Tom Jones. Henry Fielding

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Tom Jones - Henry Fielding

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welche jetzt zur Ausführung des Auftrages schritt, den sie von ihrem Bruder erhalten hatte, und Befehl gab, alles Benötigte für das Kind zu besorgen, und ein sehr gutes Zimmer im Hause zur Kinderstube anwies. Ihre Verordnungen waren wirklich so mildgebig, daß sie nicht mehr hätte thun können, wär's auch ihr eigenes Kind gewesen. Doch, damit die tugendsamen Leserinnen sie nicht verdammen mögen, als habe sie die Sorgfalt für ein schandgebornes Kind zu weit getrieben, mit welchem Barmherzigkeit zu haben die Gesetze für Religionslosigkeit erklären: so halten wir es für schicklich, anzumerken, daß sie das Ganze mit folgenden Worten beschloß: »Weil es einmal so ihres Bruders Grille wäre, die Krabbe als sein eignes Kind zu halten, so müßte man das junge Herrchen ja wohl mit großer Zärtlichkeit behandeln; sie für ihr Teil könne nicht umhin, zu glauben, man gäbe dadurch der Liederlichkeit Vorschub; sie kenne den Steifsinn des Mannes aber zu gut, um sich seinen lächerlichen Einfällen zu widersetzen.«

      Mit Betrachtungen dieses Schlages begleitete sie, wie wir bereits zu verstehen gegeben haben, jede nachgiebige Handlung gegen ihres Bruders Neigungen; und sicherlich konnte nichts mehr beitragen, das Verdienst ihrer Gefälligkeit zu erhöhen, als eine Erklärung, daß sie die Thorheit und Widersinnigkeit dieser Neigungen recht gut einsähe, denen sie sich unterwürfe. Schweigender Gehorsam zeigt keine Gewalt über den Willen, und kann eben daher leicht sein und ohne Kampf geleistet werden; wenn aber eine Ehefrau, ein Kind, eine Verwandte, ein Freund oder eine Freundin das, was wir begehren, mit Murren, mit Widerwillen, mit Aeußerungen von Mißvergnügen und Willenszwang verrichten, so muß die offenbare Schwierigkeit, womit sie ringen, den Wert ihrer Gefälligkeit um vieles erhöhen.

      Und dies ist eine von den tiefen Beobachtungen, wozu, weil man sehr wenigen Lesern die Fähigkeit, sie für sich selbst zu machen, zutrauen darf, ich ihnen meinen Beistand zu leihen für gut befunden habe; indessen ist dies ein Liebesdienst, auf welchen man im Fortgange dieses Werkes sich nur sehr selten Rechnung machen darf. In der That werde ich dem Leser selten oder niemals diese Willfährigkeit erzeigen, es sei denn in solchen Fällen, wie dieser, wo nichts Geringeres, als die Inspiration, womit wir Schriftsteller begabt sind, unumgänglich nötig ist, um auf die wahre Entdeckung zu kommen.

      Sechstes Kapitel.

      Jungfer Deborah wird mit einem Gleichnis im Kirchspiele aufgeführt. Eine kurze Nachricht von Hannchen Jones und den Schwierigkeiten, welche junge Frauenzimmer von dem Streben nach Gelehrsamkeit abschrecken können.

      Wie Jungfer Deborah mit der Einrichtung fürs Kind nach dem Willen ihres Herrn fertig war, schickte sie sich an, diejenigen Wohnungen zu besuchen, welche, nach aller Vermutung, seine Mutter verborgen hielten.

      So, wenn der Habicht, der furchtbare Satrape, von der gefiederten Schar in ferner Höhe schwebend und über ihren Häuptern unglückdrohend entdeckt wird; die liebegirrende Taube, und jeder kleine unschuldige Vogel weit umher die Gefahr verkündigt und jeder zitternd zu seinem Schutzort flieht: Er schlägt mit stolzen Schwingen die Luft, sich selbst bewußt seiner hohen Würde, und sinnt auf zu verbreitendes Weh:

      So flogen zitternd in ihre Häuser alle Bewohner des Orts, als Jungfer Deborah Ankunft auf den Gassen verkündet ward. Jede Matrone war voll Angst, der Besuch möchte ihr selbst zum Lose fallen. Hoch trägt sie ihr türmend Haupt, angefüllt mit Gedanken über ihre eignen Vorzugsrechte, und mit Entwürfen, wie sie sie bewirken will, die beabsichtigte Entdeckung.

      Der scharfsichtige Leser beliebe wegen dieses Gleichnisses nicht sich einzubilden, als habe das arme Volk die geringste Ahnung von dem Vorsatze gehabt, mit welchem Jungfer Deborah jetzt zu ihnen kam; da aber die große Schönheit des Gleichnisses die nächsten hundert Jahre vielleicht schlafen möchte, bis ein künftiger Kommentator dies Werk einmal unter seine antiquarische Feder nimmt: so finde ich für gut, dem Leser an dieser Stelle ein wenig zu Hilfe zu kommen.

