gefreut, die Herrlichkeit Jerusalems zu sehen.
Aber Birger erkrankte fast in demselben Augenblick, als er in Jaffa an Land ging. Er mußte mehrere Stunden in der Sonnenhitze am Bahnhof sitzen, ehe der Zug abging, und er wurde elender und elender. Als er in einen der heißen Eisenbahnwagen kam, fing ihm der Kopf so an zu schmerzen, als müsse er zerspringen. Und als sie Jerusalem erreichten, war er so matt, daß Tims Halvor und Ljung Björn ihn unter die Arme nehmen und ihn fast auf den Bahnsteig hinaustragen mußten.
Bo hatte nach Jerusalem telegraphiert, um die Kolonisten von der Ankunft der Darlekarlier zu benachrichtigen. Mehrere von den schwedischen Amerikanern waren am Bahnhof, um die Verwandten und Freunde zu begrüßen. Da hatte Birger so starkes Fieber, daß er seine alten Landsleute nicht wiedererkennen konnte, obwohl einige von ihnen seine nächsten Nachbarn gewesen waren. Soviel hatte er aber doch verstanden, daß er nach Jerusalem gekommen war, und er war nur von dem Gedanken erfüllt, daß er sich aufrecht halten müsse, bis er die heilige Stadt gesehen hatte.
Von dem Bahnhof aus, der eine gute Strecke außerhalb Jerusalems liegt, konnte Birger nichts von der Stadt sehen. Solange er da war, lag er ganz still, mit geschlossenen Augen. Aber endlich hatten alle Platz in den Wagen gefunden, die auf sie warteten. Sie fuhren durch das Tal Hinnom, und oben auf dem Bergrücken über ihnen gewahrten sie Jerusalem.