      Mein Vorsatz also ist, anzudeuten, daß so, wie es in der Natur des Habichts liegt, kleine Vögel zu fressen, es in der Natur solcher Personen, als Jungfer Deborah Wilkins, liegt, geringere Leute zu mißhandeln und zu tyrannisieren. Hierin liegen die eigentlichen Mittel, durch welche sie sich wegen der kriechenden, sklavischen Gefälligkeit gegen Vornehmere schadlos zu halten suchen; denn nichts kann billiger sein, als daß Sklaven und Schmeichler von jedem Geringern eben den Tribut eintreiben, welchen sie selbst jedem Vornehmern zollen.

      So oft Jungfer Deborah Anlaß gehabt, gegen Fräulein Brigitte eine außerordentliche Unterwürfigkeit zu üben, und dadurch ihre natürliche Gemütsart ein wenig mehr versäuret hatte, so oft hatte sie die Gewohnheit, unter diese Leute zu gehen, um ihr Gemüt dadurch wieder zu klären, daß sie gleichsam seine Hefen abbrausen ließ und die Unreinigkeiten wegpurgierte; aus welcher Ursache sie dann ganz und gar kein willkommener Besuch war. Mit kurzem die Wahrheit zu sagen, sie ward durchgehends gehaßt und von allen gefürchtet.

      Bei ihrer Ankunft in diesem Orte ging sie gradenweges nach der Wohnung einer ältlichen Matrone; diese, weil sie das Glück hatte, ihr im Punkte der Anmutigkeit ihrer Person sowohl, als am Alter zu ähneln, war von jeher in größern Gunsten bei ihr gestanden, als alle übrigen. Dieser Matrone teilte sie das mit, was sich begeben hatte, nebst der Absicht, in welcher sie diesen Morgen hergekommen war. Beide machten sich sogleich darüber her, die Konduitenlisten aller jungen Mädchen des Orts zu untersuchen, und hefteten endlich ihren stärksten Verdacht auf eine gewisse Hanna Jones, welche nach beider einstimmigen Meinung die wahrscheinlichste Person wäre, die die That begangen haben müßte.

      Dieses Hannchen Jones war eben kein hübsches Mädchen, weder von Gesicht noch von Wuchs. Die Natur hatte aber diesen Mangel an Schönheit einigermaßen durch etwas ersetzt, welches gewöhnlich von solchen Damen, deren Urteil mit den Jahren zur völligen Reife gediehen ist, noch höher geschätzt wird; denn sie hatte ihr ein ungemeines Maß von Verstand geschenkt. Diese Bescherung hatte Hannchen um ein Großes durch Gelahrtheit erhöhet. Sie hatte verschiedene Jahre als Magd bei einem Schulmeister gedient, der, weil er an dem Mädchen eine große Lebhaftigkeit des Geistes und eine außerordentliche Lernbegierde entdeckt, (denn jede müßige Stunde fand man sie in den Schulbüchern lesen), die Gutheit oder Narrheit, wie es der Leser belieben will zu nennen, gehabt hatte, ihr insoweit Unterricht zu geben, daß sie eine ziemliche Fertigkeit in der lateinischen Sprache gewann, und vielleicht ebenso gelehrt war, als die meisten jungen Herrn vom Adel unserer Zeit. Dieser Vorzug war aber, wie fast alle von einer außerordentlichen Gattung, von einigen kleinen Unbequemlichkeiten begleitet. Denn, wie es nicht zu verwundern ist, daß ein so gelehrtes junges Frauenzimmer wenig Gefallen an der Gesellschaft solcher Personen finde, welche das Glück ihr zwar gleich, die Erziehung aber so weit unter sie herabgesetzt hat: so darf es auf der andern Seite auch eben nicht sehr befremden, daß dieser Vorzug an Hannchen, zusammengenommen mit dem Betragen, welches seine gewisse Folge ist, bei andern eine Art von Neid und Mißgunst erweckte; und diese hatten vielleicht schon in den Busen ihrer Nachbarinnen die ganze Zeit über heimlich gelodert, da sie aus dem Dienste gegangen war.

      Ihr Neid brach indessen nicht eher öffentlich aus, bis das arme Hannchen, zu jedermanns Erstaunen und zum Aerger aller jungen Weibsbilder dieser Gegend, an einem Sonntage öffentlich in einem seidenen Kleide, einem spitzen Kopfzeuge und andern dazu paßlichen Sachen Parade machte.

      Die Flamme, welche vorher nur unter der Asche geglimmt hatte, brach nun aus; Hannchen hatte durch ihre Gelehrsamkeit ihre Eitelkeit vergrößert, und doch war keine von ihren Nachbarinnen so gütig, ihr die Ehrerweisung zur Nahrung zu bringen, die sie zu verlangen schien; und nun gewann sie durch ihr Staatmachen anstatt Respekt und Verehrung nichts anders als Haß und Mißhandlung. Das ganze Kirchspiel war der festen Meinung, solche Dinge könnte sie mit Ehren nicht haben; und Eltern, anstatt ihren Töchtern eben solche Sachen zu wünschen, wünschten sich selbst Glück, daß ihre Kinder so etwas nicht hätten.

      Daher kam es vielleicht, daß die gute Frau den Namen des armen Mädchens der Jungfer Wilkins gleich zuerst nannte; es zeigte sich aber auch noch ein anderer Umstand, der die letzte in ihrem

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